Jeder zweite Arbeitslose kommt mit seinem Einkommen nicht aus
Von Anita Staudacher
Die Arbeitslosigkeit steigt wieder und führt bei den Betroffenen häufig zu finanziellen Engpässen. Laut zwei von der Arbeiterkammer (AK) Wien in Auftrag gegebenen Studien können mehr als die Hälfte der Arbeitslosen (54 Prozent) von ihrem Einkommen während der Arbeitslosigkeit nicht leben, für weitere 38 Prozent reicht es gerade noch aus. Besonders schwer haben es Personen mit Migrationshintergrund, gering Qualifizierte und Alleinerzieher/innen, vor allem im Niedriglohnsektor. Aber auch ein Drittel jener, die zuvor gut von ihrem Einkommen leben konnten, kommen während der Arbeitslosigkeit mit ihrem Einkommen nicht über die Runden.
Bei der Studie „Auskommen mit dem Einkommen bei Arbeitslosigkeit“ der prospect Unternehmensberatung gaben die rund 500 befragten Arbeitslosen an, während der Arbeitslosigkeit monatlich um 44 Prozent weniger Geld zur Verfügung zu haben, als sie zuletzt (netto) verdient haben. Häufigste Einkommensquellen sind Arbeitslosengeld (56 Prozent) und Notstandshilfe (46 Prozent). Viele Betroffene brauchen zusätzliche finanzielle Ressourcen, um über die Runden zu kommen, wobei vor allem auf Ersparnisse zurückgegriffen oder ein Partnereinkommen angezapft wird.
Zudem mussten laufende Ausgaben drastisch reduziert werden. Am häufigsten gespart wird demnach bei Kleidung und Schuhen (79 Prozent). Mehr als zwei Drittel (68 Prozent) waren gezwungen bei Grundbedürfnissen wie dem Lebensmitteleinkauf zu sparen, 44 Prozent beim Energieverbrauch bzw. Heizen. "Die Auswirkungen betreffen alle Lebensbereiche", erklärt Silvia Hofbauer, Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration bei der AK Wien.
Neben der finanziellen Situation wirkt sich die Arbeitslosigkeit aber auch auf andere Lebensbereiche aus. So spüren 62 Prozent der Befragten eine allgemeine Verschlechterung ihrer Lebenssituation, 45 Prozent sehen ihre beruflichen Chancen beeinträchtigt, weitere 44 Prozent berichten, dass sich ihr Gesundheitszustand verschlimmert hat und 36 Prozent sehen negative Auswirkungen auf ihre Kinder.
"Arbeitslosigkeit macht arm, krank und einsam"
"Arbeitslosigkeit macht arm, krank und einsam. Je länger, desto schlimmer wird die Situation", fasst Hofbauer zusammen. Der Druck auf die Arbeitslosen nehme zu, es sei schwer, aus einer Abwärtsspirale herauszukommen. Im Vergleich zu einer Befragung aus dem Jahr 2014 habe sich die finanzielle Situation noch verschlechtert, so Hofbauer. Grund sei die Teuerung. Arbeitslosengeld und Notstandshilfe wurden nicht inflationsangepasst, es gab stattdessen Ausgleichszahlungen.
Die AK erneuerte ob der Umfrageergebnisse ihre Forderung nach einer Anhebung des Arbeitslosengeldes von 55 auf 70 Prozent des Letzteinkommens (Nettoersatzrate). "Das Arbeitslosengeld muss die Existenz sichern", so Hofbauer. Statt den Sanktionsdruck zu erhöhen, brauche es eine bessere Unterstützung für die Job-Rückkehr. Dafür müsste das AMS-Budget und -Personal aufgestockt werden.
Auch mehr Firmenpleiten lassen Arbeitslosigkeit steigen
Die AK weist auch darauf hin, dass auch die aktuelle Pleitewelle zu vermehrter Arbeitslosigkeit führt. So hat die AK Wien heuer bereits mehr als 5.000 Arbeitnehmer dabei unterstützt, Insolvenz-Entgelt zu beantragen, im gesamten Vorjahr waren es 7.000. "Man kann also davon ausgehen, dass mit Ende 2024 der Wert des Vorjahres deutlich übertroffen wird", so Karin Ristic, Leiterin der Abteilung Insolvenzschutz, der AK Wien. Österreichweit hat die AK heuer schon 20.880 Arbeitnehmer vertreten, um 10 Prozent mehr als bis zum dritten Quartal 2023.
Ristic sieht anhand einen "besorgniserregenden Trend" bei den Insolvenzen. "Insolvenzen werden als Geschäftsmodell missbraucht, um unternehmerisches Risiko auf die Allgemeinheit, dem Fonds, abzuwälzen." Manche Unternehmen würden sich um Sozialversicherungsbeiträge drücken und ihre Lohnkosten über Insolvenzen der Allgemeinheit aufbürden. Durch komplexe Firmenkonstruktionen und Subunternehmerketten sei es oft sehr schwierig, die Ansprüche der Arbeitnehmer zu erfassen und durchzusetzen.
Lückenhafte Lohnverrechnung
"Die Abwicklung der Verfahren wird immer komplizierter, da die insolventen Arbeitgeber oftmals nur eine fehler- bzw. lückenhafte oder gar keine vernünftige Lohnverrechnung haben", so Ristic. Oft fliege bei der Insolvenz auf, dass die betroffenen Arbeitnehmer bei der Sozialversicherung falsch angemeldet waren - etwa nur geringfügig, obwohl sie Vollzeit arbeiten mussten.
Gesichert werden die Lohnansprüche durch den Insolvenzentgeltfonds (IEF), der durch Beiträge der Arbeitgeber gespeist wurde. Die Beiträge wurden in den vergangenen Jahren mehrfach von 0,55 Prozent auf 0,1 Prozent gesenkt. „Weitere Kürzungen sind strikt abzulehnen, weil sie auf Kosten der Arbeitnehmer gehen“, betont Ristic.