Wissen/Gesundheit

Daten zu Blue Zones "totaler Müll": Der wahre Grund für ein langes Leben

"Die Daten über extrem lang lebende Menschen sind totaler Müll." Das sagt Wissenschafter Saul Justin Newman vom Zentrum für Längsschnittstudien des University College London. Er hat sich die Zahlen in den sogenannten Blue Zones genauer angesehen. Jene Regionen, in denen Menschen angeblich viel länger als der Durchschnitt leben. 

Viele Kochbücher, Ratgeber und eine bekannte Dokureihe auf Netflix gibt es dazu. In der Doku werden die angeblichen Geheimnisse um das hohe Alter gelüftet: Bewegung, sozialer Kontakt, pflanzliche Ernährung und einiges mehr.

Newman kritisiert jedoch die Zahlen massiv, von denen ausgegangen wird. Im Interview mit theconversation.com spricht er über seine Untersuchungen, für die er mit dem Ig Nobel Preis ausgezeichnet wurde.

Wenige Geburts- oder Sterbeurkunden

"Ich habe 80 Prozent der Menschen über 110 auf der Welt aufgespürt (die anderen 20 Prozent stammen aus Ländern, die man nicht sinnvoll analysieren kann). Fast keiner hatte eine Geburtsurkunde. In den USA gibt es über 500 dieser Menschen; nur sieben von ihnen haben eine Geburtsurkunde. Schlimmer noch: Nur etwa 10 Prozent haben eine Sterbeurkunde."

Auch Okinawa wird oft als Gebiet der Superalten genannt und vermarktet. Newman dazu: "Bereits eine Untersuchung der japanischen Regierung im Jahr 2010 ergab, dass 82 Prozent der Menschen über 100 in Japan tot waren. Das Geheimnis, 110 Jahre alt zu werden, bestand darin, seinen Tod nicht zu registrieren."

Starke Trinker, wenig Gemüse

Zudem sei der Lebenwandel nicht so vorbildlich wie oft angenommen: "Die japanische Regierung hat seit 1975 eine der größten Ernährungsumfragen der Welt durchgeführt. Von damals bis heute hatte Okinawa den schlechtesten Gesundheitszustand in Japan. Sie haben am wenigsten Gemüse gegessen; Sie waren extrem starke Trinker."

Auch bei anderen Blue Zones zeigen die Daten ein anderes Bild als es Ratgeber oder Dokus tun: Sardinien habe von 128 Regionen die 51. höchste Lebenserwartung in Europa, das griechische Ikaria belegt den 109. Platz. 

Hohe Raten an Pensionsbetrug

"Es ist erstaunlich, welche kognitive Dissonanz herrscht. Bei den Griechen waren nach meinen Schätzungen mindestens 72 Prozent der Hundertjährigen tot oder vermisst, es gab eine massive Anzahl von Pensionsbetrug."

Der Betrug sei beträchtlich. Nach Angaben des griechischen Ministeriums, das für Pensionen zuständig ist, gab es 9.000 Fälle, bei denen über 100-Jährige bereits tot waren, diese aber noch eine Pension bezogen hatten. Und in Italien wurden 1997 etwa 30.000 "lebende" Pensionsempfänger als tot aufgespürt.

Welche Faktoren also tatsächlich wichtig sind, um lange zu leben, wird laut dem Wissenschafter von Betrug, Irrtum und Wunschdenken verschleiert. "Der Ausweg besteht darin, Physiker einzubeziehen, um ein Maß für das menschliche Alter zu entwickeln, das nicht von Dokumenten abhängt. Daraus können wir dann Metriken erstellen, die uns helfen, das Alter von Menschen zu messen."

Grund für langes Leben: Reichtum 

Der wahrscheinlichste Grund für ein langes Leben sei Studien zufolge wohl Wohlstand, so Newman. "Reiche Menschen treiben viel Sport, haben weniger Stress und ernähren sich meist gut."

Das hat zuletzt auch eine US-Studie aus dem Jahr 2021 gezeigt. Zumindest in den USA wurde dieser Zusammenhang gefunden. Eine Kohortenstudie untersuchte die gemeinsamen Umwelt- und genetischen Merkmale sowie das Sterblichkeitsrisiko erwachsener Personen, Geschwister und Zwillinge, die an einer Längsschnittstudie teilnahmen. Details hier.

Newman hat gerade eine Untersuchung im Pre Print veröffentlicht, die zeigt, dass Daten von Ländern wie Thailand und Malawi, in denen scheinbar sehr alte Bewohner leben, äußerst fehlerhaft sind. "Selbst Nationalstaaten oder globale Organisationen sind weiterhin nicht in der Lage, Fehlerraten in menschlichen Altersdaten zu erkennen oder zu messen, was besorgniserregende Auswirkungen auf Epidemiologie, Demografie und Medizin hat."