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Wo unser Strom in Zukunft herkommt

Wenn es nur so einfach wäre: möglichst viel, günstig und umweltfreundlich Energie gewinnen. Und damit die wachsende Weltbevölkerung versorgen. Wie das in Zukunft funktionieren kann, darüber zerbrechen sich Wissenschaftler seit Jahren den Kopf. Auch Carlo Rubbia, Physiknobelpreisträger und ehemaliger Direktor des Europäischen Kernforschungszentrums CERN. Mit nachhaltiger Energie aus Wind- und Solarkraft alleine, könne man nicht die gesamte Energieversorgung decken, glaubt Rubbia. Für ihn geht kein Weg an fossilen Brennstoffen vorbei – klimaschädliche Abgase will er dennoch vermeiden.

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Wie das funktioniere soll, hat er unlängst an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erklärt. "Wir entwickeln eine Technologie, um Erdgas ohne CO2-Emissionen zu nutzen", sagte der 82-Jährige im KURIER-Gespräch. Bei seiner Methode soll Gas zu sogenanntem schwarzen Kohlenstoff umgewandelt werden und nicht verbrennen. Denn erst dabei wird CO2freigesetzt. Der österreichische Strahlenphysiker Georg Steinhauser von der Universität Hannover kennt diese Idee: "Will man CO2vermeiden, muss man die Energieträger Kohlen- und Wasserstoff voneinander trennen. Wenn wir den Kohlenstoff herausbekommen und nur noch die Energie des Wasserstoffes nutzen, verhindern wir, dass Kohlendioxid ausgestoßen wird." Übrig bleibt nur noch unverbrannter, fester Kohlenstoff, der, laut Rubbia, sogar weiterverarbeitet werden kann.

Versteinern

Bleibt das Kohlendioxid aber in Gasform, lässt es sich nicht so einfach wie ein Problemstoff in ein Endlager sperren. Ein unterirdisches Gaslager müsste ständig überwacht werden, zudem drohe es herauszusickern, sagt der Experte Steinhauser. Aber es gibt noch weitere Versuche, sich des schädlichen Gases umweltschonend zu entledigen. Einen davon erproben Wissenschaftler im Südwesten Islands. Dort versuchen sie das Treibhausgas mit Hilfe von riesigen Mengen Wasser in poröses Vulkangestein zu pressen. Das Gas reagiert mit dem basischen Basalt-Gestein und wird gebunden. Ob es dort für die Ewigkeit bleibt, wird sich zeigen.

Im Versuchsstadium ist auch die Methode, mit der Physiknobelpreisträger Carlo Rubbia fossile Energie ohne CO2-Ausstoß nutzen will. "Wir haben erfolgreich Messungen und Experimente gemacht, funktioniert alles, müssen wir es noch industrialisieren." Wenn es nur so einfach wäre. Diese Methode ist kompliziert und "High-End-Technology", sagt der Physiker Steinhauser. Und damit noch Zukunftsmusik. Genauso wie viele andere Ansätze. Die Stahlindustrie etwa versucht, von Gas auf Wasserstoff umzusteigen. Voestalpine, Siemens und Verbund gaben erst am Montag bekannt, in dieser Causa zusammenarbeiten zu wollen. Die Kräfte müssen gebündelt werden, fehlt die nötige Technologie doch noch.

Anfeuern

Weiterer Hoffnungsträger ist die Kernfusion. Seit den 1950er-Jahren tüfteln Forscher daran, sie künstlich herbeizuführen und so Energie zu gewinnen. Ihr Vorbild: die Sonne. In ihrem Inneren brennt ein beständiges Fusionsfeuer, Wasserstoff-Atomkerne verschmelzen zu Helium. Die bei dieser Kernfusion erzeugten gewaltigen Energien erwärmen und beleuchten auch unsere Erde. Ziel ist es jetzt, selbiges in einem Kraftwerk umzusetzen. Anders als bei der Kernspaltung in Kernreaktoren erzeuge die Fusion nicht annähernd so viele radioaktiven Abfälle, Kraftwerke wären vergleichsweise sicher. Davon ist der Physiker Steinhauser überzeugt. In Südfrankreich wird derzeit ein Fusionsreaktor (ITER, International Thermonuclear Experimental Reactor) gebaut. Dort soll gezeigt werden, dass die Energieversorgung auch auf der Erde möglich ist. Und dass mehr davon erzeugt werden kann, als man zuvor hineingesteckt hat. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Die Kosten für das Projekt sind hoch, kritisieren Gegner. Unklar ist, ob es den Durchbruch in der Fusionsforschung bringt.

Zweifelhaft ist auch, wie viele Ressourcen noch in unseren Böden stecken. Auf fossile Energieträger alleine, will sich Carlo Rubbia dann doch nicht verlassen. Damit erneuerbare Energie aus Wind- und Sonnenkraft besser und effizienter verteilt wird, forscht er mit einem Team an Materialien für Übertragungskabel. Mit metallischen Supraleiter soll elektrische Energie bei niedrigen Temperaturen ohne Verlust transportiert werden. Durch die gekühlten Erdkabel müssten Betreiber weniger Strom erzeugen, um Verbraucher mit gleicher Energiemenge zu versorgen.

