Neue EU-Regelung zu Acrylamid: Was Sie wissen müssen
Der sogenannte "Pommes-Streit“ geht in die finale Runde: Mit einer EU-Regelung zu Acrylamid, die heute, Mittwoch, in Kraft tritt, wird dem als krebserregend eingestuften Stoff der Kampf angesagt. Lebensmittelhersteller sowie Restaurants und Imbissbetriebe dürfen ab sofort Pommes frites nicht übermäßig frittieren und Brot beim Backen nicht zu dunkel werden lassen (mehr dazu hier). Eine konkrete Vorgabe ist, dass die Frittierzeit von Kartoffelprodukten auf etwa dreieinhalb Minuten zu begrenzen und die Fritteuse auf höchsten 175 Grad Celsius einzustellen ist. Ziel ist, dass bei der Zubereitung der Produkte so wenig Acrylamid wie möglich entstehen kann. Betroffene Produkte sind wegen ihres Stärkegehalts vor allem solche auf Kartoffel- oder Getreidebasis sowie Kaffee.
Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema:
Wie entsteht Acrylamid?
Der Stoff bildet sich unter hohen Temperaturen beim Rösten, Backen, Braten oder Frittieren von stärkehaltigen Lebensmitteln aus der Aminosäure Asparagin und aus Zuckern. In Lebensmitteln wurde der Stoff erstmals im Jahr 2002 nachgewiesen. Bei der Zubereitung von stärkehaltigen Speisen kommt es ab Temperaturen von 120 Grad zur sogenannten Maillard-Reaktion: Aus Zucker und Eiweißbausteinen entsteht Acrylamid. In weiterer Folge erfolgt im Körper eine Umwandlung zu Glycidadmid. Forscher gehen davon aus, dass diese Substanz das Erbgut verändern und Krebs erregen kann. Acrylamid findet sich aber nicht nur in industriell Frittiertem, sondern auch in selbst gekochten Speisen. Besonders betroffen sind Produkte auf Kartoffel- oder Getreidebasis sowie Kaffee.
Beinhalten alle frittierten oder gebackenen Speisen Acrylamid?
Laut Ingrid Kiefer von der österreichischen AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) gibt es zwei wichtige Faktoren: "Stärke und Temperatur. Nur wenn diese Faktoren zusammenspielen, bildet sich Acrylamid. Stärke ist vor allem in Getreide und Kartoffeln enthalten. Temperaturen ab 170 Grad führen zu einem sprunghaften Anstieg des Acrylamid-Gehalts." Wer auf die geliebte Fritteuse nicht verzichten kann, sollte also auf kohlenhydrat- und stärkearmes Gemüse wie etwa Sellerie oder Zucchini umsteigen. Selbst wenn man dieses Gemüse stark erhitzt, wird sich die Substanz kaum ausbilden.
Über welche Produkte wird am meisten Acrylamid aufgenommen?
Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) hat im Zeitraum 2007 bis 2015 Lebensmittel in Österreich auf deren Acrylamid-Gehalte überprüft. Die Aufnahme der Substanz bei Erwachsenen (18 bis 64 Jahre) erfolgte demnach anteilsmäßig zu 27 Prozent durch Chips (15 Prozent durch Pommes). Beim größten Anteil an der Gesamtexposition über Lebensmittel folgte Lebkuchen mit 18 Prozent. Bei der Aufnahme im Falle von Kindern (sechs bis neun Jahre) waren Kartoffelchips sogar zu 30 Prozent der Hauptlieferant (Pommes lagen bei 20 Prozent).
Wie stark ist der Gehalt von Acrylamid in Kaffee?
Die Forderung eines Richters in Kalifornien, dass die Kaffeehauskette Starbucks künftig auf Kaffeeprodukten vor Krebsgefahren warnen soll, hat gezeigt, dass die krebserregende Substanz Acrylamid eben auch in Kaffee enthalten ist. Laut AGES findet sich der Stoff deutlich stärker in Lös- als in Röstkaffee konzentriert. Der stärkste Gehalt von Acrylamid ist laut Testungen der AGES in Kartoffelchips (844 Mikrogramm pro Kilogramm Lebensmittel) zu finden. Zum Vergleich: Bei löslichem Kaffee beträgt der Wert 678 µg /kg, bei geröstetem Kaffee 250 µg/kg, in Pommes frites 199 µg/kg.
