Ärzte kritisieren Zuständigkeits-Wirrwarr und fordern bessere Datenbanken
Die Corona-Pandemie hat nach Meinung der Österreichischen Ärztekammer gezeigt, dass Einsparungen im österreichischen Gesundheitswesen der falsche Weg sind.
"Wenn es einen systematischen Bettenabbau gegeben hätte, wie das viele gefordert haben, hätten wir das nicht geschafft", sagte Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Wien.
Szekeres kritisierte in dem Zusammenhang die Kopplung der Gesundheitsausgaben an das Bruttoinlandsprodukt (BIP), zumal in Deutschland (pro Kopf 4.504 Euro) und der Schweiz (pro Kopf 5.241 Euro) gemessen am BIP ein bis 1,5 Prozent mehr für die Gesundheit ausgegeben werden als hierzulande (3.966 Euro pro Kopf).
Das BIP sei aber gerade in der Pandemiezeit eingebrochen. In der Pandemie weniger Geld für die Gesundheit auszugeben, ist dem Ärztekammer-Präsident zufolge ein "Schildbürgerstreich": "Im Gegenteil, es braucht Mehrausgaben in der Pandemie."
EU darf nicht abhängig von anderen Staaten sein
Eine der Lehren aus Corona war laut Herwig Lindner, Vizepräsident der ÖÄK, auch, wie sehr die EU bei grundlegenden Medizinprodukten und Medikamenten von anderen Staaten abhängig war.
"Es ist die Aufgabe der EU, dafür zu sorgen, dass ein Basissatz an Medizinprodukten und Medikamenten in Europa selbst produziert werden", forderte Lindner.
"Das kostet zwar mehr, aber das müssen wir uns leisten. Was wäre gewesen, wenn China gesagt hätte, es gibt keine Masken und keine Mäntel mehr, weil wir sie selbst brauchen?" Die EU müsste festlegen, welche Produkte und Medikamente zu diesem Basissatz zählen. Die Produktion könne auf die EU-Länder aufgeteilt werden.
Lindner wies auch darauf hin, dass man auf den Höhepunkten der Corona-Pandemie nicht so sehr bei den Bettenkapazitäten an die Grenzen gestoßen sei, aber vorher noch beim gut ausgebildeten Personal.
Im Hinblick auf künftige Gesundheitskrisen müsste dieses Personal möglichst bald ausgebildet werden. "Wenn wir heute mit der Ausbildung beginnen, haben wir die Leute in fünf, sechs, sieben, acht Jahren zur Verfügung", konstatierte Lindner.
In Deutschland etwa würden nun Schwestern und Pfleger aus Kolumbien angeworben. "Das soll so sein, aber dann fehlen diese Menschen im eigenen Gesundheitssystem."
Österreich braucht bessere Datenbanken
Szekeres wies weiters darauf hin, dass es wie in Deutschland und der Schweiz auch in Österreich ein Zuständigkeits-Wirrwarr gab. Das habe sich bereits am Beginn der Covid-19-Pandemie bei der Beschaffung von Medizinprodukten gezeigt. "Es hat einige Zeit gedauert, bis hier bundesweit vorgegangen wurde."
Er wies auch darauf hin, dass es kontraproduktiv gewesen sei - etwa in Wien -, "die große Zahl impfwilliger niedergelassener Ärztinnen und Ärzte zu ignorieren".
Der ÖÄK-Präsident forderte einmal mehr die Verknüpfung von Medikationsdatenbank mit den Daten der Gesundheitsbehörden - anonymisiert oder pseudonymisiert.
"Damit könnten Zusammenhänge zwischen verabreichten Medikamenten und Krankheitsverläufen hergestellt werden. Im Idealfall finden wir auf diese Art Medikamente, die vor schweren Verläufen schützen", erläuterte Szekeres.
Auch eine Verknüpfung der Impfdatenbank mit der Infektionsdatenbank wäre demnach hilfreich. "Sollten die Infektionszahlen unter den geimpften Menschen steigen, könnte das auf Mutationen hinweisen, die Impfdurchbrüche verursachen", sagte Szekeres.
"Beispiel Delta: Je früher ich das weiß, umso früher kann ich gegensteuern. Vor allem mRNA-Impfstoffe können schnell angepasst werden. Wir gehen davon aus dass einmal pro Jahr aufgefrischt werden muss - wie bei der Grippe."
Ärzte begrüßen Impfpflicht bei neuen Mitarbeitern
Eine Impfpflicht ist dem ÖÄK-Präsidenten zufolge in Österreich "kein Thema": "Die Politik lehnt das ab, das muss man akzeptieren", sagte Szekeres. Die Ärztekammer begrüßt es aber, dass bei Neuanstellungen im Gesundheits- und Pflegebereich ein Impfnachweis verlangt wird.
"Die Frage sollte lauten: Haben die Menschen in Spitälern und Pflegeheimen ein Recht darauf, vor lebensgefährlichen Infektionen geschützt zu sein? Das ist eindeutig mit Ja zu beantworten", sagte Lindner.
Szekeres zufolge ist die Aufklärung beim Impfen am wichtigsten, auch in die verschiedenen Communities müsse man hineingelangen. "Belohnungen oder Zuwendungen - da glaube ich nicht, dass das der richtige Weg ist. Ich glaube aber, dass Tests irgendwann kostenpflichtig werden", so der Ärztekammer-Präsident. Der Schutz vor einer Ansteckung "sollte Anreiz genug sein", sagte Szekeres.