Nächste Preiserhöhung in "drei bis vier Wochen"
Noch bevor die Preiserhöhungen infolge der Corona-Pandemie vollständig bei den Endkunden angekommen sind, hat der Ukraine-Krieg den nächsten Schock ausgelöst, der in der aktuellen Verteuerung noch nicht einmal eingepreist ist. Selbst wenn der Krieg bald beendet sein sollte, wird es noch mindestens ein Jahr dauern, bis die Effekte bei den Verbrauchern angekommen sind, sagt der Beschaffungsexperte Wolfgang Schnellbächer von der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG).
"Die Preiserhöhungen kommen in Wellen", erklärte Schnellbächer, Partner bei BCG in Stuttgart, im Gespräch mit der APA. Bei den Treibstoffpreisen habe man es schon gesehen. "Die nächsten werden wahrscheinlich in den kommenden drei, vier Wochen spürbar werden. Und bis die letzten Wellen da sind, kann das bis zu einem Jahr dauern."
Dauerthema Inflation
Die Inflation werde also ein Dauerthema bleiben, sagt Schnellbächer, der sich bei der Boston Consulting Group auf das Lieferketten-Management spezialisiert hat. Seit dem 24. Februar seien die Rohstoffpreise im Einkauf von produzierenden Unternehmen um weitere 2 bis 8 Prozent gestiegen. "In der Chemiebranche und im Maschinenbau waren die Preisanstiege im Einkauf im letztem Monat so hoch wie zuvor im ganzen vergangenen Jahr. Bei Lebensmitteln gibt es in Summe Preisanstiege von 11 Prozent, aber nur 5 Prozent sind bisher beim Kunden angekommen, bei Hygieneartikeln liegt der Anstieg bei 8 Prozent und nur 2 Prozent sind beim Endkunden angekommen."
Das liege daran, dass der Informationsfluss zwischen den Unternehmen sowie zwischen den einkaufenden und verkaufenden Einheiten der Firmen recht langsam sei. "Man stellt sich vielleicht als Außenstehender die Prozesse weit effizienter, transparenter und kollaborativer vor als sie eigentlich sind." Vor den Unternehmen, die die Endprodukte herstellen, gebe es eine lange Lieferkette an kleineren Produzenten. "Der Motor wird teurer und steigert so den Preis des Traktors rein. Der Traktor wiederum wird an den Bauern verkauft, der das Ganze wiederum in seinen Weizenpreis umschlagen muss. Das betrifft den Bäcker und erst dann den Endkonsumenten."
Ein Boykott von Energielieferungen aus Russland hätte nach Ansicht des Experten unabsehbare Folgen. "Bei Öl ist das vielleicht machbarer als beim Gas. Beim Gas muss man dazu sagen: Alles, was bis jetzt passiert ist, ist ja nahezu ausschließlich psychologisch." Es komme nicht weniger Gas aus Russland an. Niemand habe bisher berechnet, was ein Gas-Lieferstopp für die Lieferkette bedeuten würde, man habe vor allem die Haushalte im Blick. "Wenn die Energiepreise hochgehen, gehen bei jedem Unternehmen die Kosten hoch. Vom Maschinenhersteller, der Stanzmaschinen herstellt, bis zum Automobilhersteller, überall gehen die Kosten hoch. Was das gesamthaft in der Breite bedeutet, ist mitnichten klar."
Zinssenkung nicht möglich
Die Instrumente, um eine Konjunkturdämpfung infolge steigender Energiekosten abzufedern, habe man bereits großteils verbraucht, sagte Schnellbächer. Eine weitere Zinssenkung sei nicht möglich. "Ich kann ja kaum in einer Zeit, wo ich auf eine Sechs-Prozent-Inflation zulaufe, noch weiter die Zinsen senken - abgesehen davon, dass sie ohnehin schon bei null sind." Die Haushalte erlebten durch die Inflation einen massiven Vermögens- und Kaufkraftverlust und man habe wenig, um einer drohenden Rezession gegenzusteuern.
Der Experte sieht außerdem die Gefahr einer Preis-Lohn-Spirale. "Durch die Inflation haben die Unternehmer weniger Geld. Trotzdem wird es die Forderung nach mehr Lohn geben, was auch total klar ist. Das ist eine schwierige Situation für Unternehmen, die nicht sicher sind, wie viel Gewinn sie noch machen und daher Schwierigkeiten haben, die Löhne zu erhöhen. Gleichzeitig leiden Arbeitnehmer unter der geringeren Kaufkraft."
Die Situation sei derzeit so volatil wie schon lange nicht, erklärte Schnellbächer. "Wir blicken auf viele Jahre und sogar Jahrzehnte mit großer Preisstabilität zurück. Deswegen ist die Kollaboration zwischen Einkauf und Vertrieb marginal. Es gibt eine tolle Kollaboration zwischen Einkauf und Entwicklung, zwischen Einkauf und Produktion, aber bis hinein in den Vertrieb gibt es ganz, ganz wenig an Gesprächen. Und auch die Incentive-Strukturen sind so aufgebaut, dass man eigentlich nichts miteinander zu tun hat."
Der Experte sieht einen Paradigmenwandel von einem Einkäufer- hin zu einem Verkäufermarkt, teilweise mit Versteigerungen an die meistbietenden Unternehmen. Das erfordere in den Unternehmen auch eine viel dynamischere Anpassung und einen stärkeren Informationsaustausch zwischen Einkauf und Verkauf. "Firmen agieren nicht mehr in einer Welt, in der Einkaufspreise irgendwie gesetzt sind und wo Verkaufspreise davon losgelöst sind oder nur im Rhythmus von einem Jahr oder vielleicht einem halben Jahr angepasst werden."