Wirtschaft

Gruß vom Bürokratiemonster: Was Betriebe zur Weißglut treibt

Wo hören vernünftige Regeln auf, wo fängt Schikane an?

Speziell kleine und mittlere Unternehmen (KMU) fühlen sich vom Staat zunehmend nicht nur ausgesackelt, sondern auch unnötig drangsaliert.

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In den Preisen könne er das nie unterbringen. Alle drei Jahre muss er die Zertifizierung und die Prüfung neu wiederholen. Zudem braucht er "Werkszeugnisse" für alle zugekauften Produkte. "Das Eisen, das ich von der Voest kaufe, muss ein Zertifikat haben", erzählt Mitterlehner. Insgesamt zehn solche Zeugnisse brauche er.

Der "Regelungs-Wahnsinn" bedroht nicht nur viele KMU in ihrer Existenz und damit auch Jobs. Kleinfirmen haben das Gefühl, ständig mit einem Fuß "im Kriminal" zu stehen. Die oberösterreichische Wirtschaftskammer hat das heuer in einer Werbekampagne thematisiert. Der Widerhall war groß: Viele Firmen haben sich danach mit ihren Fällen gemeldet, erzählt Erhard Prugger, Leiter der WKOÖ-Abteilung für Sozial- und Rechtspolitik, dem KURIER.

Er hat für eine Linzer Tischlerei mit 12 Mitarbeitern den Zeit- und Geldaufwand zur Erfüllung aller bürokratischen Vorgaben ausgerechnet. Das Ergebnis: 27 Prüfpflichten sind zu erfüllen. Bis zu 8300 Euro und 114 Arbeitsstunden kostet der "Spaß". Vom Tischlermeister wird sogar verlangt, dass er alle Mitarbeiter, die mit einem Firmenfahrzeug fahren, zwei bis drei Mal jährlich kontrolliert, ob sie noch im Besitz eines geltenden Führerscheins sind. Und das berichteten andere Firmen:

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Sogar bei der Rechtssicherheit gilt Österreich nicht gerade als vorbildlich: Hierzulande gibt es bis zu einem Dutzend Steuerrechtsnovellen im Jahr, viele davon rückwirkend, kritisierte kürzlich der Chef der Industriellenvereinigung Georg Kapsch. In der Schweiz hingegen nur eine einzige jährlich. Und damit basta.

Mehr zu Steuer-Sonderregelungen lesen Sie im Sonntags–KURIER.

Der weltweite Trend in der Wirtschaft geht in Richtung Klein- und Mittelbetriebe (KMU): "Die These, dass alles immer größer wird und die Großen die Kleinen fressen, stimmt einfach nicht", sagte Nikolaus Franke, Leiter des Instituts für Entrepreneurship und Innovation an der WU Wien, beim ersten österreichischen Mittelstandskongress in Wien.

In den USA hat ein Unternehmen durchschnittlich nur noch zehn Mitarbeiter. Auch in Österreich ist die Zahl der KMU seit 2008 um 4,7 Prozent gewachsen, während es bei Großunternehmen nur ein Plus von 0,6 Prozent gab. Zum Mittelstand zählen hier mehr als 300.000 Unternehmen mit rund zwei Millionen Beschäftigten.

Um Größe gehe es schon lange nicht mehr, so Franke, sondern um Innovationskraft. Neue Ideen seien in kleineren Strukturen leichter umsetzbar. "Große sind oft in ihren Prozessen erstarrt. Sie haben zwar Geld, aber Geld allein schafft noch keine Innovation." Als Beispiel nennt Franke erfolgreiche Start-ups aus dem Social-Media-Bereich wie WhatsApp: "Ist die Innovation da, kann es oft sehr schnell gehen." In Österreich mangle es nicht an klugen Köpfen, aber wir müssen die PS besser auf die Straße bringen und brauchen mehr innovative Start-ups".