Sind kleinere Mengen Acrylamid okay?
Laut AGES gibt es für Acrylamid keine tolerierbare tägliche Aufnahmemenge, da diese Stoffe das Erbgut schädigen bzw. Krebs erzeugen können. Es lasse sich nach dem derzeitigen Stand des Wissens kein Wert festlegen, unter dem es kein Risiko für die Verbraucher gibt, heißt es auf der Homepage der Agentur. Aus diesen Gründen wurde kein gesetzlich geregelter Höchstgehalt für Acrylamid in Lebensmitteln festgelegt. Für Schadstoffe, die Krebs erzeugen und das Erbgut verändern, gilt das sogenannte ALARA-Prinzip (as low as reasonably achievable - so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar). Dies bedeutet der AGES zufolge, dass alle vernünftigen Maßnahmen getroffen werden sollten, um die Gehalte an Acrylamid auf das niedrigste mögliche Niveau zu reduzieren.
Darf ich trotzdem meinen Toast dunkel essen?
Die Regelung gilt zwar nicht für Privathaushalte, Acrylamid entsteht aber auch dort. Stark gebräunte Produkte, etwa ein sehr dunkelbrauner oder gar verbrannter Toast, sollten nicht gegessen werden. "Vergolden statt Verkohlen und goldgelb statt goldbraun‘‘, laute das Motto. Speisen werden am besten möglichst kurz und bei Temperaturen unter 170 Grad gegart oder gebacken. Auch das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen spielt eine Rolle – je größer die Stücke desto besser. Wer schonend gart, kocht und dünstet, ist auf der sicheren Seite.
Welche Alternativen gibt es? Kann man "gesund frittieren‘‘?
Das Frittieren, Rösten, Toasten oder Backen alleine führt noch nicht zur Bildung des krebserregenden Stoffes. Wer Erdäpfel verarbeiten will, sollte festkochende Sorten mit niedrigem Zuckergehalt wählen. Hilfreich ist auch, die Erdäpfel vor dem Frittieren noch in Wasser einzulegen oder kurz zu kochen. Die Erdäpfel sollten in jedem Fall frisch sein und keine grünen Stellen mehr aufweisen. Wer sie unter sechs Grad Celsius lagert, riskiert Kiefer zufolge, dass der Stärkegehalt dadurch steigt. Und genau dies gilt es zu vermeiden.
Sind Kinder stärker gefährdet?
Handelt es sich um krebserregende Stoffe, seien Kinder grundsätzlich einer größeren Gefahr ausgesetzt als Erwachsene, sagt die Expertin. Einerseits nehmen sie proportional zu ihrem geringen Körpergewicht mehr schädliche Substanzen auf. Andererseits achten Kinder weniger auf ihre Ernährung als Erwachsene. Gerade die wegen ihres hohen Acrylamid-Gehalts kritisierten Snacks wie Pommes frites, Chips, Knäckebrot und Kekse sind bei Kindern beliebt.
Bei Mäusen ist wissenschaftlich bestätigt, dass Acrylamid bestehendes Erbgut verändern kann und zu Krebs führt – wie ist das bei Menschen?
Beim Menschen liegen diesbezüglich noch keine eindeutigen Belege vor – die Substanz steht aber unter starkem Verdacht, schädlich zu sein. Die WHO stuft die Substanz als "wahrscheinlich krebserregend‘‘ für den Menschen ein. Einig sind sich die Forscher darüber, dass Maßnahmen zur Reduzierung von Acrylamid in Lebensmitteln dringend notwendig sind. Bisher gab es seitens der Lebensmittelunternehmen große Unterschiede im Umgang mit der Problematik – viele nehmen die Vorwürfe nicht ausreichend ernst.