Wiener Forscher: Die letzten Stunden der Dinosaurier
Von Ute Brühl
Steine sind für Ludovic Ferrière wie ein Krimi: „Sie schauen sich Seite um Seite an – und am Ende entsteht eine Geschichte, doch Fragen bleiben“, erzählt er im KURIER-Gespräch. Ein besonderer Krimi ist für den Kurator der Meteoritensammlung am Naturhistorischen Museum Wien das Gestein eines Kraters vor der Küste der Halbinsel Yucatán in Mexiko.
Es handelt sich um den wohl berühmtesten Krater – er hat einen Durchmesser von mehr als zehn Kilometern und entstand vor 66 Millionen Jahren durch einen Asteorideneinschlag, in dessen Folge die Dinosaurier ausstarben. Jetzt haben sich weltweit 30 Wissenschafter zusammengetan, um dort das Gestein näher zu untersuchen – Ferrière war einer der ganz wenigen Europäer im Forschungsteam.
Aus dem Stein lesen
Mit verschiedenen Methoden können die Wissenschafter viel aus dem Stein herauslesen und erfahren etwa, wie heiß es damals an der Einschlagstelle wurde oder wie hoch der Druck auf die Erde durch den Aufprall war.
Die Ergebnisse überraschen wenig – sie präzisieren nur das, was Forscher bisher vermuteten: „Es wurde eine Menge Schwefel frei gesetzt.“ Wie man das weiß? „In den Kernproben wurde dieses chemische Element nicht gefunden. Aber das Gebiet rund um den Einschlagkrater ist voller schwefelreicher Gesteine. Dies unterstützt die Theorie, dass beim Aufprall die schwefelhaltigen Mineralien verdampft und in die Atmosphäre freigesetzt wurden.“
Dramatische Folgen
Die Folge für das Erdklima waren enorm: „Der Himmel verdunkelte sich und die Erde kühlte global ab.“ Mehr noch, wie Saurier-Experte Steve Brusatte berichtet: „Früher üppige Waldlandschaften und Flusstäler standen in Flammen, Tsunamis wurden ausgelöst und so Meerwasser weit ins Landesinnere transportiert.“
Folgen für die Riesenechsen
Was das alles für die Dinosaurier hieß? „Einige starben sofort während des Aufpralls, andere überlebten noch einige Minuten und Stunden, und für andere, die weiter weg vom Einschlagkrater lebten, muss es eine Frage von Tagen bis Wochen gewesen sein.“ Weil die Fotosynthese der Pflanzen sich wegen des dunkeln Himmels stark verringert hatte, wurde das Nahrungsangebot knapper – 75 Prozent allen Lebens starb. Wissenschaftlich ausgedrückt: Das Massensterben war die Folge eines atmosphärischen Effekts.
1300 Meter in die Tiefe
Wie die Forscher vorgegangen sind, berichtet Ferrière. „Wir haben in eine Tiefe von rund 500 bis 1.300 Metern unter dem Meeresboden gebohrt. Dort wurden mehr als 300 Bohrkerne entnommen, die eine Gesamtlänge von 835 Metern haben.“ Eine ganze Reihe davon – genauer gesagt 373 Proben – sind in Wien und werden von Ferrière noch genauer untersucht
Ferrière ist sich sicher, dass die Steine noch viel verraten werden: „Sie sind wie ein großes Buch, für das wir noch viele Seiten lesen – also Schichten untersuchen – müssen, um die ganze Geschichte zu erfahren.“