Wirtschaft

Die Gewinner und Verlierer des Franken-Schocks

Donnerstag, punkt 9.30 Uhr. Der Schweizer Franken schießt plötzlich durch die Decke, der Euro fällt in den Keller. Seit September 2011 waren Börsianer wie auch rund 150.000 private Franken-Kreditnehmer in Österreich daran gewöhnt, dass 1,20 Franken für einen Euro zu zahlen sind. Gestern Vormittag änderte sich das schlagartig. Binnen Minuten brach der Euro-Kurs auf bis zu 0,78 Franken ein – ein Absturz um 35 Prozent.

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Der Auslöser war keine Hacker-Attacke, sondern die an sich seriöse Schweizer Nationalbank (SNB). Vor knapp dreieinhalb Jahren löste die Angst, die Eurozone könnte auseinanderbrechen, eine Flucht in den Franken aus – der massiv aufwertete. Die SNB legte sich damals auf einen Mindestkurs von 1,20 Franken je Euro fest und verteidigte diese Latte seither durch massenweise Euro-Käufe. Jetzt hatte sie endgültig genug davon, ständig Euro kaufen zu müssen und gab die Bindung auf.

Die Aufgabe kam mehr als überraschend. Erst vor zehn Tagen hatte SNB-Chef Thomas Jordan betont, er werde weiter am Mindestkurs festhalten. Die Überraschung war so groß, dass sie eine Schockwelle an den Finanzmärkten auslöste (siehe Bericht unten).

"Es fehlen mir die Worte." Nick Hayek, Chef des Schweizer Uhren-Konzerns Swatch, reagierte geschockt auf die Franken-Freigabe. Das, was die SNB da ausgelöst habe, sei ein Tsunami. Hayek dürfte der gesamten Schweizer Wirtschaft aus dem Herzen sprechen. Aber auch allen, die Kredite in Schweizer Franken aufgenommen haben.

Der KURIER listet auf, wer zu den Gewinnern und Verlierern zählt.

- Private Kreditnehmer Viele österreichische Haushalte haben Fremdwährungs-Kredite zu Kursen um die 1,45 Franken je Euro aufgenommen. Mit der Aufwertung des Franken ist für Euro-Zahler die Verschuldung schmerzlich gestiegen. Sie müssen viel mehr Euro aufwenden, um ihre Kredite zu tilgen. Das Gros wird in den Jahren 2017 und 2018 (end)fällig. In Summe sind Private noch mit 24,9 Milliarden Euro in Franken verschuldet. Die Banken versuchen zu beruhigen. Nicht überstürzt handeln und an den Berater wenden, lautet der Rat. Betroffenen wird empfohlen, die Kreditlaufzeit zu verlängern.

- Öffentliche Hand Wie viele Häuslbauer haben sich auch Gemeinden von den damals günstigen Franken-Zinsen locken lassen – etwa die Gemeinde Wien. Ihre Verschuldung in Franken macht aktuell 1,623 Milliarden Euro aus. Rein rechnerisch ist die Schuldenlast nun um 300 Millionen Euro höher. Da dieser Kredit aber immer wieder erneuert wird und erst dann getilgt wird, wenn es für die Gemeinde günstig ist, fällt dieser Mehraufwand nur auf dem Papier ins Gewicht. Tatsächlich mehr aufwenden muss die Gemeinde jetzt für die laufenden Zinszahlungen, weil sie mehr für die dafür nötigen Franken ausgeben muss.

Die öffentliche Hand hat Franken-Kredite von insgesamt 3,5 Milliarden Euro ausstehend. Für den Bund wird es jedenfalls nicht teurer. Die Bundesfinanzierungsagentur hat ihre Fremdwährungsrisiken abgesichert.

- Schweizer Exportwirtschaft Die bisherigen Prognosen sagten der Wirtschaft der Eidgenossen für heuer ein Wachstum von 1,6 Prozent oder ein bisschen mehr voraus. Das dürfte Geschichte sein. Die stark exportgetriebene Wirtschaft, die von Weltkonzernen wie Nestlé oder Roche geprägt ist, wird heftig darunter leiden, dass ihre Produkte für Abnehmer im Ausland jetzt massiv teurer werden. Schon am Donnerstag machten Befürchtungen die Runde, die Schweiz könnte in eine Rezession schlittern.

