Gibraltar: Steigende Infektionszahlen trotz 100-prozentiger Impfrate?
"Geimpftes Gibraltar kehrt zur Normalität zurück", titelte die staatliche Nachrichtenagentur der Türkei, Agentur Anadolu, Ende März. In vielen anderen Ländern kämpfte man in puncto Impfung damals noch mit erheblichen Startschwierigkeiten.
Auf Gibraltar, einem auf einer Landzunge an der Südküste Spaniens gelegenen britischen Überseegebiet, verzeichnete man schon im Frühjahr keine Neuinfektionen mehr. Ende März hatten der türkischen Nachrichtenagentur zufolge bereits über 25.000 der insgesamt knapp 34.000 Einwohner beide Impf-Dosen erhalten.
"Wir lassen endlich unseren tödlichsten Winter hinter uns und treten in unseren hoffnungsvollsten Frühling ein", wurde Gibraltars Chief Minister Fabian Picardo damals zitiert. Am 8. April erklärte er die Halbinsel schließlich für "Covid-frei".
Über 300 aktive Fälle
Inzwischen sind fünf Monate vergangen. Die Infektionszahlen in der britischen Exklave steigen nun wieder: Mit Stand 26. Juli verzeichnet Gibraltar laut der Statistik-Plattform Worldometer 335 aktive Ansteckungen mit Sars-CoV-2.
Die Corona-Impfung wird als Schlüssel zur Beendigung der Pandemie gepriesen – wie kann es also sein, dass das Virus in einer durchgeimpften Bevölkerung derart grassiert?
Dass die Impfung wirkt – sie kann eine Ansteckung mit dem Coronavirus nicht vollkommen verhindern, aber schweren Verläufen zuverlässig vorbeugen –, zeigt zunächst einmal ganz klar die Zahl der Todesfälle auf Gibraltar: Die Zahl der Menschen, die an oder mit dem Coronavirus verstorben sind, ist seit Anfang April tatsächlich nicht gestiegen und steht konstant bei 94.
Die Süddeutsche Zeitung hat sich die Sache dennoch genauer angesehen. Mit interessantem Ergebnis: Demnach liegt die Durchimpfungsrate auf der Halbinsel in Wahrheit gar nicht bei 100 Prozent. Das belegen die Autoren mit einer Rechnung: Rund 34.000 Menschen leben auf Gibraltar, knapp 78.400 Impfdosen wurden dort verabreicht. Der Großteil kam vom Hersteller-Gespann Biontech/Pfizer. Damit wurden augenscheinlich mehr Stiche gesetzt als für die Gesamtbevölkerung eigentlich nötig.
Nicht nur Einheimische versorgt
Als Grund dafür wird in dem Artikel Folgendes angeführt: Auf Gibraltar sollen nicht nur Einheimische mit dem immunisierenden Stich versorgt worden sein. So sollen etwa auch mindestens 8.000 spanische Pendler, die jeden Tag zu Arbeitszwecken nach Gibraltar kommen, geimpft worden sein. "Für diesen Schritt hatte sich die Regierung bereits im März entschieden – nach Behördenangaben auch deswegen, weil zu diesem Zeitpunkt die Impfung der Einheimischen bereits kurz vor dem Abschluss gestanden habe." Aktuelle Daten würden aber zeigen, "dass durchaus noch Lücken beim Impfschutz der Gibraltarer bestehen", schreibt die Süddeutsche.
Am 26. Juni wurden laut aktuellsten Daten der Johns Hopkins University 23 Neuinfektionen registriert. Die 7-Tage-Inzidenz liegt derzeit bei 28.
Laut der Süddeutschen Zeitung betreffen die Ansteckungen nicht nur Einheimische: Von den über 300 Infizierten sind rund 30 Besucher. Am Sonntag (25. Juli) wurden insgesamt 18 Neuinfektionen gemeldet, zehn davon betrafen vollständig Geimpfte aller Altersgruppen. Die acht ungeimpften Infizierten gehörten ebenfalls unterschiedlichen Altersgruppen an, am Samstag war unter den Neuinfizierten auch eine ungeimpfte Person im Alter zwischen 100 und 105 Jahren.
Doch wegen der (auch abzüglich der spanischen Pendler) dennoch hohen Impfquote kommt es kaum zu schwerden Covid-19-Verläufe. Neun der infizierten Personen wurden mit Stand Sonntag laut der Süddeutschen im Krankenhaus behandelt, eine davon auf der Intensivstation. Fast alle Infektionen lassen sich auf die Delta-Variante zurückführen.