Wirtschaft

Wird Italien das nächste Griechenland? Vier Szenarien

Italien sucht den Streit. Wie erwartet weigert sich die Populisten-Regierung in Rom, ihren Budgetplan abzuändern und wählt die Konfrontation mit der EU-Kommission. Droht eine Wiederholung des Griechenland-Dramas? Wie geht es weiter? Wie viel Zeit bleibt, um die Krise zu lösen? Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was wollen die Italiener erreichen?

Vordergründig geht es darum, die Wahlversprechen der italienischen Regierungsparteien zu finanzieren: Grundeinkommen für Bedürftige, früheres Pensionsantrittsalter, Steuersenkungen via  Flat-Tax. Das Geld soll über eine höhere Neuverschuldung kommen.

Dahinter steckt aber knallhartes politisches Kalkül: Die Vizepremiers Luigi Di Maio (Fünf-Sterne-Bewegung) und Matteo Salvini (Lega) wissen, dass sie im Kampf mit der EU nur gewinnen können. Entweder sie kommen mit Zugeständnissen zurück und stehen als siegreiche Helden da. Oder sie blitzen ab, wie es sich abzeichnet: Dann kann Salvini sein Rockstar-Image als unnachgiebiger Rebell pflegen und Brüssel ist der Buhmann, der Italien die wirtschaftlichen Segnungen verweigert.

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„Es wird schlimmer werden, bevor es besser wird“, glaubt Thomas Steinberger (Spängler IQAM Invest), der viele Jahre in Italien gelebt hat. Italien habe keinen Grund jetzt nachzugeben.  Die aktuelle EU-Kommission werde bald abtreten und Lega-Chef Salvini bringt sich in Stellung, um im kommenden EU-Wahlkampf antieuropäische Stimmen einzusammeln.

Lässt sich die Ausgangssituation mit dem Griechen-Drama vergleichen?

Die Griechenland-Krise hat sich in zwei Etappen abgespielt. 2010 war das Land ein Spielball der Märkte, als herauskam, dass die Budgetzahlen geschönt waren. Dadurch wurden die Zinsen unleistbar, die Griechen erhielten keine neuen Kredite auf dem Finanzmarkt mehr.

Noch steht Italien finanziell nicht so im Eck. Die Situation ähnelt eher jener 2015: Da waren die griechischen Staatsfinanzen dank EU-Hilfe annähernd unter Kontrolle, aber es war ebenfalls ein politischer Hasardeur am Werk: Finanzminister Yanis Varoufakis, der solange zündelte, bis die Griechen am Rande des Euro-Rauswurfs standen.

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Wer sitzt am längeren Ast – Rom oder Brüssel?

„Spieltheoretisch hat Griechenland damals Vieles richtig gemacht“, sagt Franz Schellhorn, Chef der Denkfabrik Agenda Austria. Er meint damit, dass die Griechen über weite Strecken die Verhandlungen mit der EU diktierten.

Erst als Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble den Rausvorwurf (Zitat in badischem Dialekt: „Isch over“) akzeptierte, wurde es dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras zu heiß: Er warf Varoufakis raus, die Griechen akzeptierten die Sparauflagen. Und haben sich bis zum Auslaufen des Hilfsprogramms im August 2018 an die Vereinbarungen gehalten.

Das Problem mit Italien: Das Land ist viel zu groß, um mit einem Euro-Rauswurf zu drohen. Die Finanzmarktturbulenzen würden die Währungsunion als Ganzes sprengen. Deshalb kann Roms Regierung den Rest des Euroraums in Geiselhaft für ihr zynisches Spiel nehmen.

 

Sind wirtschaftliche Vergleiche mit Griechenland zulässig?

Als Ganzes steht Italien wirtschaftlich deutlich besser da. Allerdings gibt es „ein verstecktes Griechenland“, wie Steinberger (Spängler IQAM Invest) formuliert:  „Der Süden Italiens ist in einer ähnlichen Situation wie Griechenland.“ Das durchschnittliche Steueraufkommen pro Kopf betrage im Süden weniger als zwei Drittel des Aufkommens im Norden.

Oft wird geschrieben, Italien habe die „zweithöchsten Staatsschulden“ nach Griechenland. Das verzerrt jedoch die wahren Dimensionen, denn gemeint ist die relative Schuldenquote in Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP). In absoluten Zahlen ist Italiens Schuldenberg sieben Mal so groß wie der griechische. Italien hat viel weniger Einwohner, aber mehr Schulden als Deutschland oder Frankreich.

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Szenario 1: Man trifft sich in der Mitte.

Einschätzung: Eher unwahrscheinlich.

