Wirtschaft

Mit Kanada-Abkommen CETA droht Klagswelle

Das Handelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada wird eine Klagswelle gegen die beteiligten Staaten lostreten: Das fürchten 15 Gewerkschaften und NGOs von beiden Seiten des Atlantiks (darunter die AK Wien), die die umstrittenen Investor-Staat-Klagsrechte (ISDS) genau unter die Lupe genommen haben.

Sie untermauern diese Behauptung mit Zahlen und Fakten: Bisher sind demnach weltweit 568 Fälle bekannt, in denen vermeintlich geschädigte Investoren Staaten vor ein internationales Schiedsgericht gezerrt haben. 53 Prozent dieser Klagen stammen von EU-Firmen (299 Fälle), 22 Prozent wurden von US-Unternehmen angestrengt (127 Fälle). Auch kanadische Firmen sind recht klagsfreudig: Sie liegen auf Platz fünf.

Einfallstor für Fracking

Den EU-Staaten würden insbesondere Klagen von Bergbau-, Öl- und Gaskonzernen blühen – aus Kanada direkt oder von US-Tochterfirmen, heißt es in der Studie „Verkaufte Demokratie“, die dem KURIER vorliegt. Mögliche Streitfälle gibt es zur Genüge – schon jetzt sind kanadische Konzerne und Minenbetreibern in höchst umstrittene Projekte etwa in Nordirland, Spanien, Bulgarien, Finnland, Bulgarien, Rumänien und Griechenland involviert.

Das Argument, unter reichen Wirtschaftsräumen seien Investorenklagen ohnehin selten, greift zu kurz, wie das Nordamerika-Abkommen NAFTA zeigt: Seit dessen Abschluss im Jahr 1994 wurden 35 Klagen allein gegen Kanada angestrengt. Davon hat der Staat sechs verloren oder mit Vergleichen beigelegt. Kanadas Steuerzahler kostete das bis dato gut 120 Millionen Euro Schadenersatz.

Neun Verfahren laufen noch. Darunter ein besonders brisanter Fall: Lone Pine Resources, ein Energiekonzern aus Calgary, zitierte die eigene Regierung vor ein Schiedsgericht – möglich wurde das ausgerechnet dank einer Firmentochter im US-Steuerparadies Delaware. Lone Pine verlangt 176 Millionen Euro Schadenersatz, weil die Provinz Quebec 2011 die Öl- und Gasförderung unter dem Sankt-Lorenz-Strom ausgesetzt hat. Sie wollte besser erforschen, ob „Fracking“ die Wasserqualität bedroht.

Gefahr für Finanzmarktregeln

Kanadische CETA-Kritiker wiederum sind in Sorge, dass EU-Banken und Versicherer die strengeren Finanzmarktregeln des Landes aushebeln könnten. CETA räume den Finanzkonzernen in diesem sensiblen Bereich noch umfassendere Klagemöglichkeiten als NAFTA ein.

Verbesserte Regeln

Die EU-Kommission kalmiert: Sie hält den Investitionsschutz im bereits ausverhandelten CETA-Abkommen für mustergültig, weil er Verbesserungen bringt. So dürfen die Verfahren nicht mehr im Geheimen ablaufen. Und: Bisher trugen fast immer die Staaten die Prozesskosten – selbst für abstruse Klagen. Künftig zahlt, wer verliert.

Das seien „kosmetische Korrekturen“, die den Missbrauch der Schiedsgerichte nicht verhindern, kontern die Studien-Autoren. Sie sehen die Demokratie in Gefahr: Ob neue Gesetze oder Umweltschutz-Maßnahmen „verhältnismäßig“ sind, sollen laut CETA nämlich die ISDS-Schiedsrichter beurteilen, die vor niemandem Rechenschaft ablegen müssen. Oft reiche schon die Androhung von Klagen oder Schadenersatzforderungen, um Regierungen zum Einlenken zu bewegen.

Lone Pine vs. Kanada: Die Provinz Quebec setzte 2011 ein Moratorium gegen die Ölförderung via Fracking unter dem Sankt-Lorenz-Strom durch. Lone Pine Resources aus Calgary verlangt nun (über eine US-Tochter) 176 Mio. Euro Schadenersatz für widerrufenen Erkundungslizenzen. Das Schiedsverfahren läuft.

S.D. Myers vs. Kanada: Der US-Entsorger S.D. Myers wollte sich nicht damit abfinden, dass Kanada 1995 ein Ausfuhrverbot für krebserregendem PCB-Müll (Polychlorierte Biphenyle) verhängt hatte. Das Schiedsgericht sprach dem Konzern fast 5 Mio. Euro Entschädigung zu.

Eli Lilly vs. Kanada:Der US-Pharmakonzern will von Kanada 350 Mio. Euro Schadenersatz, weil ein kanadisches Gericht Patentanmeldungen für die neuen Medikamente Straterra und Zyprexa verweigerte. Vor kanadischen Gerichten hat Eli-Lilly in allen Instanzen verloren. Das Schiedsverfahren unter dem NAFTA-Investitionsschutz läuft noch.

Micula Brothers vs. Rumänien: Ein skurriler Fall. Die Brüder Viorel und Ioan investierten über eine schwedische Firma in Limonaden-Abfüllung in ihrer Heimat. Nach dem EU-Beitritt musste Rumänien Subventionen abschaffen. Die Brüder klagten diese in Washington ein – und erhielten recht. Die EU verbietet jedoch die Zahlung von 200 Mio. Euro Schadenersatz. Was zählt mehr? EU-Recht oder eine Investor-Staat-Klage?

Veolia vs. Ägypten: Der französische Dienstleister Veolia klagt seit 2012, weil die Stadt Alexandria die Verträge für die Müllentsorgung gebrochen haben soll. Ein Mindestlohn ließ die Kosten steigen, die Stadt wollte aber keine höheren Gebühren. Angeblich fordert Veolia 82 Mio. Euro.

Istrokapital vs. Griechenland: Die slowakische Bank Postova Banka klagt gegen Griechenland, weil sie beim Schuldenschnitt Geld verloren hat – und zwar über ihren zypriotischen Eigentümer Istrokapital.

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Vattenfall vs. Deutschland II: Damit nicht genug – zugleich gehen die Schweden auch gegen Deutschlands Atomausstieg vor. Für die Stilllegung von zwei Meilern wollen sie insgesamt 4,7 Milliarden Euro für entgangene Gewinne.