- Schweizer Tourismus Das ohnehin teure Urlaubsland Schweiz wird für Gäste aus dem Ausland noch kostspieliger, weil der Franken viel mehr kostet. Das gilt nicht nur für Besucher aus der Eurozone, sondern auch für jene aus dem Dollar-Raum oder aus Japan. Denn auch zu diesen Währungen hat der Franken massiv aufgewertet.

+ Österreichischer Tourismus Ein billiger Euro wird mehr Gäste aus der Schweiz in die Eurozone locken. Davon könnte schon heuer der heimische Wintertourismus profitieren.

+ Handel in Westösterreich Viele Schweizer fuhren schon bisher zum Einkaufen über die Grenze. Die Grenzgänger werden deutlich mehr werden.

+ Österreichs Exportwirtschaft Die Schweiz ist Österreichs drittwichtigstes Exportland. Mit dem teuren Franken könnten Abnehmer in der Schweiz jetzt noch öfter Produkte aus Österreich ordern. "Für Österreich ist es natürlich super", so Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria.

Nach dem ersten Schock machten auf den Finanzmärkten am Donnerstag etliche Gerüchte die Runde. Die SNB sei zur Freigabe des Kurses gezwungen gewesen, ein Festhalten wäre zu teuer gekommen. Die bevorstehende Wahl in Griechenland mit einer möglichen neuen Flucht in den Franken hätte die Notenbank zu einer Blitzaktion veranlasst. SNB-Boss Jordan verteidigte den Schritt äußerst unkonkret: Auf lange Sicht hätte ein Festhalten am Kurs keinen Sinn ergeben.

Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek betrachtet die Glaubwürdigkeit der SNB jedenfalls jetzt als "stark ramponiert". Er geht davon aus, dass sich in zwei bis drei Wochen ein neues Kurs-Gleichgewicht von 1,10 bis 1,13 Franken pro Euro einpendeln wird.

„Das haben wir so nicht erwartet. Ich stehe unter Schock. Das ist starke Medizin.“ So reagierte Daniel Kalt, Chefökonom der Schweizer Großbank UBS, auf die Freigabe des Franken-Euro-Kurses. Wie er wurde die gesamte Finanzwelt kalt erwischt. Panikreaktionen waren die erste Folge. Europaweit sackten die Aktienkurse in die Verlustzone ab. Über Mittag kehrte allerdings wieder Vernunft ein. Die Aussichten für die Wirtschaft der Eurozone hat sich durch die Freigabe des Wechselkurses schließlich nicht verändert. Und wenn, dann eher in die positive Richtung. Die Anleger griffen bei Aktien wieder zu, die Kurse kletterten. Der DAX, der Leitindex der Frankfurter Börse, lag am Nachmittag mit zwei Prozent im Plus.

Ganz anders erging es der Börse in Zürich. Die dort notierten Unternehmen werden sehr wohl unter dem teuren Franken leiden, ihre Gewinne werden zusammenschmelzen. Viele Investoren versuchten, ihre Schweizer Aktien praktisch zu jedem Preis loszuwerden. Dadurch stürzte der Züricher Leitindex SMI um bis zu 14 Prozent ab. Einen derartigen Verlust hatte es in Zürich noch nie gegeben. Am Nachmittag waren es noch immer rund zehn Prozent Verlust.

Währungen

Bisher hatte die Schweizer Nationalbank viel Geld für Euro-Käufe ausgeben müssen, um das Euro-Franken-Verhältnis stabil zu halten. Diese Käufe fehlen jetzt. Die Konsequenz: Der Euro sackte auch im Verhältnis zum Dollar ab. Die Talfahrt endete bei 1,1571 Dollar je Euro, das war der tiefste Stand seit elf Jahren. Anschließend erholte sich der Euro auf 1,1670.

Der überraschende Schritt der SNB wirbelte auch andere Währungspaare durcheinander. Im Verhältnis zum Franken rutschte der Dollar auf bis zu 0,7187 Franken ab. Das war ein Absturz um knapp 30 Prozent und damit der größte Rutsch seit 1971. Am Nachmittag erholte sich der Dollar etwas. Eine rasante Aufwertung gab es auch im Verhältnis zum Yen. Mit 133,20 Yen pro Franken kostete die Schweizer Währung so viel wie seit mehr als 33 Jahren nicht mehr.

„Am Devisenmarkt findet derzeit keine adäquate Preisbildung statt“, befand die Schweizer Bank Postfinance. Sie setzte daher den Devisenhandel vorübergehend aus. Aus den Geldautomaten der Bank konnten vorübergehend auch keine Euro-Banknoten mehr bezogen werden.