Wirtschaft/Karriere

Ingenieur, Ingenieurin: Lohnt sich der Titel heute noch?

KURIER: Früher zierte der Ingenieur-Titel Visitenkarten und HTL-Absolventen trugen ihn mit Stolz. Im Zuge der Akademisierungsoffensive hat er aber an Wert eingebüßt. Hat der Ingenieur-Titel ein Imageproblem?

Thomas Angerer: Nein, ich glaube nicht. Dass man ihn nicht mehr auf die Visitenkarte schreibt, hängt damit zusammen, dass die Wichtigkeit von Titeln in der Gesellschaft generell abgenommen hat. Je länger der Titel umso besser – das gilt heute nicht mehr.

Die Nachfrage nach Ingenieuren und Ingenieurinnen auf dem Arbeitsmarkt ist groß. Beim AMS sind zahlreiche offene Stellen in der Baubranche, Elektrotechnik sowie Maschinenbau, Kfz und Metall gemeldet. Wo ist der dringend gesuchte Ingenieur-Nachwuchs?

Die sind schon da. Es sind zu wenige, das ist richtig. Die Bevölkerung ist aber auch gewachsen, und die Anforderungen der Unternehmen der Wirtschaft sind andere geworden. Auch im Zuge der Digitalisierung ist die Nachfrage nach Technikern und Technikerinnen wesentlich höher geworden. Es sind aber nicht weniger Ingenieure da als früher. Ich glaube aber, dass man gut daran tut, darauf zu achten, dass weiterhin viele auf den Markt kommen und auch bleiben.

Unternehmen müssen also auch an ihrer Attraktivität arbeiten?

Ich glaube, es ist jetzt bei den Unternehmen angekommen, dass sie sich auch stark mit uns vernetzen können und sollen. Diese Zusammenarbeit kann für alle Beteiligten sehr fruchtbar sein. Wenn Schülerinnen und Schüler etwa ein Praktikum bei einem Unternehmen aus der Branche machen und dann von ihren positiven Erfahrungen erzählen, ist das doch das beste Marketing fürs Unternehmen.

Und wie sieht die Marketingstrategie für den (HTL)-Ingenieur aus?

Als HTL machen wir das, was wir gut können. Wir platzen mittlerweile aus allen Nähten. Jedes Jahr haben wir um die 150 bis 200 Absolventen. Wichtig ist, die Begeisterung für Technik schon im Kindergarten zu wecken. Und zwar bei Burschen und Mädchen.

Apropos: Mit der Aufwertung des Ingenieurtitels wollte man verstärkt auch junge Frauen ansprechen. Das hat nur bedingt funktioniert, oder?

Wir haben ungefähr zehn Prozent Mädchen, die Zahl steigt aber jedes Jahr. Über einen eigenen Verein organisieren wir täglich Workshops nur für Mädchen in den Volksschulen. Jeden Tag eine andere Klasse. Das heißt im gesamten Schuljahr nehmen bis zu 1.500 Schülerinnen an Robotik-Kursen teil. Es braucht nämlich mehr weibliche Role Models in den technischen Berufen. Ein Plakat allein bringt nichts, wir müssen junge Mädchen an die Schule holen und ihnen zeigen, dass es geht.

Vor fünf Jahren trat das novellierte Ingenieursgesetz in Kraft. Damit wurde die Ingenieurqualifikation zum „Ingenieur neu“ aufgewertet. Hand aufs Herz: Was hat diese Aufwertung in der Praxis gebracht?

Da wir in Österreich im technischen Bereich einen starken Ingenieursanteil, aber im Gegensatz zu anderen EU-Ländern einen relativ geringen Akademikeranteil im technischen Bereich haben, war es für österreichische Firmen teilweise sehr schwierig, sich innerhalb der EU für Projektausschreibungen zu bewerben. Das ist sicher leichter geworden durch die Aufwertung. Ob der Reiz für den Einzelnen gestiegen ist, weiß ich allerdings nicht. In größeren Unternehmen bringt es auf jeden Fall etwas, wenn man die Ingenieur-Zertifizierung hat.

Der HTL-Ingenieur steht auf einer Qualifikationsstufe wie der akademische Bachelor – zumindest im Nationalen Qualifikationsrahmen. Hochschulische Berechtigungen sind damit aber nicht verbunden, der Ingenieur kann kein Masterstudium beginnen. Ist das nicht paradox?

Nein. Es ist eben gleichwertig, aber nicht gleichartig. Es ist ein Unterschied, von den Qualifikationen her, ob ich ein gewerblicher Meister bin, oder ein Bachelor. Der gewerbliche Meister kann ein Unternehmen führen, kann Mitarbeiter ausbilden, kann eigenständig etwas tun. Der Bachelor hat eine akademische Schulung. Es ist also gleich wertvoll, aber nicht gleich. Es geht darum, Qualifikationen in einer gewissen Wertigkeit vergleichbar zu machen.