Wirtschaft

Unternehmer vom Amtsschimmel verfolgt

Zuerst musste Michaela Reitterer, Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung und Besitzerin eines Hotels in Wien, eine maßgefertigte Fluchtweg-Leiter in ihrem Hotel entfernen und entsorgen lassen. Dann war die Rede davon, dass wieder eine Leiter installiert werden soll. Mit der lapidaren Begründung, dass die zuständige Person in der Behörde ihre Meinung vielleicht geändert hat. "Verlorenes Geld, verlorene Zeit, verlorene Energie", sagt Reitterer, die die Kosten der Aktion mit einem mittleren fünfstelligen Euro-Betrag beziffert.

So wie Reitterer fühlen sich viele Unternehmer vom Amtsschimmel verfolgt. "Sie leiden vor allem unter hoher Bürokratie, dem komplizierten Steuersystem und den hohen Lohnnebenkosten", sagt Creditreform-Chef Gerhard Weinhofer. Knapp 90 Prozent der Betriebe verlangen einen Bürokratie-Abbau, 77 Prozent eine Vereinfachung des Steuersystems und 89 Prozent eine stärkere Senkung bei den Lohnnebenkosten, geht aus einer Creditreform-Umfrage unter 1500 heimischen Klein- und Mittelbetrieben hervor.

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Weinhofer: "Der Verwaltungsaufwand, in Österreich ein Unternehmen zu gründen, dauert zehn Arbeitstage. Mehr als doppelt so lange wie im EU-Durchschnitt mit 4,5 Tagen, aber sogar zehn Mal so lange wie in Dänemark und Polen." Nach der Firmengründung wird es dann oft erst so richtig bürokratisch. Etwa für die Immobilienwirtschaft. Peter Oberlechner, Leiter des Immobilienrechts in der renommierten Anwaltskanzlei Wolf Theiss, kritisiert die – noch dazu häufig wechselnden – Hürden. So sehe die Wiener Bauordnungsnovelle 2014 neben ein paar Erleichterungen auch neue Erschwernisse vor.

Bauwerksbuch

Beispiele gefällig? Bei kleineren Bauvorhaben, die zwar nicht baubewilligungs-, aber anzeigenpflichtig sind (etwa ein neues Badezimmer oder neue Fenster), muss der Besitzer neuerdings ein Gutachten zur "statischen Vorbemessung" abgeben, um nachzuweisen, dass es sich nur um ein geringfügiges Bauvorhaben handelt, von dem keine potenzielle Gefahr für Leib und Leben ausgeht. "Das sind zusätzliche Kosten von – im billigsten Fall – mehreren hundert Euro bei kleinsten Angelegenheiten.

Gänzlich neu ist auch ein "Bauwerksbuch", das Gebäudebesitzer ab sofort führen müssen. Darin müssen sie dokumentieren, wann, wo und wie das Gebäude überprüft wird (etwa Fassadenteile). Das muss auch elektronisch vorliegen und für das Amt jederzeit zur Verfügung stehen. "Die zu Prüfenden müssen selbst Buch über ihre Prüfpflichten führen", schüttelt Oberlechner den Kopf. Auch wenn er einräumt, dass das in diesem Fall eine EU-Vorgabe ist, meint er: "Die Behörde wälzt ihre Arbeit auf den Bürger ab."

Zur Bürokratie kommen höhere Kosten. Allein die Steuerreform kostet die Branche laut Micheal Pisecky, Obmann der Immobilientreuhänder in der Wiener Wirtschaftskammer, 550 Millionen Euro pro Jahr. Verursacht durch die Verschlechterung der Abschreibungsmöglichkeiten für Gebäude und deren Instandsetzung, Erhöhung der Grunderwerbssteuer.

Bürokratie elektronisch

Die elektronische Verwaltung soll Bürokratie vermeiden. Eigentlich. Denn eine Umstellung bei ELDA, dem elektronischen Datenaustausch mit den Sozialversicherungen, brachte viele Unternehmer zum Verzweifeln. Wer zum Beispiel einen Mitarbeiter anmelden will, muss sich seit April 2015 "ordnungsgemäß nach Datenschutzklasse 2" ausweisen. Was das heißt? Jedenfalls, dass kein Lizenzschlüssel mehr ausreicht. Wer nicht rechtzeitig auf Kunden-Passwort umstellte, erhielt keine Seriennummer übermittelt. Deshalb musste den Benutzernamen kennen, wer den Passwort-Token anfordern wollte – etwa mit Bürgerkarte. Für die benötigt man den Signatur-PIN. Oder per Handysignatur? Dann bitte Signatur-Passwort und die TAN parat halten. Na, alles klar? "He, Leute, da draußen werkeln Handwerker, Dienstleister und Händler, viele mit nicht-deutscher Muttersprache – die haben was anderes zu tun", echauffiert sich Autohändler Walter Naderer.

Der Wiener Bäckermeister Josef Schrott war sich wegen der bürokratischen Hürden gar nicht sicher, ob sein Sohn weitermachen soll. "Das beginnt schon damit, dass er bei der Übernahme eine neue Betriebsanlagengenehmigung einholen muss", sagt Schrott. Dazu kommen ständig neue Aufzeichnungspflichten – von der Allergenverordnung bis zur Nährwertkennzeichnung.

Den Firmen bleibe wegen praxisferner Gesetze immer weniger Zeit für ihr wirkliches Geschäft, sagt der Chef der Wiener Wirtschaftskammer, Walter Ruck. Wien liege mit den Bürokratiekosten pro Mitarbeiter sogar zehn Prozent über dem Österreich-Schnitt. Dennoch habe die Kammer mit der Stadt bereits einiges erreicht, etwa einfachere Betriebsanlagengenehmigungsverfahren. "Wir dürfen aber nicht auf halbem Weg stehenbleiben", so Ruck.

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Die schlechte konjunkturelle Entwicklung geht den 360.000 Klein- und Mittelbetrieben (rund 2,6 Mio. Mitarbeiter) unter die Haut: Die KMU bauen Personal ab. Seit Jahresbeginn 2015 hat jeder dritte Betrieb (33,7 Prozent) seine Mitarbeiterzahl reduziert. Das sind elf Prozentpunkte mehr als im Vergleichszeitraum 2014. Auch in den nächsten Monaten werden vom Mittelstand keine positiven Beschäftigungsimpulse kommen.

Im Gegenteil: Im zweiten Halbjahr werden 21 Prozent der Firmen den Rotstift beim Personal ansetzen. „Die Lage ist so schlimm wie im Krisenjahr 2009“, sagt Creditreform-Experte Gerhard Weinhofer. „Die Unternehmen sind sehr pessimistisch und rechnen mit einer Verschlechterung der Gesamtlage.“ Nachsatz: „Den meisten Firmen bleibt gar nicht anderes übrig, als Jobs zu streichen, weil nicht genügend Aufträge vorhanden sind.“ Besonders stark betroffen ist der Bau. 51 Prozent der Baufirmen haben heuer bereits Mitarbeiter gekündigt. Weitere 28 Prozent werden heuer noch Jobs streichen.

Indes geht es der Industrie eine Spur besser. Zwar haben 26,7 Prozent der Industriebetriebe heuer schon Jobs abgebaut, aber 18 Prozent neue Mitarbeiter eingestellt. Im zweiten Halbjahr 2015 wird jede fünfte Industriefirma das Personalrad nach unten drehen.