Wirtschaft/Karriere

Wie der weibliche Führungsstil eine neue Unternehmenskultur einläutet

„Denkt man an Erfolg, ist es noch immer die männliche Führungskraft, die einem in den Sinn kommt. Die im schwarzen, sleeken Anzug daherkommt und alles im Griff hat.“ Dieses Bild zeichnet Lena Marie Glaser, Autorin und New-Work-Expertin und ergänzt: „Die Gefahr ist groß, dass dieser das Ultimative ist, dem wir nacheifern. Tatsächlich ist es aber die Vielfalt, die Diversität, die zum Erfolg führt.“

Frauen sind empathischer und interessierter daran, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich Menschen wohlfühlen.

Lena Marie Glaser

Um die Vielfalt zu leben, sollte also jeder Stil innerhalb eines Unternehmens zum Tragen kommen. Wie sich der Stil der Frauen definieren lässt, erörtert Judith Girschik, die sich am Wiener Leadership Institute darauf fokussiert hat, Frauen in Führungspositionen zu coachen. Sind sich Frauen und Männer in nämlich in den grundlegenden Persönlichkeitsbereichen relativ ähnlich, unterscheiden sie sich doch stark in zwei Punkten, die innerhalb des Fünf-Faktoren-Modells festgemacht werden. Dabei handle es sich aber rein um den Durchschnitt und nicht um eine Allgemeingültigkeit.

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Punkt eins ist der Faktor Verträglichkeit, der bestimmt, wie harmoniebedürftig und empathisch ein Mensch ist. Dabei überrascht Judith Girschik mit klaren Zuschreibungen: „Der durchschnittliche Mann hat weniger Bedarf an Harmonie und einem konfliktfreien Umgang im Arbeitsleben.“ Jener der Frauen solle um 15 bis 20 Prozent höher sein. Etwas, das sich in der Folge auch auf das Wettbewerbsinteresse auswirke. „Die Ellbogentaktik ist keine, mit der sich ein Großteil der Frauen identifizieren will. Hier handelt es sich um das Gegenteil von kooperativem Arbeiten“, erkennt auch Lena Marie Glaser in ihrer Forschung. Der Wunsch, in der ersten Reihe zu stehen, sei also bei Frauen viel geringer ausgeprägt – etwas, das sich bei einem Blick auf die bevorstehende Bundespräsidenten-Wahl bestätigt.

Heute, am 9. Oktober, wählt Österreich, wer das höchste Amt im Staat bekleiden soll. Eine Frau wird es nicht. Es ist das erste Mal seit 1980, dass sich keine dazu entschieden hat, zu kandidieren. Seit 1951 haben das immerhin sieben (insgesamt) gewagt. Dieselbe Anzahl an männlichen Kandidaten, die 2022 um den Einzug in die Hofburg rittert. Ludovica Hainisch-Marchet war Österreichs erste Kandidatin für das höchste Amt im Staat. Sie kandidierte 1951, bekam aber nur 2.132 Stimmen und lag somit auf dem letzten Platz.

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„Frauen wollen in ihrem Bereich gut sein und diesen im Griff haben. Das äußert sich auch darin, dass Frauen stärker abwägen, ob sie für eine Position oder Aufgabe geeignet sind“, so Glaser.

Punkt zwei ist der Neurotizismus, also die emotionale Stabilität. „Die durchschnittliche Frau ist – sehr vereinfacht gesprochen – sensibler als der durchschnittliche Mann“, so Judith Girschik, die ergänzt, dass die hohe Sensibilität einer der Hauptfaktoren ist, weshalb Frauen ein Coaching in Anspruch nehmen. Als Nachteil sollte das aber nicht ausgelegt werden – ist Sensibilität durchaus etwas, das in einer modernen Arbeitskultur erwartet wird: „Immer mehr gute Führungskräfte setzen auf Fürsorge, fragen, wie es ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geht, ganz gleich ob Mann oder Frau“, so Glaser und ergänzt: „Unternehmen müssen begreifen, dass es eine Arbeitskultur braucht, in der die Menschen genauso sein können, wie sie sein wollen und das nicht parallel bedeutet, dass sie weniger leisten oder weniger Durchsetzungsvermögen haben.“

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Sind die notwendigen Rahmenbedingungen innerhalb eines Unternehmens dafür noch nicht geschaffen, empfehlen sowohl Glaser als auch Girschik eine Maßnahme: ein gutes Netzwerk und den regen Austausch. „Das Gefühl, Mitstreiterinnen zu haben, auch außerhalb des eigenen Arbeitsbereichs, hilft, eine Kraft zu entwickeln, sich über die Komfortzone hinaus zu bewegen und mehr einzufordern“, so Glaser. Etwas, das in Hinblick auf die jüngste Auswertung des Economica-Insituts dringend erforderlich ist. Denn mehr Frauen in Führungspositionen sollen Firmen nicht nur einen Mehrwert in den Bereichen Nachhaltigkeit, Chancengleichheit, Produktivität und Zufriedenheit bringen, sondern auch einen finanziellen. In Zahlen seien das 674 Millionen Euro ungenutztes Wertschöpfungspotenzial sowie 2,5 Milliarden Euro Umsatz, die bislang noch verloren gehen.