"Arbeiten lassen"

Mehr als 500 Unternehmerinnen und Unternehmer nahmen an der Wirtschaftsbund-Veranstaltung in den Sofiensälen teil. Einige von ihnen klagten live auf der Bühne über tägliche Bürokratieschikanen und stellten sogleich politische Forderungen. "Ich bin doch nicht dafür da, im Büro zu sitzen und das Magistrat mit Daten zu befüllen, das zahlt mir doch niemand", schilderte etwa die Wiener Hotelbetreiberin Patricia Tomek ihren täglichen Kampf mit der Verwaltung. Heilmasseur Paul Deutsch aus dem Burgenland hätte gerne von der Politik, dass "fleißige Arbeit belohnt wird". Ansonsten "sollen sie mir wenigstens keine Prügel vor die Füße werfen".

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Weltmarktführer

Mehr als 200 österreichische mittelständische Betriebe sind Weltmarktführer in ihrem Spezialgebiet.

Lehrlingsausbildner

Rund 100.000 Lehrlinge bilden KMU – also Betriebe mit maximal 250 Mitarbeitern – aus.

Aktuelles in Zahlen

440 Milliarden Euro erwirtschaftet der unternehmerische Mittelstand pro Jahr. Das sind 63 Prozent aller Umsätze.

2 Millionen Mitarbeiter sind in klein- und mittelständischen Betrieben beschäftigt – 63 Prozent der unselbstständig Beschäftigten.

2 von 3 Arbeitsplätzen werden von KMU geschaffen.

99,6 Prozent der Betriebe sind KMU.

Auf der Regierungsklausur in Schladming hat die Regierung 30 Maßnahmen zur Entbürokratisierung beschlossen. Die Umsetzung ist bis Ende 2015 geplant und soll Betrieben jährlich Einsparungen bis zu 125 Millionen Euro bringen. Zugleich kommen neue Belastungen – vor allem aufgrund von EU-Vorschriften – auf die heimischen Unternehmen zu. Ein kleiner Überblick:

Entlastungen

Genehmigungen: Ungefährliche kleine Betriebsanlagen (z. B. Friseure) sollen von der Genehmigung freigestellt werden. Dies könnte 2000 von 12.000 Genehmigungen betreffen.

Gewerbeanmeldung: Die vollektronische Gewerbeanmeldung sowie Änderungsangaben sind ab Frühjahr 2015 möglich.

Meldepflichten: Die Meldeschwelle, unterhalb der Unternehmen von einer Anmeldung im Rahmen des EU-Warenverkehrs (Intrastat) befreit sind, wird von 550.000 Euro auf 750.000 Euro erhöht. Das entlastet 2000 bisher Intrastat-meldepflichtige Unternehmen (melden Ein- und Ausfuhren).

Beauftragte: Einige Beauftragte werden gänzlich abgeschafft (z. B. Brandschutzgruppe, Hebeanlagenwärter), andere auf Freiwilligkeit umgestellt.

Aufzeichnungen: Keine Aufzeichnungspflicht bei täglich gleichbleibender Arbeitszeit, Aufzeichnung von Ruhepausen soll entfallen, Meldungen an Arbeitsinspektorat werden reduziert.

Belastungen

Lebensmittel: Wirte müssen Gäste über 14 allergene Stoffe in den Speisen informieren. Verstöße gegen die Infopflicht kosten zwischen 50.000 und 100.000 Euro. Auch Hersteller von Lebensmitteln, die ihre Produkte über den Handel verkaufen, haben von Brüssel neue Vorschriften zu den Verpackungsangaben bekommen. Für Betriebe bedeuten diese Änderungen mitunter Kosten jenseits der 100.000-Euro-Grenze.

Verbraucherrechte: Die seit Juli gültige EU-Verbraucherrechte-Richtlinie entpuppt sich als Bürokratiemonster für Handwerker. Sie müssen sich vor Kaufabschluss mit Paragrafen und Formularen herumschlagen. Änderungen sind keine in Sicht.

Energieeffizienz: Das Energieeffizienzgesetz schafft ab 2015 für Betriebe mit 250 oder mehr Beschäftigten neue Bürokratie. Sie müssen per Zertifizierung nachweisen, dass sie alle Möglichkeiten zum Energiesparen nutzen. Und wie üblich bei Zertifikaten: alle drei Jahre müssen sie erneuert werden.