Wissen/Gesundheit

"Corona-Schwimmreifen": Zwei Kilo Gewichtszunahme im Shutdown

Die Bevölkerung in Österreich hat während des Corona-Lockdown im Schnitt rund zwei Kilogramm zugenommen: Darauf deutet jetzt eine erste kleine Studie der Österreichischen Gesellschaft für Public Health und der MedUni Wien hin, deren Ergebnisse am Donnerstag präsentiert wurden.

Zwölf Personen im Durchschittsalter von 38 Jahren haben von Mitte März bis Ende April ihr Verhalten (Alltagsaktivität, Sporteinheiten, Schlafqualität, Energieverbrauch) gemessen und dokumentiert. Niemand war von Jobverlust oder Kurzarbeit betroffen. Im Schnitt waren sie mit dem Ende des Studienzeitraumes um zwei Kilogramm schwerer.

Die Teilnehmer waren mehr als 22 Stunden (exakt 22 Stunden und 54 Minuten) am Tag inaktiv. Darunter fallen: liegen, sitzen und stehen. "Lediglich 42 Minuten am Tag waren Alltagsaktivität", sagt Christian Lackinger von der MedUni Wien (Unit Lifestyle & Prevention): "Das erscheint auf den ersten Blick sehr wenig, ist aber auf den zweiten Blick logisch: Wenn ich im Alltag keinen Grund habe, aktiv zu sein, komme ich auch auf so wenig aktive Zeit." Vor dem Lockdown betrug die Zeit für gehende Alltagsaktivitäten immerhin eine Stunde und 40 Minuten.

Im Schnitt betrieben die Teilnehmer 20 Minuten Sport am Tag - das ist aber nur ein Durchschnittswert, manche Probanden machten gar keinen Sport, manche hingegen eineinhalb Stunden.

Was sich verändert hat

Da von den Probanden auch Daten von vor dem Shutdown zur Verfügung standen, konnte das Aktivitätsniveau vorher und nachher verglichen werden. Resultat: Die Alltagsaktvität war natürlich vorher, mit einer Stunde und 40 Minuten, deutlich höher als im Homeoffice.

50 Prozent der Teilnehmer waren vor der Krise sowohl im Alltag aktiv und haben auch Sport gemacht, ein geringer Teil hat vorher ausschließlich Sport betrieben - das dürften vor allem jene gewesen sein, die den Arbeitsweg aus Zeitersparnisgründen sportlich zurückgelegt haben. Die andere Hälfte hat keinen Sport gemacht, war aber alltagsaktiv mit mehr als 5000 Schritten am Tag.

Wirklich inaktiv - mit weniger als 5000 Schritten am Tag - war Anfang März niemand.

Jene, die vorher Sport betrieben haben, haben das auch im Lockdown beibehalten. Jene, die keinen Sport gemacht haben, haben damit aber auch nicht damit angefangen. "Was aber weggefallen ist: Jene, die im Alltag aktiv waren, mit oder ohne Sport, sind von ihrem Aktivitätsniveau her deutlich heruntergefallen und waren dann im Alltag weniger aktiv. Die ohnehin schon geringe Alltagsaktivität wurde nochmals halbiert. Das ist eine Katastrophe. Wir hatten Leute, die legten am Tag weniger als 2000 Schritte zurück - und das war keine Seltenheit." Fazit: Sport wurde beibehalten, aber die Alltagsaktivität von den meisten reduziert. "Es wurde aber nicht die neugewonnene Zeit für Sport genutzt."

300 bis 500 Kilokalorien mehr pro Tag

Während der Grundumsatz (der Energieverbrauch in Ruhe) gleich blieb, ist der Leistungsumsatz aus Alltagsaktivität und Sport durch den Wegfall dieser einen Stunde Bewegung um 300 bis 500 Kilokalorien pro Tag reduziert worden. "Wenn ich über sechs Wochen hindurch jeden Tag 400 Kalorien weniger durch Aktivität verbrauche, komme ich sehr schnell auf knapp 20.000 zusätzliche Kilokalorien, die dann zu diesem Corona-Schwimmreifen führen."

Fazit: Die Studienteilnehmer nahmen in den sechs Wochen bis zu vier Kilogramm zu, im Schnitt waren es knapp zwei Kilogramm. "Gerade in den letzten zwei Märzwochen kam es zum größten Gewichtsanstieg."

