Diskussion: Ist die Demokratie in der Krise?
Das gibt es in dieser Fülle keinem anderen Bundesland: Der Bürgerrat ist eine Form der Bürgerbeteiligung und ist seit 2013 in der Landesverfassung verankert – ähnlich der Schöffen bei Gericht werden die Bürger per Los gewählt. Sie sollen Lösungen wie etwa Mobilitätskonzepte entwickeln. Hintergedanke: Man will die Menschen in das politische Geschehen einbeziehen.
Das Gesellschaftsforum FAQ Bregenzerwald in Vorarlberg war deshalb der passende Ort, um über die Zukunft der Demokratie, Teilhabe und Macht zu reden – im Rahmen des gesellschaftlichen Diskurses „überMorgen“.
Miteinander statt übereinander reden, ist die Idee der Reihe „überMorgen.“In acht Veranstaltungen sollen Zukunftskonzepte für zwölf Themen entworfen werden. Die Diskurse sind eine Initiative der Industriellenvereinigung mit dem Roten und der Erste Stiftung. Die nächste Diskussion findet am Mittwoch, 16, Oktober, in der Generali-Arena in Wien statt, (10. Horrplatz 1). Um 15 Uhr beginnen Gespräche in kleinen Runden, ab 18.30 Uhr die Podiumsdiskussion. Thema: Innovation und Exnovation. Was muss sterben - was soll werden? Anmeldung nötig. Internet: übermorgen.at
Noch vor 30 Jahren sah es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs so aus, als ob die Demokratie einen Siegeszug nehmen würde. Jetzt scheint es, dass sie in der Krise oder zumindest bedroht ist. „War die Euphorie verfrüht“, fragte Moderator und KURIER-Redakteur Christian Willim. „Sie war es“, meinte Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle: „Demokratie kommt ja nicht von alleine. Denn Demokratie heißt nicht automatisch, dass darin Demokraten geboren werden.“ Was braucht es also?: „Hier ist das Bildungssystem gefragt, aber nicht nur. Nötig sind ein System und eine Kultur, in der Demokratie nicht nur gelehrt, sondern auch gelebt wird.“ Wenn man in Schule, Beruf oder der Gemeinde keinen demokratischen Diskurs pflege, könne man nicht erwarten, dass sie auf höheren Ebene – im Parlament funktioniere.
Wie in der Wirtschaft
Unternehmer Hubert Rhomberg unterstreicht das: „Es ist ja auch in den Firmen so, dass Menschen mit einbezogen werden wollen. Dieses Top-down – der Chef befiehlt, die Mitarbeiter führen aus – funktioniert nicht.“ Auch die Wirtschaft braucht demokratische Strukturen.
Autor Andreas Tögel will das Wort Demokratie etwas anders definieren: „Im antiken Athen durfte auch nur eine Minderheit sich beteiligen – und zwar die, die sich an der politischen Diskussion beteiligten.“ Bei diesen Worten wird Barbara Blaha hellhörig. Die Gründerin des linken Thinktanks Projekt 360, kritisiert, „dass Eliten zu großen Einfluss in der Politik haben. Die Idee, dass das Einkommen darüber entscheidet, wie viel meine Stimme zählt, haben wir zum Glück überwunden.“
Wenn Pensionisten über die Pension abstimmen
Das Wahlrecht einschränken? „Keine gute Idee“, findet auch Stainer-Hämmerle. Wobei ein Problem bleibt: „Wenn immer mehr Menschen an einer Struktur hängen, die von Wahlen abhängen, ist das problematisch. Was heißt es z.B. für die Pension, wenn in einem Land die Mehrheit älter als 50 Jahren ist. Gibt es da noch eine Verteilungsgerechtigkeit?“, gibt Rhomberg zu bedenken.
Über Verteilungsgerechtigkeit und sozialen Frieden macht sich Barbara Blaha grundsätzlich Gedanken: „Wir sehen, dass in den vergangenen 25 Jahren der Reichtum immer ungleicher verteilt wird – und wer mehr Geld hat, hat mehr Einfluss.“ Dass das Vermögen so ungleich verteilt ist, habe nichts so sehr mit der realen Wirtschaft zu tun, stellt Hubert Rhomberg fest. „Wir als Unternehmer sind sichtbar, aber man sollte uns nicht in einen Topf werfen mit jenen, die in der virtuellen Wirtschaft ihr Geld verdienen.“ Dass die Wirtschaft zu sehr die Politik bestimmt, sieht er nicht so: „Schauen Sie ins Parlament. Da sind die Beamten sicher überproportional vertreten.“
Auch Experten sind nicht wertneutral
Welche Ideen gibt es aber, die Demokratie weiterzuentwickeln? Ein Grundproblem der Demokratie sei, dass Politiker nur für eine bestimmte Periode gewählt werden. Projekte, die längerfristige Auswirkungen haben, werden oft nicht angegangen. Deshalb gibt es Ideen wie die einer Kammer, in der Experten sitzen, die solche Themen über Parteigrenzen hinweg verfolgen und die keine Angst vor der Abwahl haben müssen.
Solche Experten können gewählte Mandatare höchstens beraten, mahnt Stainer-Hämmerle. „Denn Experten sind weder ideologie- noch wertfrei. Jeder der verspricht, dass es ein System gibt, das Frieden, Wohlstand und Gerechtigkeit für alle gleichermaßen sichert, ist ein politischer Scharlatan.“
Datenschutz als Exportschlager
Wie aber soll es mit der Demokratie weitergehen? Wie soll sie sich weiterentwickeln? Verena Ringler, die die europäische Projektboutique European Commons leitet, sieht hier die EU auf einem besseren Weg als viele Pessimisten: „Sie hat in einer Zeit, in der die Welt aus den Fugen zu geraten scheint, Krisenfestigkeit beweisen.“ Mehr noch: „Die EU ist ein Exporteur von Normen und Standards, weil sie Technologie und Grundrechte viel wesentlicher in Form gebracht hat. Die Datenschutzgrundverordnung ist weltweit ein Exportschlager.
In Europa sind wir es gewohnt zu kooperieren
Für Rhomberg ist die große Qualität von Europa, dass „wir so gut mit Unterschiedlichkeit umgehen können. Wir schimpfen zwar auf die Italiener, aber mögen sie auch. Dass wir kooperieren können ist ein Vorteil.“ Nicht nur für die Wirtschaft.
Am Ende hängt vieles an den Jungen, zu denen Elisabeth Aicher gehört. Die ehemalige AHS-Landesschulsprecherin von Vorarlberg hat früh begonnen, sich zu engagieren, in der Schule, der Klasse und später auf Landesebene. Dass diese Arbeit auch politisches Engagement ist, war ihr anfangs gar nicht bewusst. Sie ist überzeugt: „Wenn man uns Verantwortung überlässt, übernehmen wir diese auch. Wenn wir z.B. eine Veranstaltung organisieren, setzen wir uns auch wirklich dafür ein – so lernt man Demokratie.“ Was sie ärgert: „Wir gehen für unser Anliegen auf die Straße, etwa im Rahmen der fridaysforfuture-Demos. Doch die Politik reagiert nicht.“
Die Diskussion können Sie auf Facebook „projektuebermorgen“ nachschauen.