Schwitzen oder Frieren: Unser Leben mit Extremen
Von Vanessa Haidvogl
Europa leidet in diesen Tagen unter extremer Hitze. Noch nie zuvor wurden zum Beispiel in Großbritannien Temperaturen über 40 Grad Celsius gemessen. Waldbrände wüten in Spanien und Frankreich, in vielen Regionen Italiens wurde der Wassernotstand ausgerufen.
Phänomene, die sich in den nächsten Jahren häufen werden, weiß Annemarie Lexer von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik: „Die Sommer werden heißer. Extreme Ereignisse wie Starkregen oder Hagel werden zunehmen.“
Auch in Österreich sind die ersten Anzeichen des Klimawandels deutlich sichtbar: Der Pegelstand des Neusiedler Sees ist so niedrig wie seit 20 Jahren nicht. Der Sonnblick war schon am 6. Juli frei von natürlichem Schnee, was normalerweise erst Mitte August der Fall ist.
Kühlen wird teuer
Die zahlreichen Hitzetage über 30 Grad Celsius heizen unsere Wohnungen und Büros ordentlich auf. Jetzt kann man leicht sagen: Egal, wir haben eine Klimaanlage. Aber es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis die Unternehmen, aber auch und vor allem die privaten Haushalte angesichts der stetig wachsenden Strompreise auf das Einschalten des kühlenden Gebläses ganz verzichten werden. Schlicht und einfach, weil es das Budget nicht mehr hergibt.
Kommt genügend Gas?
Aber die Klimakrise und die steigenden Strompreise sind nicht das Einzige, was die Menschen beunruhigt. Blickt man auf den kommenden Winter, droht das nächste Ungemach. „Kommt genügend Gas von Russland nach Österreich, um unsere Wohnungen zu heizen?“ ist eine Frage, die sich angesichts der vergangenen Wochen zunehmend stellen. Gesetzlich hat die Versorgung der Privathaushalte Vorrang gegenüber der Industrie. Aber so mancher Experte führt auch Argumente gegen diese Strategie ins Treffen.
Warm anziehen
Wenn das Gas ausbleibt, müssen wir uns darauf einstellen, dass nicht für jeden genug Energie zum Heizen oder Produzieren da sein wird. Aber wer soll dann das Gas bekommen? Eine energiewirtschaftliche Triage – das Wort kennen wir schon aus der Coronapandemie, als es um die Vergabe der Intensivbetten ging –, sieht Verbund-Chef Michael Strugl auf uns zukommen, wie er bei der Verbund-Diskussionsveranstaltung „Energiewende – aber sicher“ Anfang Juli in Berlin erklärte.
Es könnte also durchaus heißen, dass sich die Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes warm anziehen muss. Der frühere EU-Kommissar aus Deutschland, Günther Oettinger, brachte es bei der Diskussion auf den Punkt: „Wir müssen uns entscheiden: Wollen wir es zu Hause wohlig warm bei 22 Grad und eine Einschränkung der Industrie mit einhergehender Massenarbeitslosigkeit, oder können wir es bei 18 Grad und zwei Pullovern aushalten und dafür gibt es Arbeitsplätze und eine garantierte Versorgung mit Gütern. Vor allem in den systemrelevanten Produktionen wie im Lebensmittel- oder Pharmaziesektor.“
Verbrauch reduzieren
Der am Mittwoch vorgelegte Gasnotfallplan der Europäischen Kommission sieht ebenfalls in den kommenden Monaten Einsparungen der einzelnen Mitgliedsstaaten vor. Von August bis März soll 15 Prozent des bisherigen durchschnittlichen Gasverbrauches eingespart werden. Die Verpflichtung auf diese Ziele solle freiwillig sein, könne aber im Fall einer Versorgungsnotlage obligatorisch gemacht werden.
Im Sommer bei über 30 Grad Celsius in der Wohnung schwitzen und im Winter frieren: Keine rosigen Aussichten für die nächsten Monate oder vielleicht sogar Jahre. Und nicht jeder Mensch verkraftet hohe bzw. niedrige Temperaturen gleich gut. Unser körperliches Empfinden für Wärme und Kälte ist sehr individuell. Wir haben uns das für Sie genauer angesehen.
Hitze ist Stress
Im dicht verbauten Raum heizt sich die gesamte Umgebung im Hochsommer auf. Wo viel versiegelte Fläche ist, bilden sich Hitzeinseln. Besonders prekär ist das in schlecht gedämmten Wohnhäusern sowie Dachausbauten.
Ob man als Mieter oder Eigentümer besonders von Hitze betroffen ist, hängt laut Hans Peter Hutter, stellvertretende Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin des Zentrums für Public Health an der MedUni Wien, von drei Faktoren ab: „Erstens: Wie ist der Zustand des Gebäudes?“ Ist es nicht gedämmt, helfen zumindest Außenjalousien dabei, die Hitze auszusperren. „Zweitens: Wie ist das Umfeld? Gibt es eine Beschattung in der Straße, etwa durch Bäume? Und drittens das Verhalten: Wie verhalte ich mich selbst?“ Denn wer in der Mittagshitze eine Stunde lang lüftet, lässt die warme Luft selbst herein.
