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Überwache dich selbst

Es ist 07.24 Uhr. Alex schläft. Seine Hirnwellen deuten auf einen Traum hin – die via Smartphone aufgezeichneten Kurven gleichen dem Bergprofil der Dolomiten. Auch das Herz schlägt kräftig. Der Puls liegt knapp über seinem Normalwert. Der Geräuschpegel im Schlafzimmer wird durch das Mobiltelfon aufgezeichnet und liegt rund 20 Dezibel unter dem Tagesdurchschnitt. Da Alexs Körpertemperatur durch den einfallenden Sonnenschein leicht angestiegen ist, wird die Klimaanlage aktiv und blässt kalte Luft in den Raum, in dem konstant zwischen 19 und 20 Grad vorherrschen sollten – so hat es Alex am Vormittag eingestellt.

Die Applikationen auf Alex' Mobiltelfon versuchen es seinem schlafenden Körper so angenehm wie möglich zu machen. Die dabei gesammelten Daten werden aufgezeichnet, dokumentieren das Schlafverhalten und errechnen den erholsamsten Schlaf. Um 8.37 Uhr ist es so weit, das Programm löst den Wecker aus - im Zeitfenster, das Alex vor dem Einschlafen angegeben hat. Ein leiser Ton erklingt. Sakral, fast schon ein wenig meditativ klingt dieser und soll Alex so sanft wie nur möglich aus dem Schlaf holen. Nach wenigen Sekunden mischen sich grellere Sounds in das Klangspektrum. Alex wacht auf. Sein erster Blick geht zum Bildschirm an der Wand: "90% Schlafeffizienz" ist darauf zu lesen. Kein schlechter Wert.

Quantified-Self

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Diese Geschichte stammt aus dem neuen Buch "Mein digitales Ich" und beschreibt das neue Phänomen der digitalen Selbstvermessung. Die imMetrolit Verlag veröffentlichte Lektüre setzt sich mit der sogenannten "Quantified-Self"-Bewegung auseinander, und welche möglichen Auswirkungen diese für uns und unsere Gesellschaft mit sich bringt. Die Autoren Christian Grasse und Ariane Greiner berichten sachlich über die unterschiedlichen Entwicklungen in diesem Bereich, welcheAppses gibt, welche gerade in Entwicklung sind und wie diese bereits verwendet werden.

"Radio", sagt Alex. Das in der ganzen Wohnung integrierte Computersytem mit den zahlreichen Kameras und Mikrofonen reagiert prompt, ist mit dem Internet verbunden und beschallt Alex mit seinem Lieblingssender. Das Homesystem organisiert mittlerweile einen Großteil seines Lebens. Es erstellt eine Einkaufsliste, verwaltet Termine, warnt vor unnötigen Ausgaben und greift auf die Daten zu, die Alex täglich bewusst, aber auch unbewusst von sich preisgibt: Je mehr Informationen im System sind, desto größer ist der Erkenntnisgewinn.

Es ist eine Symbiose zwischen Mensch und Maschine. Es gibt kaum Daten, die nicht gesammelt werden: Essgewohnheiten, Liebesleben und soziale Kontakte. Mit wem trifft sich Alex wann, wo und wozu? Wie oft ist er krank, beim Arzt und wie sieht es mit seiner Fitness aus? Diese Fragen beantwortet er selbst – freiwillig, aber auch unfreiwillig.

Überwachung

Die Geschichte von Alex ist frei erfunden, rein technisch wäre das Szenario aber auf jeden Fall schon jetzt machbar. Für die einen ein Segen, für die anderen ein Fluch. Stichwort: "Big Brother is watching you". Aber das Zeitalter der (freiwilligen) Überwachung hat begonnen. Der von George Orwell im Roman "1984" entworfene Überwachungsstaat ist näher als man denkt. Das hat zuletzt auch Edward Snowden mit seinen NSA-Enthüllungen aufgezeigt.

Wir werden also bespitzelt. Aber wie sehr überwachen wir uns im Endeffekt selbst? Das Smartphone ist zum ständigen Begleiter geworden, Apps steuern unser Verhalten, Netz und Körper werden eins. Wie verhält sich der Herzschlag beim Radfahren? Wie weit bin ich heute gelaufen? Was habe ich heute gegessen? Wie verändert sich mein Gewicht? So genannte "Self-Tracker" geben die Antwort und versuchen ihr Ich zu optimieren.

"Mein digitales Ich" ist unterhaltsame, aber doch sachliche Lektüre, die Einblicke gibt, wie weit die digitale Selbstvermessung bereits fortgeschritten ist. Was viele selbst über sich in Erfahrung bringen, wird dann auch sofort via Facebook geshared, oder auf anderen Plattformen gepostet. Was die Unternehmen, die diese Programme zur Verfügung stellen, mit unseren Daten machen, wissen wir in den seltensten Fällen. Und das sollte einen durchaus nachdenklich stimmen.

Wie unser Alltag in einigen Jahren aussehen könnte, zeigt dieser (teilweise schockierende) Kurzfilm.

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