Wie es mit der Forschung zur globalen Energieversorgung künftig weitergeht, hängt nicht nur vom Fortschritt der Wissenschaft ab. Sondern ganz maßgeblich auch von Twitter-Nachrichten von US-Präsident Donald Trump. Michael Stadler, TU-Absolvent und Energieforscher in Kalifornien, erlebt dies gerade mit. Er leitet am "Lawrence Berkeley National Laboratory" ein Team aus 40 Mitarbeitern. Noch nie habe er so heftige Reaktionen erlebt, wie vergangene Woche auf Trumps Dekret zum Einreiseverbot, berichtet der Niederösterreicher. Er bedauert die Lage, aber "für Europa kann dies eine große Chance sein", sagt Stadler. Was an seinem Institut entwickelt wird, gilt als besonders zukunftsträchtig: Mit intelligenten Stromnetzen will man die Welt künftig, zumindest teilweise, mit Energie versorgen. Stadler arbeitet an "Microgrids": kleine, lokale Energienetze, die Haushalte und Betriebe mit Strom versorgen. "Sie decken ihren Strombedarf selbstständig aus erneuerbaren Energien oder anderen Energieformen, etwa Fotovoltaikanlagen, Wärmepumpen, Windrädern oder Kraftwärmekopplungen." Sogar die Batterie in einem Elektroauto kann Teil eines Energienetzes sein, erklärt Stadler. Fährt es zwischen zwei Gebäuden hin- und her, kann man die Energie auch für ein anderes Haus direkt nutzen.

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"Microgrids" können individuell gesteuert werden. Sie berechnen den Verbrauch und können Energie im Bedarfsfall, dorthin verlagern, wo sie gerade gebraucht wird oder sie reduzieren. "Sie erhöhen die Systemeffizienz und reduzieren Verluste." Zudem haben sie den Vorteil, dass sie sich vom Stromnetz entkoppeln und für angeschlossene Gebäude weiterhin Strom, Wärme und Kälte produzieren können. Einige Regionen, die von Hurrikans und Stromausfällen betroffen sind, nützen dies bereits.

Von Obama geehrt

Für seine Forschung wurde Stadler vor einem Jahr von Barack Obama mit dem "Presidential Early Career Award for Scientists and Engineers" ausgezeichnet. Obwohl der gegenwärtige Präsident Kohle und Öl favorisiert, sieht Stadler die Energieversorgung der Zukunft in erneuerbaren Energien und dezentralen Technologien. "Eine dezentrale Energieversorgung hat den Vorteil, dass es Preisschwankungen bei den fossilen Energieformen dämpft und die Abhängigkeit von politisch instabilen Regionen minimiert."

Kalifornien wird bis 2030 den Großteil aus erneuerbaren Energien beziehen. Daran wird auch Trump nicht viel ändern können, glaubt Stadler. Seine persönliche Ansicht: "In den USA machen Bundesstaaten eigene Gesetze. Kalifornien hat weltweit einige der stärksten Regulierungen im Umweltbereich, die werden sie nicht so schnell aufgeben. Da wird sich auch die Autoindustrie die Zähne ausbeißen, denn der Bundesstaat ist einer der größten Märkte." Schränkt man aber die Forschung ein, kann das die USA um Jahre zurückwerfen, sagt Stadler. Rückschritte erlebte er auch unter Präsident Bush, mit Obama kam wieder Aufschwung. Er hofft, dass sich dies wiederhole.

Etabliert haben sich "Microgrids" ohnehin schon länger. Nachdem nicht nur Labore, sondern auch US-Firmen daran arbeiten, glaubt er nicht, dass Trump dies blockieren werde. Neben den USA beschäftigen sich zum Beispiel auch Japan und Indien damit. Stadler ist überzeugt, dass man in Asien künftig auf eine dezentrale Energieversorgung setzt. "Wenn jedes Dorf eine Fotovoltaikanlage mit Speicher und Back-up-Generatoren hat, ist es sicher billiger, vor allem bei den großen Entfernungen." Den oft angestellten Preisvergleich mit Kernkraft kritisiert er. "Kurzfristig erscheint sie günstiger. Aber wer bezahlt Endlagerung und Umweltschäden? Kernenergie ist nicht so einfach wettbewerbsfähig." Was Wind- und Solarkraft betrifft, gibt es auch noch Herausforderungen: "Die Speicherfähigkeit der elektrischen Energie durch Sonnenkraft ist nach wie vor ein Problem. Man muss Speicher bauen und sie dorthin bringen, wo Strom verbraucht wird."

Zur Person:

Michael Stadler studierte an der Technischen Universität Wien und arbeitet seit 2005 am "Lawrence Berkeley National Lab", an der Universität Berkeley in Kalifornien. Ab 1. März 2017 wird er bei der Bionergy2020+ GmbH in Wieselburg (Niederösterreich) den Bereich Smart- und Microgrids aufbauen.

* Michael Stadlers Meinung ist nicht notwendigerweise repräsentativ für das Lawrence Berkeley National Laboratory oder die US-Regierung.