Kontaminierte Rasierer: Pilzinfektionen greifen in Barbershops um sich
Kreisrunde, gerötete, schuppig-verkrustete Hautstellen am Kopf – oft begleitet von Haarausfall an den betroffenen Arealen: Ein Pilz auf der Kopfhaut ist eine unangenehme, hartnäckige, potenziell folgenschwere Angelegenheit. Unbehandelt können sich tief liegende Infektionen bilden, die Narben hinterlassen. Dort können keine Haare mehr wachsen – wegen zerstörter Haarfollikel bleiben kahle Stellen zurück.
In Deutschland häufen sich derartige Infektionen, in der Medizin spricht man von Ringelflechte bzw. Tinea corporis, in jüngster Zeit. Übeltäter ist der Hautpilz Trichophyton tonsurans. Er soll, warnen Fachleute, über schlecht desinfizierte Scher- und Rasurwerkzeuge in Barbershops auf die Kopfhaut Betroffener – meist sind es Männer oder Buben – gelangen. Auch wenn Umhänge und Handtücher in den auf Bartpflege und Rasur spezialisierten Salons für mehrere Personen verwendet werden, hat der Pilz leichtes Spiel.
Dermatologe Martin Schaller von der Universitätsklinik Tübingen schlägt im Gespräch mit dem Spiegel alarmierende Töne an: Trichophyton tonsurans sei nach dem Fußpilz momentan der häufigste in der Klinik diagnostizierte Hautpilz. Er beobachte die Ausbreitung schon seit mehreren Jahren. Laut Schaller sei der Pilz nicht nur in Deutschland allgegenwärtig – er spricht von einer "europaweiten Pandemie".
Fälle häufen sich auch hierzulande
Tatsächlich schlagen nun auch Medizinerinnen und Mediziner in Österreich Alarm: So hat etwa auch der Salzburger Dermatologe Manfred Wieser immer häufiger mit dem Krankheitsbild zu tun, wie er im Gespräch mit dem ORF schildert. "Wir hatten früher sehr wohl auch Hauterkrankungen bei Kindern am Kopf. Nun sehen wir immer mehr Infektionen besonders bei jungen Burschen, am Hinterkopf und beim Haaransatz an der Schläfe."
Diese Stellen sind typisch für die grassierenden Pilzinfektionen, betonen auch deutsche Fachleute. Durch derzeit angesagte Undercut-Frisuren – hierbei wird die untere Kopfhälfte rasiert – sind Hinterkopf und Schläfen besonders gefährdet. "Wir sehen sehr viele Betroffene mit Pilzinfektionen am Kopf, vor allem im Nacken, wo die Haare ausrasiert werden", wird Petra Wörl, Oberärztin und Leiterin der Ambulanz an der Erlanger Hautklinik, von der Apotheken Umschau zitiert. "Wenn wir nachfragen, stellen wir fest: Der überwiegende Teil der Patienten hat sich in den Wochen zuvor in einem Barbershop die Haare und/oder den Bart rasieren lassen."
Bundesinnung schreitet zur Tat
Wolfgang Eder, Bundesinnungsmeister der Friseure, ortet im teils mangelnden Wissen über Haut und Hygiene bei Barbieren die Wurzel des Problems: "Wenn Werkzeuge nach der Behandlung nicht ordentlich desinfiziert werden, können Pilze übertragen werden", präzisiert er im KURIER-Interview. Die Bundesinnung habe vor einigen Wochen erstmals durch ein Schreiben des niederösterreichischen Gesundheitsamtes von Infektionsfällen hierzulande erfahren. "Mittlerweile ist es zu weiteren Ansteckungen gekommen", sagt Eder.
Das hat Konsequenzen: Während es bisher in der Branche keine gesetzlich verpflichtende Hygienevorschrift, sondern lediglich Empfehlungen gab, wird nun an einer entsprechenden rechtlichen Grundlage gearbeitet. "Wir von der Innung werden uns zusammen mit den Behörden und der AUVA Gedanken über eine gesetzliche Hygienevorschrift machen, damit die Behörden eine Grundlage für ein entsprechendes Einschreiten haben."
