Coronavirus aus Labor entwichen? Innsbrucker Mikrobiologin befeuert Verschwörungstheorie
„Ich wünschte, ich hätte diese Zusammenhänge nie gefunden“, sagt Rossana Segreto. „Die Suche nach dem Ursprung des Virus ist politisch brisant, als Wissenschafterin möchte ich auch keinem Verschwörungstheoretiker in die Hände spielen.“ Trotzdem kritisiert eine internationale Forschergruppe, darunter die Innsbrucker Mikrobiologin Segreto, dass die Möglichkeit einer Labormanipulation als Ursprung der Coronapandemie zu früh ausgeschlossen und kaum untersucht wurde. Im Fachjournal BioEssays liefern sie ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse für den Ursprung des Virus. Zuvor haben „sieben Journals die Publikation dieser Erkenntnisse verweigert“.
Was sie aber im vergangenen Jahr seit Ausbruch der Pandemie herausgefunden habe, deute auf eine Labormanipulation als möglichen Ursprung für die Pandemie hin. Damit steht sie gegen die Mehrheit der Wissenschafter, die von einer natürlichen Entstehung des Coronavirus ausgehen. Im APA-Interview befürchtete Segreto, dass es ohne schärfere Sicherheitsvorschriften künftig zu weiteren Pandemien kommen könnte.
"Fahrlässig"
Segreto argumentiert: „Es gibt nach wie vor keinen wissenschaftlich nachvollziehbaren Beweis, dass sich der Erreger auf natürliche Weise entwickelte und nicht in einem Labor entstand“. Dennoch habe man einen potenziellen, durch menschliches Versagen induzierten Unfall als Ursprung der Pandemie von Anfang an ausgeschlossen. „Das ist fahrlässig“, monierte die Mikrobiologin, schließlich würde in Dutzenden Laboren weltweit mit mutierten Erregern experimentiert, die das Potenzial haben eine Pandemie auszulösen. „Das bringt uns alle in Gefahr“, meinte sie, „da es bereits mehrere Nachweise früherer Laborunfälle gibt“.
Sie selbst forschte schon vor Ausbruch der Coronapandemie im Jänner 2020 im Bereich der Mutantenentstehung an der Universität Innsbruck, im vergangenen Jahr hatte sie am Institut für Mikrobiologie eine Post-Doc Stelle inne. Als die ersten Fälle aus Wuhan bekannt wurden, sei sie neugierig geworden. Seitdem hat sie alleine und in Kooperation mit anderen Wissenschaftern in ihrer Freizeit unterschiedliche Indizien gesammelt, die auf eine Labormanipulation als Ursprung des SARS-CoV-2-Virus hindeuten.
Labor nahe des Tiermarktes
Zunächst sei da die geografische Nähe des Instituts für Virologie in Wuhan zum exotischen Tiermarkt in der Provinz Hubei, wo im Jänner erste Fälle einer mysteriösen Lungenkrankheit gemeldet wurden. „In diesem Labor wird seit Jahren an mutierten Coronaviren geforscht“, erklärte Segreto.
Das Institut in Wuhan sei ein BSL-4-Hochsicherheitslabor, dort werde mit hochinfektiösen Erregern gearbeitet. Damit es nicht zur Freisetzung von Biostoffen kommt, gebe es in jenen Laboren zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen. Der Umstand, dass ein solches Labor in einem Ballungszentrum gebaut wurde, ist jedenfalls beunruhigend, meinte Segreto. Bereits im Jahr 2018 seien Bedenken bezüglich der Arbeitssicherheit in dem besagten chinesischen Labor geäußert worden, berichtete die Washington Post im April vergangenen Jahres.
Das Labor sei nach Ausbruch der Pandemie nie untersucht worden, einzelne zuvor öffentlich zugängliche Datenbanken wurden gelöscht, argumentierte die Wissenschafterin. Dass von Anfang an von einem natürlichen Ursprung des Virus ausgegangen wurde, liege ihrer Meinung nach auch an einem wissenschaftlichen Artikel, der im März im Fachjournal The Lancet erschienen ist. In diesem hätten Forscher argumentiert, dass sich das SARS CoV-2-Virus wohl durch natürliche Selektion schon in einem tierischen Wirt zu einem Pathogen entwickelt hatte, und dann auf den Menschen übersprang.
Killerviren?
„In China, wie auch in anderen Ländern, wurde mit dem Ziel geforscht, gefährliche Viren zu erkennen und zu bekämpfen“, so Segreto. Teilweise seien zu diesem Zweck Viren so mutiert und verändert worden, dass sie noch ansteckender und tödlicher werden. Dass Viren künstlich erzeugt werden, sei in der Mikrobiologie nichts Ungewöhnliches, berichtete Segreto.
Bei solchen Experimenten, in der Fachsprache spricht man von „gain of function research“, gehe es nicht nur um biologische Kriegsführung, sondern eben auch darum, sich für potenzielle Ausbrüche gefährlicher Viren durch die Entwicklung von Medikamenten und Impfungen zu schützen. Dabei könne aber auch viel schief gehen, gab Segreto zu Bedenken.
Künstlicher Virus-Aufbau?
Für sie zeuge auch der Aufbau von SARS-CoV-2 davon, dass dieses Virus nicht durch natürliche Selektion entstanden, sondern künstlich im Labor hergestellt worden sein könnte. Einerseits sei es nicht wahrscheinlich, dass ein Virus in kürzester Zeit eine neue Sequenz ausbilde, die es ihm ermöglicht mehr Arten, darunter auch den Menschen, und unterschiedliche Gewebe zu befallen, führte Segreto aus. Diese Sequenz sei Bestandteil des für SARS-CoV-2 typischen Stachelproteins und ermöglicht ihm, die Hülle der Wirtszelle aufzubrechen und in diese einzudringen.
Andererseits sei auch anzuzweifeln, dass es simultan zu einer Ausbildung der Rezeptor-bindenden Domäne, die sich an den menschlichen ACE2-Rezeptor heften kann, gekommen ist, mit der Folge, dass das Virus perfekt für die Infektion menschlicher Zellen angepasst ist. Darüber habe sie gemeinsam mit dem Biotech-Unternehmer Yuri Deigin eine wissenschaftliche Arbeit verfasst, die einem Peer-Review unterzogen wurde und im November im Fachjournal BioEssays erschienen sei. Zuvor hätten „sieben Journals die Publikation dieser Erkenntnisse verweigert“.
WHO prüft
In den vergangenen Tagen hat die Diskussion über den Ursprung des Coronavirus SARS-CoV-2 wieder stark zugenommen. Heute, Donnerstag, wird das internationale Expertenteam der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit der Untersuchung des Ursprungs des Coronavirus in Wuhan beginnen, wo die ersten Fälle von Infektionen vor gut einem Jahr bekannt wurden. China hatte für die Anreise der Experten nach langer Verzögerung am Montag grünes Licht gegeben, sie sollen am Donnerstag eintreffen. Der britisch-amerikanische Zoologe und Experte für Infektionsepidemiologie Peter Daszak ist Teil des Expertenteams. „Daszak ist enger Kooperationspartner des Instituts für Virologie in Wuhan“, merkte die Mikrobiologin an, ein Interessenskonflikt sei hier nicht auszuschließen. „Wir können uns nicht darauf verlassen, dass hier eine neutrale Untersuchung stattfinden wird.“