600.000 Menschen in Österreich von Einsamkeit betroffen
Es sind nicht nur ältere Menschen, die vereinsamen, sondern auch immer mehr Kinder und Jugendliche. Die starke Nutzung sozialer Netzwerke führe bei der jungen Generation zu Einsamkeit, insbesondere Mädchen und Frauen sind laut Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen (BÖP), betroffen. Zudem fühlen sich viele Junge isoliert und nicht gehört, rutschen in Depression und Hilflosigkeit. "Wir wollen und müssen Einsamkeit aus der Tabuzone holen. Es gibt immer mehr Menschen, die sich ausgeschlossen und nicht verstanden fühlen und wir wissen, dass das körperlich und psychisch krank macht", betonte Wimmer-Puchinger bei einer Pressekonferenz am Mittwoch.
Rund 600.000 Menschen in Österreich seien laut aktueller Studie der Caritas mehr als die Hälfte ihrer Zeit unfreiwillig allein, die Dunkelziffer sei vermutlich höher. Die Gründe, warum jemand einsam ist, können sehr unterschiedlich sein – etwa hochbetagte Menschen, die alleine leben, nicht mehr mobil sind, und deshalb kaum Menschen treffen, finanzielle Probleme, die es erschweren am sozialen Leben teilzunehmen, Krebserkrankungen oder andere chronische Erkrankungen, die zu sozialem Rückzug führen, Geflüchtete, die ihre Familien zurücklassen mussten, oder pflegende Angehörige und Familien mit Menschen mit Behinderung.
Einsamkeit führt zu psychischen und körperlichen Erkrankungen
Die Folgen der Einsamkeit können sich neben psychischen Erkrankungen wie Depression und Angststörungen auch in körperlichen Erkrankungen zeigen, dazu zählen etwa Herzleiden, Schlaflosigkeiten und ein negativer Einfluss auf das Immunsystem. Eine Studie aus den USA und Frankreich habe gezeigt, dass durch Einsamkeit ein um 40 Prozent höheres Risiko für Alzheimer besteht. "Einsamkeit macht krank, senkt das Selbsthilfepotenzial und fördert bei älteren Menschen Pflegebedürftigkeit. Wir brauchen mehr Heimhilfen, mehr Alltagsbegleitung, mehr Begegnungsmöglichkeiten wie Tageszentren sowie Bringdienste, die eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen", forderte Elisabeth Anselm vom Hilfswerk.
Insgesamt acht Hilfsorganisationen – neben dem BÖP die Caritas, das Hilfswerk, das Rote Kreuz, die Diakonie, die Österreichische Krebshilfe, die Armutskonferenz und die Allianz onkologischer PatientInnenorganisationen – fordern in einem 10-Punkte-Maßnahmenkatalog die neue Bundesregierung dazu auf, Einsamkeit in ihre Agenda aufzunehmen. "Einsamkeit ist ebenso unsichtbar wie Armut. Es gibt schon einzelne Projekte, die sich an einsame Menschen richten, aber das reicht nicht. Es braucht die Gesellschaft und die Politik, um Einsamkeit wirksam angehen zu können", sagte Anna Parr von der Caritas Österreich. Gefordert wird ein nationaler Aktionsplan, an dem mehrere Bundesministerien beteiligt sind.
- Ende der Tabuisierung und Stigmatisierung von Einsamkeit
- Erarbeitung eines nationalen Aktionsplans
- Etablierung einer Koordinationsstelle gegen Einsamkeit
- Bezifferung volkswirtschaftlicher Kosten von Einsamkeit und Finanzierung evidenzbasierter Forschung
- Ausbau der kostenfreien psychologischen Versorgung
- Recht auf barrierefreie und mehrsprachige Angebote gegen Einsamkeit
- Fokus auf besonders vulnerable Gruppen
- Appell an soziales Miteinander - Unterstützung von sozialer Teilhabe und Selbstermächtigung
- Schaffen einer Kultur des neuen Miteinanders
- Recht auf analoge Angebote
Gefühl, gebraucht zu werden, ist zentral
Ziel sei etwa, Versorgungslücken hinsichtlich psychologischer Beratung und Psychotherapie, insbesondere in ländlichen Regionen, zu schließen. Auch der Zugang zu kassenfinanzierter psychologischer Behandlung solle weiter verbessert werden.
Ebenso gefordert wurde Gruppen, die besonders wenig in der Gesellschaft gebraucht werden, einzubeziehen. "Der Weg aus der Einsamkeit führt über die Bedürfnisse anderer. Sich um andere zu kümmern, für jemanden da sein und sich freiwillig zu engagieren kann ein wichtiger Weg aus Einsamkeit sein – das Gefühl, da ist jemand, der mich braucht", betonte Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich.
Erfolgreiche Beispiele seien etwa Menschen, denen bei der Integration in Österreich geholfen worden ist, die nun etwas zurückgeben möchten und sich bei Besuchsdiensten von Menschen im Alter engagieren. Dazu brauche es jedoch Koordinationsarbeit, um Menschen zusammenzubringen – diese Freiwilligenorganisation ist einer der Punkte, der im Aktionsplan gefordert wird.
Paul Sevelda, Präsident der Österreichischen Krebshilfe, forderte besonderes Augenmerk auf vulnerable Gruppen, zu denen Krebspatientinnen und -patienten zählen, zu legen. "Eine Krebsdiagnose führt häufig zu Isolation. Viele ziehen sich zurück. Ich hoffe, dass unsere Initiative von der neuen Bundesregierung gehört wird", sagte Sevelda.
Weitere der 10 Punkte sind beispielsweise die Forderung nach wissenschaftlicher Forschung, um die Datengrundlage zu Einsamkeit zu verbessern sowie die Forderung nach analogen Angeboten, um vor allem ältere Menschen nicht von Angeboten auszuschließen.