Wirtschaft

"Österreich hat spürbar an Wohlstand verloren - mehr als Deutschland"

Der Generaldirektor der Statistik Austria, Tobias Thomas, sieht wegen der "verfestigten Rezession" und struktureller Probleme viele Herausforderungen für die künftige Regierung. Mit besseren Daten könne zielgerichteter gefördert und das Budget geschont werden, sagte er im Klub der Wirtschaftspublizisten. Trotz deutlicher Reallohnzuwächse liege das BIP pro Kopf derzeit um 2,1 Prozent unter dem Vor-Coronajahr 2019. Österreich habe mehr Wohlstand verloren als Deutschland.

Gefährdeter Wohlstand 

Infolge zahlreicher Krisen in den letzten Jahren sieht auch die Arbeiterkammer (AK) den Wohlstand in Österreich gefährdet. In vielen Bereichen gebe es deutliche Rückschläge, geht aus dem siebenten AK-Wohlstandsbericht hervor. Als einziges von fünf zeigt das Kapitel "Intakte Umwelt" Verbesserungen. "Wir können vor allem im Verteilungsbereich Ungleichheiten sehen", sagte Markus Marterbauer, Chefökonom der AK Wien bei einer Pressekonferenz am Dienstag.

Auf eine neue Bundesregierung sieht er wie Thomas "erhebliche Aufgaben" zukommen. Der Rückgang bei Wohlstandsindikatoren habe "viel mit der Teuerung zu tun", so Marterbauer. In Österreich habe es eine "schlechte Bewältigung" dieser mit allen negativen Folgen gegeben. Dennoch gebe es auch "durchaus positive Bereiche", sagte der AK-Ökonom.

Die Lage wird durch die international schwache Wirtschaft nicht erleichtert

"Es ist schon eine besondere Situation mit der längsten Rezession in Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg", sagte Thomas zur derzeitigen Wirtschaftsflaute. Konkrete Handlungsanweisungen wollte der Ökonom gegenüber Journalistinnen und Journalisten aufgrund seiner Funktion aber nicht tätigen. Die Lage werde durch die international schwache Wirtschaft nicht erleichtert.

"Österreich hat spürbar an Wohlstand verloren - mehr als Deutschland", so der gebürtige Deutsche. "Das liegt aber auch am Bevölkerungswachstum." Die Alpenrepublik befindet sich 2024 erstmals seit 1945 in einem zweiten Rezessionsjahr in Folge - der längsten, wenn auch nicht tiefsten Rezession der Zweiten Republik. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im zweiten Quartal heuer betrug 97,9 Prozent von jenem im zweiten Quartal 2019.

Es gelte neben Maßnahmen gegen die Wirtschaftsflaute auch strukturelle Probleme anzugehen. Dafür sei jedenfalls ein "guter Zahlenkompass" nötig, wie ihn seine und die die weiteren EU-Statistikbehörden lieferten. Dabei verwies Thomas auf das Datenzugangsgesetz (DZG), das sich derzeit in Begutachtung befindet. Dieses könne helfen, mit guter Datenaufbereitung bei staatlichen Ausgaben konkreter anstatt mit der Gießkanne zu fördern. Es gehe schließlich insgesamt darum, die Zielgenauigkeit von Ausgaben zu erhöhen, um die soziale Sicherheit zu gewährleisten, Ausgaben aber zu begrenzen. Etwa beim Energiekostenzuschuss zur Coronazeit war es ja nicht gelungen, nur sozial Schwächeren zu helfen. Es sei möglich, dies unter Wahrung des Datenschutzes zu verbessern, so der Behördenchef. Haushalte könnten aus Sicht Thomas' womöglich ähnlich wie bei der Ausfüllung eines Formulars - das ja auch richtige Angaben enthalten muss - einwilligen, dass ihre Finanzen überprüft werden.

Geschützte Daten

Beim DZG geht es in erster Linie um "Bedingungen für die Weiterverwendung von geschützten Daten, die im Besitz öffentlicher Stellen sind". Die Ziele sind laut Ministerialentwurf der scheidenden türkis-grünen Bundesregierung ein "einheitlicher Governance-Rahmen für die Weiterverwendung von geschützten Daten des öffentlichen Sektors" sowie "grundlegende Rahmenbedingungen für Datenökosysteme und zur Förderung des Datenaltruismus". Laut Thomas geht es hier unter anderem auch um den Überblick über Daten wie Hospitalisierungszahlen während der Pandemie, freie Krankenhausbetten, Kinderbetreuungsplätze und viele Bereiche mehr und das gestalten von Zielmaßnahmen.

Zuletzt habe es auch eine geringe Investitionsdynamik und Produktivitätssteigerungen gegeben. Bei den wirtschaftlichen Herausforderungen gehe es aber auch um den Fach- und Arbeitskräftemangel. Dazu kämen die durch die deutlichen Lohnerhöhungen gestiegenen Lohn-Stück-Kosten. Die KV-Löhne lagen im August 2024 laut Thomas um 22,9 Prozent über Jänner 2020. So seien hierzulande zwar Reallohnverluste - im Gegensatz zu Deutschland, wo solche auch wegen der viel geringeren KV-Bindung hingenommen worden seien - ausgeglichen worden, aber "die Lohnstückkosten haben sich im internationalen Vergleich nicht gerade verbessert", konstatierte der Generaldirektor am Dienstag. Das habe eben auch die Inflation hierzulande viele Monate über dem EU- und Eurozonenschnitt gehalten, erinnerte Thomas. 

Hohe Teilzeitquote

Im August 2024 waren die Tariflöhne (KV-Löhne) im Jahresabstand in Österreich um 8,4 Prozent gestiegen, in Deutschland nur um 4,6 Prozent. In Österreich beträgt die Abdeckung der Löhne und Gehälter durch Kollektivverträge 98 Prozent, in Deutschland dagegen nur 49 Prozent. 

Bei der Teilzeitquote, die in Österreich im internationalen Vergleich verhältnismäßig hoch sei, wisse man derzeit nicht, wie viele Stunden genau tatsächlich in Teilzeit gearbeitet werden. Gemeinsam mit Deutschland hat Österreich mit rund 30 Prozent eine der höchsten Teilzeitquoten in der EU, nur die Niederlande liegen mit 43,7 Prozent noch darüber.