Finanzkasino schlägt Produktion
Ein unfassbares Tamtam." In fünfzig Jahren habe er noch nie so einen Wirbel erlebt, sagt Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister. Nicht einmal Nobelpreisträger erhielten so viel Aufmerksamkeit wie der französische Ökonom Thomas Piketty (43), der dank seines Bestsellers ("Capital in the 21st Century") herumgereicht wird wie ein Superstar. Erst seit zwei Monaten ist die englische Ausgabe seines 685-Wälzers erhältlich – und schon vergriffen.
"Furchtbar antiquiert"
Zinsen und Dividenden seien nicht das Thema – mit den einen mache man ohnehin kein Geschäft, die anderen würden in der Realwirtschaft erzielt, sagt Bauunternehmer Hans-Peter Haselsteiner. Aber: "Was bringt die Zockerei mit Derivaten oder der Hochfrequenzhandel für die Gesellschaft? Ich würde sagen: Nichts." Besteuern oder besser gleich verbieten, lautet Haselsteiners Rat.
Uneins über Steuern
Piketty sei ein französischer Ökonom, der "wortreich und gut verpackt" die Marktwirtschaft prügelt – das kehre alle paar Jahre wieder, sagt Barbara Kolm vom wirtschaftsliberalen Hayek-Institut in Wien: "Die Aussage ist stets dieselbe: Nehmen wir den Reichen etwas weg." Mit Umverteilung werde kein Euro Mehrwert erwirtschaftet: "Nur die Marktwirtschaft holt Menschen aus der Armut." Gäbe es gleiche Chancen für alle, dann würden sich Leistung und Einsatz auszahlen – und es ginge die Schere zwischen Arm und Reich zu, ist Kolm überzeugt.
Bei hohen Einkommen schlägt Piketty bis zu 80 Prozent Steuer vor. Haselsteiner geht noch weiter: "Wird die fünfzigste Million mit 95 Prozent besteuert, bleibt immer noch mehr als die meisten Österreicher im Jahr verdienen: Kein Mitleid." Und was, wenn man die Reichen vertreibt? "Soll Gerard Depardieu doch nach Russland übersiedeln. Wenn es ihm dort gefällt? Bitte schön!"
Einseitig und wirklichkeitsfremd - so empfinden offenbar viele Ökonomiestudenten die Wirtschaftslehre. Mit einer globalen Protestaktion machten daher Studentengruppen aus 19 Ländern ihrer Unzufriedenheit Luft, indem sie am Montag ein gemeinsames Manifest für eine Reform der Ökonomenausbildung veröffentlichten.
Pluralismus lautet dabei das Zauberwort. „Wir beobachten eine besorgniserregende Einseitigkeit der Lehre, die sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verschärft hat. Diese fehlende intellektuelle Vielfalt behindert uns im Umgang mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – von Finanzmarktstabilität bis zum Klimawandel“, beklagen die Studenten. Die alten Theorien hätten die Krise nicht vorhergesehen und müssten durch neue Erklärungsversuche außerhalb des Mainstream ergänzt werden.
Entscheidungsträger der nächsten Generation formen
"An Ideen für neue Studienpläne mangelt es uns nicht", so eine Vertreterin. "Wir sind es leid, uns die neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse und vom Mainstream abweichende Theorien immer in Eigenregie aneignen zu müssen". Die Lehrinhalte der Curricula formen das Denken der nächsten Generationen von EntscheidungsträgerInnen und damit die Gesellschaft, in der wir leben", so die Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien, die im Herbst letzten Jahres von Volkswirtschafts-Studierenden der Wirtschaftsuniversität Wien gegründet worden war.
Prominente Unterstützer
Unterstützt werden die Studierenden von über 230 ProfessorInnen und ForscherInnen, darunter Prominente, wie der US-Ökonom James Galbraith oder der linksliberale französische Erfolgsautor Thomas Piketty („Capital in the 21. Century“). Auch der Vorstand der Bank von England, Andrew Haldane, sowie der Ausbildungsdirektor des Institute of Economic Affairs, Stephen Davis, eines traditionsreichen, marktliberalen Forschungsinstituts, stehen auf der Liste.