Hutter empfiehlt, sich einen Ventilator anzuschaffen. „Dies hat bei uns zwar nicht Tradition, ist aber ein probates Mittel gegen die Hitze.“ Denn ein Deckenventilator verbraucht im Gegensatz zu einem Klimagerät kaum Strom und ist daher „energietechnisch nicht zu vergleichen“, sagt der Public-Health-Experte.
Stress für den Körper
Hitze ist Stress für den Körper. Denn dieser versucht, den Organismus konstant auf 37 Grad zu halten. Dafür muss das Herz mehr arbeiten, die Blutgefäße erweitern sich. Gleichzeitig fängt der Körper an zu schwitzen, die erzeugte Feuchtigkeit verdunstet und kühlt. Das Herz-Kreislauf-System ist belastet, ebenso die Atemorgane. Betroffen von Hitze-Belastungen sind vor allem ältere Personen, denn die Fähigkeit, sich an Temperaturextreme anzupassen, nimmt im Alter ab, diese Fähigkeit ist bei Säuglingen und Kleinkindern noch nicht voll entwickelt.
Ist es tagsüber heiß und kühlt es auch nachts nicht auf unter 20 Grad ab, sprechen Meteorologen von Tropennächten. „Je wärmer es ist, desto weniger erholsam ist der Schlaf“, so Hutter. Wer nicht erholt sei, halte die Hitze am nächsten Tag noch weniger aus, ein Teufelskreis.
Tipps gegen Hitze
Im Ernstfall führen die hohen Temperaturen zu einem Hitzschlag, das ist ein Hitzestau im Körper: Machen sich erste Symptome einer Überhitzung bemerkbar, heißt es:
- eine kühle Umgebung aufsuchen, das kann eine Kirche sein oder ein klimatisierter Raum.
- die Füße hochlagern und Wasser trinken, feuchte Tücher auf Stirn und Oberkörper helfen beim Abkühlen.
Kälte ist bewältigbar
Der Notfallplan der EU für einen Gaslieferstopp sieht vor, dass bestimmte Gebäude auf maximal 19 Grad geheizt werden sollen. Der deutsche Wohnungskonzern Vonovia hat zum Beispiel vor einer Woche angekündigt, die Heizleistung in den verwalteten Wohnungen werden zwischen 23 und 6 Uhr auf 17 Grad Raumtemperatur reduziert.
Pullover statt T-Shirt
19 Grad klingt auf den ersten Blick nicht so wenig, schließlich haben die meisten Schlafräume ungeheizt zwischen 18 und 20 Grad. Bei den Wohnräumen ist das freilich anders: „Früher hatten Wohnräume 22 bis 23 Grad, heute werden sie auf 25 bis 26 Grad geheizt“, sagt Hans Peter Hutter. Ob man als Mieter oder Eigentümer besonders von der kälteren Raumluft betroffen ist, hängt laut Hans Peter Hutter vor allem vom persönlichen Verhalten ab. Denn wenn man einen Strickpullover anzieht – und nicht nur ein T-Shirt, dann ist es nicht erforderlich, die Heizung so hochzudrehen.
„Außerdem handelt es sich bei 25 oder 26 Grad um sehr trockene Luft, diese hat eher negative Auswirkungen. Optimal sind 21 bis 23 Grad in Wohnräumen und 17 bis 19 Grad in Schlafräumen.“ Der Experte ist der Meinung: „Ein bis zwei Grad weniger muss man aushalten. Da muss sich niemand Sorgen machen, krank zu werden.“
Freilich könne man bei 18,19 oder 20 Grad im Wohnraum nicht so lange still sitzen (etwa vor dem Computer im Homeoffice), vielmehr müsse man regelmäßig aufstehen und sich bewegen – auch das hat positive Effekte. Doch auch die Wohnräume können so ausgestattet werden, dass es einerseits nicht zieht und andererseits die Räume nicht so schnell auskühlen: Fenster und Türen abdichten, nicht genutzte Räume schließen.
Wärmeflasche hilft
Im Ernstfall führen die niedrigen Raumtemperaturen aber auch die mangelnde Luftfeuchtigkeit zu gesundheitlichen Belastungen. Der Fußboden ist kalt, die Füße und Hände frieren, die Nasenspitze ist kalt. Jetzt heißt es warm anziehen, eine Wärmeflasche ist eine einfache Methode, den Körper warm zu halten.
Ist auch die Luft trocken, bekommt man raue Hände und spröde Lippen. Daher sollte die Raumluft feucht gehalten werden, sie sollte bei 40 bis 60 Prozent liegen. Im Prinzip reicht es aus, die feuchte Wäsche zum Trocknen im Raum aufzuhängen. Feuchte Luft fühlt sich außerdem wärmer und behaglicher an als trockene.