Grundsätzlich ist es den Studienteilnehmern gut gegangen, niemand war in seiner Existenz bedroht.Trotzem war aber die Schlafqualität schlecht: "Selbst bei unseren ,problemfreien` Personen hat die Schlafqualität gelitten."

Ähnliche Erfahrungen aus anderen Ländern

In Italien hat nach ersten Untersuchungen im Shutdown im Durchschnitt jeder Italiener zwei Kilo zugenommen, in Japan betrug die durchschnittliche Gewichtszunahme 2,6 Kilogrammm bei den Frauen und 3,3 Kilogramm bei den Männern. Größere Studien für Österreich laufen noch.  Aber: "Nach ersten Schätzungen können wir davon ausgehen, dass auch in Österreich die durchschnittliche Gewichtszunahme zwei Kilogramm betragen hat", sagt Thomas Dorner von der MedUni Wien und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Public Health.

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Mehrere Jahre bis zum Ausgangsgewicht?

Daten, wie rasch eine Gewichtszunahme, die durch einen Lockdown bedingt war, rückgängig gemacht wird, gibt es nicht. Aber es gibt Daten aus Deutschland, den USA und Japan zu dem Effekt der Weihnachtsfeiertage: Da betrug die Gewichtszunahme im Schnitt 500 Gramm. "Und es dauerte ein halbes Jahr, bis das Gewicht wieder den Ausgangswert erreicht hatte."

Wenn man nicht gegensteuert, würde es wahrscheinlich mehrere Jahre dauern, bis man wieder das Ausgangsgewicht erreicht hat, sagt Dorner.

Auswirkungen auf die Sterblichkeit

Der Effekt einer Gewichtszunahme von zwei Kilogramm werde unterschätzt, sagt Dorner. Bereits eine geringe Zunahme habe deutliche Auswirkungen auf das Sterblichkeitsrisiko. Dorner präsentierte mit Verweis auf internationale Studien und Statistiken folgende Zahlen:

Gewichtszunahme 0,6 bis 1 Kilogramm:

Das Sterblichkeitsrisiko (in einem Jahr) erhöht sich in der Altersgruppe 18 bis 35 Jahre um 26 Prozent, in der Altersgruppe 35 bis 50 Jahre um 19 Prozent, bei den 50- bis 69-Jährigen um fünf Prozent (das ist nicht signifikant).

Gewichtszunahme mehr als ein Kilogramm:

Hier erhöht sich das Sterblichkeitsrisiko in der Altersgruppe 18 bis 35 Jahre um 66 Prozent, bei 35- bis 50-Jährigen um 61 Prozent und bei den Über-50-Jährigen um 17 Prozent.

Zunahme an verschiedenen Krankheiten

Dorner hat ausgerechnet, was das in konkreten Zahlen bedeuten würde: Unter der Annahme,  dass die Bevölkerung zwischen 20 und 69 Jahren zwischen 600 Gramm und einem Kilogramm im Schnitt zugenommen hat, gäbe es jährlich eine statistische Übersterblichkeit von 1.355 Todesfällen pro Jahr. Bei einer Gewichtszunahme von mehr als einem Kilogramm im Schnitt würden, statistisch gesehen, mehr als 4000 zusätzliche Todesfälle pro Jahr dazu kommen.

Die Gründe für die erhöhte Sterblichkeit liegen in einer Zunahme von  Krankheiten, die durch ein verstärktes Körpergewicht mitbedingt sind, wie z.B. Zuckerkrankheit, Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen. Diese können in der Folge zu Herzkreislauferkrankungen, Herzinfarkten und Schlaganfällen führen, aber auch das Risiko für Todesfälle durch Krebserkrankungen und Infektionskrankheiten steigt an. Viele dieser Sterbefälle werden erst nach einigen Jahren auftreten, es sei aber auch unmittelbar bereits mit Sterbefällen zu rechnen.

Dorner: "Deshalb braucht es jetzt mehr denn je Anstrengungen auf allen Ebenen, damit Bewegung und Training einen noch höheren Stellenwert erlangen. Sonst haben wir deutlich mehr Sterbefälle als wir durch den Lockdown retten konnten." Darauf wiesen bei der PK auch Vertreter der Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen (SVS) und des Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) hin, die jetzt nach dem Shutdown ihre Bewegungsangebote wieder hochfahren.

 

 

 

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