Warum gab es eine solche bislang nicht? Eder führt Veränderungen beim Gewerbezugang an: "Früher war die Meisterprüfung Voraussetzung für die Gründung eines Gewerbes. Da die Punkte Hygiene und Desinfektion im Berufsbild, der Ausbildung und den Prüfungen fest verankert sind, waren Empfehlungen ausreichend." Inzwischen können auch Personen aus dem Ausland aufgrund individueller Zulassung in Österreich Friseursalons eröffnen. Die Bundesinnung prüft ihre Eignung. Eder dazu: "Wir beobachten, dass es hier teils erhebliche Wissenslücken gibt."
Der Pilz nutzt kleinste Rasur-Verletzungen als Einfallstor. Weil der hochansteckende Pilz auf Oberflächen lange – mitunter über Wochen – überleben kann, sollten Rasierklingen nach jedem Kunden gewechselt, Schermaschinen gut gereinigt und desinfiziert werden.
Studie legt Übertragungswege nahe
In Deutschland warnen Fachleute schon seit geraumer Zeit vor dem Hautpilz. Bereits Ende 2020 untersuchte ein Team der Hautklinik der Helios St. Johannes Klinik in Duisburg, wie sich der Fadenpilz in Deutschland verbreitet. Es sei trotz kleiner Stichprobe sehr naheliegend, so fassen es die Autorinnen und Autoren im Fachblatt Mycoses zusammen, dass die Infektionen auf kontaminierte Haarschneide-Werkzeuge in besagten Salons zurückzuführen seien. "Die Kenntnis des Erregers und seiner Übertragungswege ist von entscheidender Bedeutung, um die Infektionskette zu unterbrechen", heißt es zudem.
Groß angelegte Studien zur Zunahme der Infektionsfälle und deren Ursachen fehlen allerdings. Denkbar sind neben Barbershops auch andere Übertragungsorte. Ein klassischer Übertragungsweg ist etwa auch Mattensport. Auch in Familien und Kindergärten springt die Infektion oft über.
Besonders tückisch: Infiziert man sich bei der Rasur mit Trichophyton tonsourans, treten die Beschwerden erst sehr viel später – oft erst nach ein bis zwei Wochen – auf. Erste Anzeichen sind juckende, rote Stellen am Kopf, die Haut schuppt sich, es kommt zur Bildung von Bläschen und Verkrustungen.
Pilztötende Lösungen oder Cremes und Shampoos schaffen Abhilfe. Zusätzlich können nach ärztlicher Konsultation auch Antipilz-Tabletten verschrieben und eingenommen werden, um tiefere Gewebeschichten zu erreichen. Zuhause sollten Polsterbezüge und Handtücher täglich gewaschen; Bürsten oder Kämme nicht gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern verwendet werden. Die Therapie muss meist einige Wochen lang durchgeführt werden, um eine Ausheilung zu erzielen. Nach etwa einer Woche Behandlung gilt man nicht mehr als ansteckend.
Wie Kunden schlechte Hygiene erkennen können
Die deutschen Forschenden kamen 2020 übrigens auch zu einem erfreulichen Ergebnis: Noch während des Untersuchungszeitraums setzten drei der 18 untersuchten Patienten einen Barbier über den Pilzbefall in Kenntnis. Man nahm daraufhin Proben von Kämmen und Klammern aus dem Salon. Man fand keinen Pilz. Der Barbier hatte seine Werkzeuge nach der Meldung seiner Kunden intensiv desinfiziert.
Der Ausbreitung des Pilzes kann also Einhalt geboten werden, sofern Barbershop-Betreiber das Hygieneniveau hochhalten. Kundinnen und Kunden sollten jedenfalls auf den Sauberkeitszustand des Salons achten und eine Desinfektion der Geräte verlangen. Auch sehr kurze Wartezeiten, ebenso wie sehr niedrige Preise und wechselndes Personal sollten Anlass zur Skepsis sein. Eder rät Kundinnen und Kunden, den Salon auf sich wirken zu lassen: "Der erste Eindruck täuscht meist nicht." Es sei auch legitim, zu beobachten und nachzufragen, ob und wie die Werkzeuge – vor allem jene, die direkt die Kopfhaut berühren – gereinigt werden. Barbiere sollten Kunden im Verdachtsfall wiederum umgehend zum Hautarzt oder zur Hautärztin schicken.