Wissen/Gesundheit

Essig und Kamillentee: Gesund durch Glukose-Tricks?

Eine Biochemikerin, die zum Instagram-Star mit mehr als einer Million Fans wird und täglich über Glukose-Spiegel schreibt: Die ungewöhnliche Karriere von Jessie Inchauspé hat dramatisch begonnen. Bei einem Sprung von einer Wasserfall-Klippe brach sie sich die Wirbelsäule. Nach mehreren Operationen folgten Depressionen und die Frage, wie man sich ins Leben zurückkämpft.

Wieder im Arbeitsleben, aber noch nicht ganz fit, war sie „wie verrückt auf der Suche danach, was einen gesunden Körper ausmacht.“ Der Aha-Effekt setzte bei der Auswertung ihres Blutzuckerspiegel-Monitorings ein. Sie testete sich selbst und war überrascht, wie hoch ihr Zucker-Wert nach Mahlzeiten war – obwohl sie kein Diabetes hat. „Erst dann habe ich erfahren, dass neunzig Prozent aller Menschen Glukose-Hochs haben.“ Also zwischendurch immer wieder sehr hohe Zuckerwerte.

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Akne bis Unfruchtbarkeit

Diese vielen Hochs (engl. Spikes) können laut Inchauspé nicht nur zu Diabetes Typ 2 führen, sondern auch schon Jahre davor für Hormonschwankungen, Entzündungen im Körper, Stimmungstiefs und vieles andere verantwortlich sein. „Das geht bis zur vorzeitigen Alterung, weil jedes Glukose-Hoch freie Radikale und Stresshormone freisetzt“, erzählt sie in Interviews, die auf unzähligen Fitness-Seiten zu finden sind. (Experten-Kritik siehe rechts) „Ich merkte, dass der Glukosespiegel sogar meine Angstzustände beeinflusst.“

Seither hat sich die gebürtige Französin intensiv mit dem Thema beschäftigt und sogar ein Buch verfasst. „Der Glukose-Trick“ wurde zum weltweiten Sachbuch-Bestseller. Ihre ganz konkreten Tipps, die sie mit persönlichen Zuckerwerten untermauert, haben oft klein angelegte Studien als Grundlage.

Definition
Diabetes  ist eine chronische Erkrankung, die durch einen erhöhten Blutzuckerspiegel gekennzeichnet ist.  Der Kohlenhydrat- oder Zuckerstoffwechsel durch Insulin funktioniert nicht mehr so, wie er sollte

600.000 Österreicher haben  Diabetes, bis zu 20 Prozent wissen aber (noch) nichts von ihrer Erkrankung. Rund 90 Prozent stellen dabei den ernährungsbedingten Typ-2-Diabetiker dar. Typ-1 ist eine Autoimmunerkrankung, bei der kein Insulin produziert  werden kann und die meist im Kindesalter auftritt
Mehr Informationen zu

Diabetes-Typ-2 finden Sie in der Online-Broschüre „Zeitbombe Zuckerkrankheit“: oedg.at

Es kommt auf die Reihenfolge an

Ihr Hauptprinzip: Vor Zucker und Kohlenhydraten (die dann ja auch in Zucker umgewandelt werden) Gemüse essen. „Die darin enthaltenen Ballaststoffe lassen den darauffolgenden Zucker langsamer resorbieren“, erklärt die Autorin. Es komme also ganz viel auf Reihenfolge der Nahrungsaufnahme an. Zuerst das Gemüse, dann Fett, Eiweiß und am Ende die Kohlenhydrate und Zucker.

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Ihre noch einfacher zu realisierenden Tipps: Einen Esslöffel Apfelessig mit Wasser oder Salat mit Essig-Marinade vor der Mahlzeit. „Essig verlangsamt die Spaltung von Kohlenhydraten in Glukose, das vermindert Spikes“.

Was laut Inchauspés Daten noch einen signifikanten Effekt hat, ist Kamillentee. Als Digestif nach dem Essen getrunken, soll es den Blutzuckerspiegel niedrig halten.

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Diese und weitere Infos teilt die Biochemikerin seit einiger Zeit im Netz, weil „immer mehr Freunde von Freunden meine Infos haben wollten.“ Um die komplizierten Daten ihres Insulinspiegels für Interessierte anschaulicher zu machen, entwickelte sie ein Programm, das ihre Werte in Graphen umwandelt. Und wie sehr hält sie sich selbst an ihre Vorgaben? „Ich liebe Pasta und Croissants. Aber ich achte darauf, dass ich nicht zu viel davon esse und wende meine Tricks auch gerne an – ohne dabei zu strikt zu sein.“

Für den KURIER haben sich Diabetesspezialist Michael Resl und Ernährungswissenschafterin Carmen Klammer  die Aussagen in Inchauspés Ratgeber genauer angesehen. Ihr grundlegendes Fazit: „Das Buch ist gut, um Bewusstsein für die Problematik zu schaffen, und die Grundaussagen unterstützen wir“, sagt Resl.

Es gibt jedoch auch viele „Aber“: „Die Autorin geht oft von Untersuchungen aus, die an Diabeteskranken durchgeführt wurden. Diese reagieren aber ganz anders auf Zucker als gesunde Menschen.“ Generell seien die Tipps viel zu vereinfacht. Denn der menschliche Körper  reagiere äußerst  individuell, was den Blutzuckerspiegel  angeht. „Was einer Person einen hohen Glukose-Wert beschert, muss beim anderen zu keinen hohen Ausschlägen führen.“

Neben der Ernährung spielen auch die Fitness, Stress oder Genetik eine Rolle.

Macht keinen Sinn

Zudem sind Studien wie jene von Kamillentee als Glukose-Senker „nicht sehr fundiert“, so  Resl. Der Aspekt der Bewegung als  effektives Mittel, um den Zuckerspiegel stabil zu halten, komme viel zu kurz.

Was die Reihenfolge der Nahrungsaufnahme betrifft, klärt  Carmen Klammer auf: „Es macht ernährungsphysiologisch keinen Sinn, bestimmte Lebensmittel nacheinander zu essen. Der Magen verdaut nicht nach dieser Reihenfolge.“

Wichtig ist nur, dass eine Mahlzeit verschiedene Komponenten wie Ballaststoffe, Proteine und  Fette mit Kohlenhydraten enthält. „Das führt das zu stabilen Zuckerwerten.“ Nur aus diesem Grund funktioniere Inchauspés Rat tatsächlich, die Reihung sei aber egal. Dieser Tipp sei das ohnehin von Ärzten empfohlene Tellermodell, das „leider nur nicht so en vogue klingt wie die Aussagen im Buch“.