Paradoxe Situation auf Österreichs Arbeitsmarkt
Die Corona-Krise bedeutet für den österreichischen Arbeitsmarkt eine wahre Zäsur. Nach einer Hochkonjunkturphase ging es steil bergab. „Das zweite Quartal war besonders herausfordernd“, sagt Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich (WKO). Derzeit gebe es 410.000 Arbeitslose, die Zahl werde im September auf 490.000 steigen. Weitere 400.000 Arbeitnehmer befänden sich in Kurzarbeit. Die am stärksten betroffenen Branchen sind Hotellerie und Gastronomie, Verkehr, Gesundheitswesen, Bau und der Kunstbereich.
Trotz steigender Arbeitslosigkeit finden viele Unternehmen keine Mitarbeiter, schildert Mahrer. Denn die Menschen, die Arbeit suchen würden, befänden sich oft nicht dort, wo es Jobs gebe. Alleine in der IT-Branche seien 20.000 Stellen frei, in der Pflege 2.500 und auch im Bereich Handwerk und Gewerbe werde dringend nach Fachkräften gesucht – allein bei den Installateuren seien es 1.300.
Damit sich die Arbeitslosigkeit nicht verfestig, fordert die WKO Maßnahmen seitens der Regierung, der Sozialpartner und des AMS. „Und da steht Qualifizierung an erster Stelle“, sagt WKO-Generalsekretär Karlheinz Kopf. Die Corona-Krise habe einen Schub in Richtung Digitalisierung gebracht, und in diese Richtung müsse auch die Ausbildung gelenkt werden.
Ost-West-Gefälle
Gelingen könne das laut Kopf durch Maßnahmen wie Bildungsteilzeit und Bildungskarenz. Weiters könnten Arbeitsstiftungen Menschen, die ihren Job verloren haben, wieder ins Berufsleben zurückhelfen. Kopf will auch die Lehre stärken. „Personen mit Lehrabschluss waren während der Corona-Krise weniger von Arbeitslosigkeit betroffen, als Maturanten und Hochschulabsolventen.“
Die Lehre sei krisenfest, allerdings gebe es bei Angebot und Nachfrage ein Ost-West-Gefälle. In Wien, Niederösterreich und im Burgenland gebe es zu wenige Lehrstellen, in den anderen Bundesländern zu wenig Lehrlinge. Das AMS müsse deshalb seine überregionale Vermittlung ausbauen. Kopf fordert auch mehr Flexibilität bei Arbeitssuchenden und Betrieben. Hier könne man zwar über Zumutbarkeit diskutieren, doch müsse es dann auch zulässig sein, über Prämien für Umzüge und Hilfe bei Kindergarten und Schulwechsel „tabulos“ zu sprechen, fügt Mahrer an.
Hitzige Debatte
Eine wie von der Gewerkschaft geforderte Arbeitszeitverkürzung brauche der Standort Österreich definitiv nicht, sind sich die WKO-Granden einig. Für teure, inhaltlich und sachlich nicht sinnvolle Experimente sei derzeit kein Spielraum. „Wir müssen den Kuchen wieder größer machen und nicht einen schrumpfenden Kuchen auf mehrere Menschen verteilen“, sagt Mahrer.
Die Gewerkschaft sieht das naturgemäß anders und nennt den Standpunkt der WKO ein „Denkverbot in Richtung Arbeitslosigkeit“. Die Reduktion der Arbeitszeit bringe Jobs, sagt Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA-djp. „Jeder Arbeitslose ist einer zu viel. Wir können nicht einfach abwarten und hoffen, dass sich die Wirtschaft schon irgendwie erholen wird“, kritisiert Teiber. Es brauche sofort Maßnahmen. Arbeitslose aufzufordern, umzuziehen, um einen Job zu finden, sei unzumutbar und löse keine Probleme. Stattdessen brauche es mehr Jobs.
Laut einer Erhebung der Statistik Austria haben die coronabedingten Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt im zweiten Quartal 2020 vor allem ausländische Staatsangehörige und jüngere Menschen zu spüren kommen. Insgesamt lag die Zahl der Erwerbstätigen um drei Prozent unter dem Niveau des Vorjahreszeitraums.
Der Schweiz geht es derzeit ähnlich wie Österreich. Im westlichen Nachbarland hat die Arbeitslosigkeit im August zugenommen. Dies galt vor allem ebenfalls für Junge. Die Arbeitslosenquote stieg gegenüber dem Vormonat von 3,2 auf 3,3 Prozent, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) mitteilte.