Wirtschaft

Lohnzurückhaltung gefordert: Österreich als neuer "kranker Mann" Europas

Auf manche Entwicklungen kann ein Land wahrlich nicht stolz sein. Bisher galt Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht als der "kranke Mann" Europas. Diesen zweifelhaften Titel hat sich mittlerweile Österreich erarbeitet. Zumindest wenn man der umfangreichen Analyse von Raiffeisen Research folgt. 

Dessen Leiter, Gunter Deuber, und Johannes Rehulka, Generalsekretär des Raiffeisenverbandes,  haben am Montag vor Journalisten dargelegt, wie Österreich zu neuem Wachstum kommen könnte.

Ihr Befund ist eindeutig: Erst im Jahr 2026 wird Österreich wieder das Niveau seiner Wirtschaftsleistung des Jahres 2022 erreichen. Ab 2022 habe sich Österreich von der Dynamik in Europa entkoppelt. In diesem Jahr wächst nur Irland (aufgrund einiger Sonderfaktoren) langsamer als Österreich. Nimmt man als Vergleichsmaßstab das Pro-Kopf-Wachstum, dann ist Österreich mit minus 1,7 Prozent überhaupt schon das absolute Schlusslicht in Europa. Rehulka: "Ohne einen Kurswechsel hat das eine starke Dramatik, die Trends sind alarmierend."

Doch auch das mittlerweile wesentlich höhere Budgetdefizit von bis zu 4 Prozent im kommenden Jahr gibt Anlass zur Sorge und reduziert den Spielraum für neue staatliche Initiativen massiv. Daneben sind es Faktoren wie die Konsumzurückhaltung der Privathaushalte, die massive Investitionsschwäche der Unternehmen und die doppelt so stark wie im Euroraum gestiegenen Tariflöhne, mit denen die nächste Bundesregierung wird umgehen müssen.

Die Vorschläge von Rehulka und Deuber sind folgerichtig auf mehreren Ebenen angesiedelt.

Kurzfristig regen sie Investitionsanreize für Unternehmen an, etwa schnellere Abschreibemöglichkeiten. Dazu müssten endlich alle Bundesländer, also etwa auch Wien und Kärnten, das Wohnbaupaket der Bundesregierung aus dem Frühjahr umsetzen.

Gleichzeitig müssten die kommenden KV-Abschlüsse nur noch unter oder maximal auf dem Niveau der Inflation liegen, fordern sie die Sozialpartner zur Lohnmäßigung auf. Denn die Lohnkosten pro Stunde wären innerhalb Europas nur noch in Belgien, Deutschland und den Niederlanden höher als in Österreich. Die Lohnquote in Relation zur Wirtschaftsleistung war das letzte Mal 1995 auf dem heutigen Niveau. Löhne rauf, Wettbewerbsfähigkeit runter, das könne nicht ewig gutgehen. Es drohe tatsächlich das vom ehemaligen Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl schon vor Jahren befürchtete "Absandeln" des Standortes, so Deuber.

Das will die Vorsitzende der Gewerkschaft GPA, Barbara Teiber, nicht unwidersprochen stehen lassen: "Dass laut Raiffeisenverband nun die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die schlechte Wirtschaftslage ausbaden sollen, ist eine Chuzpe", teilte sie per Aussendung mit. Hintergrund der hohen Gehaltsabschlüsse des letzten Jahres sei die gewaltige Inflation, die die Regierung zu verantworten habe. "Die Inflation bleibt Ausgangslage der Verhandlungen", so die Gewerkschafterin.

Zur mittelfristigen Budgetkonsolidierung empfiehlt Raiffeisen eine Schuldenbremse nach den Vorbildern in der Schweiz oder Schweden. Ein kurzfristig größeres Sparpaket wäre jetzt der falsche Weg und würde die Konjunktur bloß endgültig abwürgen. Ebenso wären neue Steuern der falsche Weg, Österreich habe nach wie vor die vierthöchste Steuer- und Abgabenquote in Europa. Gegenfinanzierungen seien im Bereich der Förderungen zu finden, etwa durch das Streichen des Klimabonus. Ähnliche Vorschläge haben am Freitag auch die Chefs von WIFO und IHS gemacht.

Nicht zuletzt bräuchte es auch massive Anstrengungen zur Entbürokratisierung. Das 2017 beschlossene, aber nur bis 2020 gültige "Deregulierungsgrundsätzegesetz" gehöre wieder eingeführt, auch ein "Hoher Beauftragter" für die Umsetzung des Bürokratieabbaus wird angeregt.

Die kommende Bundesregierung brauche in Summe also eine "klare Reformagenda", Vorbild könnte beispielsweise Deutschland ab 2000 sein. Damals war in Berlin erstmalig Rot-Grün unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder an der Macht. Diese Konstellation hat in Österreich keine Mehrheit.