Spermientests für daheim: Was neue Verfahren wirklich können
Von Ernst Mauritz
200-fach vergrößert die Linse im „Health Home Test“ der dänischen Firma ExSeed die Samenprobe auf dem Objektträger. Das Mobiltelefon wird auf die Linse gelegt (kommt mit der Probe aber nicht in Kontakt). Ein Video der schwimmenden Spermien wird über eine App an ExSeed geschickt. Eine Software analysiert die Spermienkonzentration pro Milliliter Samenflüssigkeit, ihre Gesamtzahl und ihre Beweglichkeit – laut Firmenangabe in derselben Genauigkeit wie Fruchtbarkeitskliniken.
Ist ein Wert nicht optimal, wird ein „personalisiertes Lifestyle-Programm“ angeboten: Ernährungs- und Bewegungstipps, Nahrungsergänzungsmittel sowie die Fernkonsultation eines Arztes über die App. Ziel: Verbesserung der Spermienqualität. Verbessert sich der Befund innerhalb von drei Monaten trotz Lebensstiländerung nicht, wird ein Arztbesuch empfohlen.
„Wir haben auch schon erste Kunden aus Österreich“, sagt ExSeed-Chef Morten Ulsted im KURIER-Gespräch.
„Sperma-Krise“
Eine neue Generation von High-Tech-Tests erobert derzeit den Markt – vorerst vor allem in den USA, Großbritannien und Skandinavien: Seit in den Medien immer öfter von einer „Sperma-Krise“ die Rede ist – die Spermienzahl geht seit den 70er Jahren zurück (siehe unten) – boomt diese Branche.
Die britische Zeitung The Guardian schrieb kürzlich gar vom Aufstieg von „Big Sperm“ – einer neuen Generation von Start-up-Firmen (etwa ExSeed, Yo, Trak oder Legacy), die modernste Test-Technologien für den Einsatz zuhause anbieten – teils kombiniert mit dem Angebot, Spermien vorsorglich für später einfrieren zu lassen.
Und Usted merkt einen zweiten Trend: Immer mehr Männer wollen offenbar nicht nur Werte wie Schlafqualität, Herzfrequenz oder Tagesschritte messen: „20 bis 25 Prozent unserer Kunden haben keinen unmittelbaren Kinderwunsch – sie wollen nur wissen, wie es um ihre Samenqualität steht. Sie sind einfach neugierig.“
Der Mega-Trend zur Selbstvermessung („Quantified-Self“-Bewegung) habe sich auch auf die Spermien ausgeweitet: „Schließlich ist eine geringe Spermienzahl oft auch Folge des Lebensstils“ – zu viel Stress, Rauchen, Bewegungsmangel.
„Die Grundidee dieser neuen Generation von Tests ist eine gute – schließlich ist es vielen Männern unangenehm, bei einem Facharzt ein Spermiogramm durchführen zu lassen“, sagt Mathias Brunbauer, Leiter der Wunschkindklinik Wien.
Er hat vor zwei Jahren für den KURIER das Ergebnis eines der neuen Tests (Yo Sperm Test) mit jenem in seinem Labor verglichen: „Diese Tests sind seriös und liefern eine grobe, erste Orientierung. Aber sie können auf Dauer einen Facharzt und ein umfangreiches Labor-Spermiogramm nicht ersetzen.“
„Falsche Sicherheit“
Das unterstreicht auch Andreas Obruca vom Kinderwunschzentrum Goldenes Kreuz: „Die Tests sind gut, um das Bewusstsein für die Samenqualität zu erhöhen. Aber sie können einen auch in falscher Sicherheit wiegen: Ein solcher Heim-Test kann ein unauffälliges Ergebnis liefern, und trotzdem kann ein durch den Test nicht erkanntes Problem mit der Fruchtbarkeit vorliegen.“
Die meisten der neuen Tests würden auch noch nicht die Form der Spermien analysieren, ob es also mögliche Defekte am Kopf- oder Schwanzteil gibt: „Und wenn, können sie nur äußere Kriterien untersuchen. Wir können uns mit 1000-facher Vergrößerung auch Veränderungen in den Zellen ansehen“, betont Obruca.
Ulstend: „Wir können den Besuch bei Ärzten nicht ersetzen“, betont Ulsted. „Aber mit unserem Ersttest werden Probleme früher erkannt – und früher behandelt.“
Die Spermienzahl sinkt vor allem in westlichen Ländern – seit den 70er Jahren um 50 bis 60 Prozent, zeigte vor zwei Jahren eine Übersichtsstudie. Trotzdem liegt sie mit im Schnitt 47 Millionen Spermien pro Milliliter Ejakulat noch immer deutlich über der WHO-Norm von 15 Millionen Spermien. Der Rückgang der Spermienzahl alleine hat also auf die Fruchtbarkeit der meisten Männer noch keinen Einfluss.
„Zu mehr als 50 Prozent liegen die Ursachen für Unfruchtbarkeit heute aber beim Mann“, sagt Andreas Obruca vom Kinderwunschzentrum Goldenes Kreuz. Das liege aber auch daran, dass es heute viel weniger unbehandelte Verschlüsse der Eileiter gebe als noch Anfang der 90er Jahre. Beim Mann werden die Probleme mehr: Rauchen, Übergewicht und Stress sind ebenso eine Ursache wie Umweltschadstoffe. Mathias Brunbauer von der Wunschkindklinik Wien: „Die wirkliche Ursache für den Rückgang der Spermienzahl ist nicht geklärt.“