Forscher blicken mit neuer KI-Technik live in Abläufe im Gehirn
Eine neue Methode, um in die Feinstrukturen des Gehirns zu schauen, stellt ein Team um Wissenschafter vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg (NÖ) vor. Im Fachjournal "Nature Methods" präsentieren die Forscher eine ausgeklügelte Abfolge an Mess- und Verarbeitungsschritten unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), die es erlaubt, sehr genaue Bilder über die Zeit hinweg anzufertigen - eine Art 3D-Live-Betrachtung an lebendem Gewebe also.
Da man mit dem neuen System hochaufgelöste Bilder und 3D-Rekonstruktionen erhält und im Gegensatz zu anderen Methoden die Probe dabei nicht zerstört wird, hört die Methode auf den Namen "Live Information Optimized Nanoscopy Enabling Saturated Segmentation" (LIONESS). Dass ihr Ansatz funktioniert, haben die Wissenschafter unter Federführung von Johann Danzl und seiner Arbeitsgruppe am ISTA, mit Studien-Erstautor Philipp Velicky und Kollegen, an im Labor kultiviertem Hirngewebe, an Gehirn-Organoiden und Proben aus dem Hippocampus von Versuchstieren gezeigt.
Lebendes Gewebe
Während mit der Elektronenmikroskopie (EM) zwar sehr detaillierte Aufnahmen kleinster Strukturen in 3D gemacht werden können, müssen die Proben hier fixiert und dann physisch geschnitten oder schichtweise abgetragen werden. Das lässt ein Untersuchen von lebendem Gewebe nicht zu. Genau das interessiert aber viele Forscher, da gerade die Abläufe im Gehirn sehr dynamisch, veränderlich und komplex sind.
Bei der Lichtmikroskopie wird rein optisch durch die Probe "geschnitten", aber die Auflösung von mehreren hundert Nanometern ist zu gering, um Hirngewebe im Detail entschlüsseln zu können. Um auf höhere Auflösung zu kommen, wenden die Forscher deshalb spezielle Verfahren (Superresolution Mikroskopie) an. Zur Live-Darstellung von Geweben baute das ISTA-Team auf Arbeiten anderer Forscher auf. Sie versehen den Raum um die Zellen mit Farbstoff. Dann wird der negative Schatten der eigentlich unsichtbaren Zellen sozusagen belichtet. Will man das Gewebe allerdings in 3D abbilden und so feine Strukturen wie jene im Gehirn entschlüsseln, so muss man im Rahmen der Superresolution-Technik aber mit hohen Lichtintensitäten arbeiten, die dazu führen, dass man dem Gewebe quasi dabei zusehen kann, wie es durch die Wechselwirkung mit dem Licht zerstört wird, sagte Danzl im Gespräch mit der APA.
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Um Hirngewebe in 3D zu rekonstruieren, während es lebt, gingen die Wissenschafter daran, sich den gesamten Prozess von der Probenpräparation über die optische Bildgebung bis zur Interpretation anzusehen. Sie führten dabei Expertise aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammen - von der optischen Physik, Computerwissenschaft bis zu den Neurowissenschaften.
3D-Einblicke
Das nun im Rahmen von LIONESS eingesetzte Licht liegt im Infrarot-Bereich, auch weil das für das Gewebe am schonendsten ist. Außerdem veränderten die Wissenschafter die Lichtmuster, mit denen die Probe bestrahlt wird, um die Auflösung in allen drei Raumrichtungen zu erhöhen. "Das hat uns eine sehr gute 3D-Definition des Gewebes gegeben", erklärte Danzl. Der Schlüssel lag nun darin, das Ausmaß an eingesetztem Licht möglichst gering zu halten, um die Probe so wenig wie möglich zu beeinflussen.
Hier kamen Methoden des "Deep Learnings" ins Spiel. So wird bei der neuen Methode jeder Bildpunkt nur sehr kurz (wenige Mikrosekunden) mit den Laserstrahlen abgerastert, sodass sich nach rund zwei Minuten ein 3D-Bild des Gewebsvolumens aufgebaut hat. In diesem Bild zeichnen sich aber die Strukturen nur grob vom Hintergrund ab. Dann kommen die KI-Systeme ins Spiel, die auf Basis dieses "geringen Signals" detailliertere Bilder aufbauen können, sagte Danzl. Das gelingt, weil die KI zuvor anhand von vielen Bildern darauf trainiert wurde, wie sich derart wenige Bildinformationen in feine Strukturen des Hirngewebes übersetzen. Damit erhält man ein detailliertes Volumen-Bild des Gewebes in schwarz-weiß.
Die zweite "Deep Learning"-Ebene wurde dann anhand von Bildern von Gehirnstrukturen trainiert, die die Forscher in einem zeitaufwändigen Prozess eigenhändig mit verschiedenen Farben versehen haben, für jede Nervenzelle mit all ihren feinen Strukturen eine eigene. So lernte das System letztlich auch das Feinstruktur-Bild zu "kolorieren" und Strukturen in 3D einzelnen Nervenzellen zuzuweisen. Letztlich erstellt also die KI eine genaue Rekonstruktion des Gewebes, das eigentlich gar nicht so detailliert fotografiert wurde.
Die neue Methode eröffne in der Grundlagenforschung neue Möglichkeiten, weil sich nun die Veränderungen in einer Probe auf der Skala von Minuten bis Tagen fassen lassen und man gleichzeitig die molekularen Maschinerien und die zelluläre Signalaktivität in den räumlichen Kontext der zellulären Gewebestruktur stellen kann. So habe man bereits in Ansätzen gezeigt, dass sich damit nachvollziehen lässt, was sich in dem Nervenzell-Netzwerk tut, wenn es manipuliert wird, erklärte Danzl.