Die Antwort der EU-Kommission auf Italiens Budget ist am 21. November fällig. Die Euroländer waren in ihrer ablehnenden Haltung bisher erstaunlich geschlossen. Nur sehr vereinzelt gibt es Stimmen wie den belgischen Ökonomen Paul de Grauwe, die dafür plädieren, den Italienern den gewünschten Budgetspielraum zu ermöglichen. Dass Italien von sich aus einlenkt ist unwahrscheinlich, das würde Salvini und Di Maio als Schwäche ausgelegt. Sie würden als Umfaller darstellen.

Szenario 2:  Die EU bleibt hart, Rom bleibt hart.

Einschätzung: Sehr wahrscheinlich

Dann geht das Defizitverfahren der EU seinen Weg. Am Ende eines monatelangen Tauziehens könnte eine Geldstrafe von bis zu 0,2 Prozent des BIP stehen. Das wären ungefähr 3,5 Milliarden Euro. Das hilft aber wirtschaftlich weder Italien, noch dem Rest der EU. Politischer Gewinner wären Italiens Populisten.

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Szenario 3: Die Anleger machen Druck.

Einschätzung: Möglich.

In Wahrheit ist die entscheidende Frage nicht, was die Politiker tun,  sondern wie die Investoren und Bürger Italiens reagieren. Diese waren schon im Fall Griechenland der treibende Faktor. Es gibt einige mögliche Brandbeschleuniger in Richtung Pleite:

Risiko Banken: Wohlhabende Italiener – von denen gibt es viele – vertrauen nicht darauf, dass ihre Regierung ihre Vermögen schützen wird oder dass diese bei italienischen Banken gut aufgehoben sind. Viele haben begonnen, ihr Erspartes in Sicherheit zu bringen. Wenn das zu einer breiten Kapitalflucht führt, sitzen die Banken bald auf dem Trockenen. Und dann würde es brutal. Ein Kollaps einer italienischen Großbank wäre vergleichbar mit einem europäischen Fall der Sorte Lehman-Brothers. Der US-Ökonom Barry Eichengreen, wohl der profilierteste Experte für Währungskrisen aller Art, nannte einen möglichen Kollaps der Eurozone bereits vor Jahren die „Mutter aller Finanzkrisen“.

Risiko Ratings: Bei Moody’s sind Italiens Bonitätsnoten am Rande des Ramsch-Status angekommen, bei Standard&Poor’s und Fitch nur noch zwei Stufen entfernt, haben aber einen negativen Ausblick. Eine Abwertung könnte dazu führen, dass italienische Anleihen aus großen Investmentfonds fliegen. Die Europäische Zentralbank könnte die Papiere nicht mehr als Sicherheiten der Banken akzeptieren. Das würde die Probleme italienischer Geldinstitute vergrößern.

Risiko Zinskosten: Italien ist darauf angewiesen, seinen riesigen Schuldenberg laufend umzuschulden. Dafür müssen neue Kredite aufgenommen werden - allein 2018 rund 334 Milliarden Euro, nächstes Jahr 280 Milliarden Euro (siehe Grafik). Das wird umso teurer, je höher die Risikoaufschläge für die Staatsanleihen klettern. Und die sind angesichts der Budgetkrise am Dienstag bereits auf 3,5 Prozent gestiegen.

Szenario 4: Die Märkte bleiben ruhig.

Einschätzung: Möglich.

Dann wird sich erweisen, ob das Kalkül der Regierung aufgeht, das Wachstum durch höhere Schulden anzukurbeln. Das Problem daran: Abseits von Rom glaubt fast kein Ökonom daran, dass die hohen Wachstumsprognosen zu halten sind.

Lega-Chef Salvini behauptet, die wirtschaftliche Schwäche Italiens liege daran, dass der von der EU verordnete Sparkurs das Wachstum hemme. Dieses Argument ist nicht haltbar, kontert Schellhorn (Agenda Austria).

Die Italiener haben bisher am allermeisten von den gesunkenen Zinskosten durch den Nullzinskurs der EZB profitiert. Italiens Staatsausgaben seien nach der Krise weiter gestiegen, erst ab 2013 habe  sich die Spendierlaune etwas eingebremst – von zuvor 46,5 Prozent des BIP auf zuletzt „nur“ noch gut 44 Prozent. Die wahren Probleme lägen woanders: zu rasch gestiegene Löhne, geringe Produktivität, faule Kredite bei den Banken, lähmende Staatsschulden.

Das lässt sich aber nicht mit einem „Shortcut“, einer Abkürzung, über höhere Staatsausgaben lösen, im Gegenteil. Helfen würden dagegen nur Strukturreformen, die die Wirtschaft auf Vordermann bringen. Aber das schmerzt und bringt keine Wählerstimmen.