Zinstief: Der Boden ist noch nicht erreicht
Wer sich die Abkehr der Europäischen Zentralbank (EZB) von der lockeren Geldpolitik erhofft hatte, dürfte enttäuscht werden. „Wie lange die Zinsen negativ bleiben? Das kann ich nicht beantworten“, sagte die nominierte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Mittwoch im EU-Parlamentsausschuss.
Ein Festhalten am lockeren Kurs von Vorgänger Mario Draghi bleibe „auf absehbare Zeit“ nötig. Die Wirtschaftsrisiken hätten jüngst zugenommen. Und: „Ohne innovative Maßnahmen wäre die Finanzkrise viel schlimmer ausgefallen.“
Zweieinhalb Stunden lang stellte sich die Französin, zuletzt Chefin des Internationalen Währungsfonds, den Fragen der Abgeordneten. Im Juli war sie von den EU-Staaten nominiert worden, ihr Amtsantritt im Frankfurter EZB-Turm erfolgt Anfang November.
Wirklich verhindern kann das Parlament ihre Bestellung nicht – es gilt aber als wichtiger Stimmungstest für ihre Person, ob die Abgeordneten diese empfehlen.
„Kosten-Nutzen“
Die Anhörung war eine Gratwanderung, denn jedes unbedachte Wort könnte Chaos an den Märkten verursachen. Wie steht Lagarde zu negativen Zinsen? Wie zu Helikoptergeld, also zur Idee, dass die EZB großzügig Geld unters Volk streuen könnte, um den Konsum anzukurbeln?
Die Juristin vermied solche Fallstricke und blieb vage. Für sämtliche EZB-Instrumente müsse es eine „Kosten-Nutzen-Rechnung“ geben. So seien in der Eurozone elf Millionen neue Jobs sei dem Krisentiefpunkt 2013 geschaffen worden. Die faulen Kredite der Banken hätten sich halbiert. Sie hoffe jedoch, die berühmte Draghi-Rede („was immer nötig ist“) von Juli 2012 nie wiederholen zu müssen. „Das würde nämlich bedeuten, dass die Politiker ihre Hausaufgaben nicht erledigt hätten.“
Aber wie tief können die Zinsen fallen? Lagarde sieht den Boden noch nicht erreicht. Ein Realitätstest dürfte ohnedies bald erfolgen. Laut Insidern plant das oberste EZB-Gremium, am 12. September (noch unter Draghis Ägide) ein großes Paket zu schnüren.
Die Negativzinsen für Geld, das Banken bei der EZB parken, werden ziemlich fix unter die aktuellen –0,4 Prozent sinken. Freibeträge könnten zwar den Banken das Leben erleichtern. Falls diese die Kosten weiterverrechnen, sei das zum Schaden der Sparer, räumte Lagarde ein.
Dieselben Menschen seien aber auch Konsumenten, Arbeit- und oft Kreditnehmer. Als solche profitierten sie vom Zinstief. „Unterm Strich wären die Bürger der Eurozone ohne die unkonventionelle EZB-Politik samt den Negativzinsen schlechter dran.“
Sie wolle die EZB-Aktionen der Bevölkerung besser erklären, betonte Lagarde. Ihre Mitarbeiter seien angehalten, die oft kryptischen Abkürzungen zu vermeiden.
Facebook-Konkurrenz
Für die Überarbeitung der EZB-Zielmarke (Inflationsrate von „unter, aber nahe zwei Prozent“) zeigt sich Lagarde offen: Die Definition wurde bei der EZB zuletzt vor 16 Jahren angepasst, das solle aber im Einklang mit anderen Notenbanken geschehen.
Verteilungsgerechtigkeit oder Klimaschutz seien wichtige Ziele, der Preisstabilität allerdings nachgeordnet. Die EZB hat Wertpapiere um 2,6 Billionen Euro gekauft. Dabei nur nachhaltige Titel zu wählen, sei unmöglich: „So groß ist der Markt für grüne Investments nicht.“ Sympathie zeigte die Französin für eine gemeinsame digitale Währung großer Zentralbanken. Womöglich muss sich Facebooks „Libra“ also auf Konkurrenz von offizieller Seite einstellen.