Thema/WM2014

Deutsche als Gruppensieger ins Achtelfinale

Es ist immer wieder aufs Neue faszinierend, in welchen emotionalen Ausnahmezustand Deutschland fällt, wenn sich das Land die Kugel gibt. Zwischen Lust und Frust, zwischen totaler Ekstase und völliger Ernüchterung liegen mitunter nur 90 Minuten. Die Stimmung im Land wechselt bisweilen sogar noch häufiger als Rekordnationalspieler Lothar Matthäus seine Freundinnen.

„Sollen wir so überhaupt nach Brasilien fahren“, hatte der deutsche Boulevard noch im WM-Vorbereitungscamp gefragt.

„Das wird unsere WM“, frohlockte die Bild nach dem 4:0-Auftaktsieg gegen Portugal und stellte nach dem frühen Aus von Spanien prompt fest: „Wer soll Jogis Jungs noch stoppen.“

Deutschland stolpert und hat wiederholt Probleme“, hieß es dann schon wenige Tage später wieder, nach dem 2:2 im zweiten Gruppenspiel gegen Ghana.

Also was jetzt?

Sind die Deutschen nun Turnierfavorit oder haben sie etwa vielleicht doch nichts in Brasilien verloren, wie noch Ende Mai gemutmaßt?

Pflichtsieg

Nun, richtig Aufschluss über die wahre Leistungsstärke des dreifachen Weltmeisters konnte auch das letzte Gruppenmatch gegen die USA nicht geben. Die Deutschen feierten zwar den 1:0-Pflichtsieg und schlossen damit die Vorrunde vor den USA erwartungsgemäß als ungeschlagener Gruppensieger ab, wozu diese Nationalmannschaft von Joachim Löw bei dieser WM allerdings berufen ist, darüber lässt sich streiten.

Dafür wurde der Favorit von dieser US-amerikanischen Klinsmannschaft vor allem in der Defensive auch viel zu wenig gefordert, und dafür war der tiefe und klatschnasse Boden viel zu oft Spielverderber. In Recife herrschte nach einem mehrstündigen Wolkenbruch Stadt unter, die beiden Mannschaften und die Fans hatten Mühe, überhaupt ins Stadion zu kommen.

Wenn es bei diesen britischen brasilianischen Verhältnissen flüssige Kombination gab, dann aber von den Deutschen. Jürgen Klinsmann hatte im Duell mit seinem ehemaligen Assistenten Joachim Löw seine Mannschaft mit einer klaren Defensivstrategie und viel Respekt aufs Feld geschickt. Nach acht Minuten vermeldeten die FIFA-Statistiker 78:22 Prozent Ballbesitz für die DFB-Elf, in dieser Zeit waren die US-Spieler nur neun Mal am Ball gewesen.

Luxusproblem

„Wir haben mehr Lösungen für das Spiel“, hatte Joachim Löw schon vor dem Match klargestellt und seine Mannschaft einer Blutauffrischung unterzogen. Podolski und Schweinsteiger ersetzten Khedira und Götze, für Rekordtorschütze Klose, der zuletzt gegen Ghana sein 14. WM-Tor erzielte, war erneut die Jokerrolle vorgesehen.

Die Deutschen können sich diesen Luxus durchaus erlauben. Sie haben ja Thomas Müller, einen Mann, der sich schon auf Klose und den Torrekord eingeschossen hat und sich mittlerweile bedrohlich der 14-Tor-Marke nähert. Gegen die USA erzielte der 24-Jährige mit einem präzisen Schuss von der Strafraumgrenze (55.) bereits seinen neunten WM-Treffer und überholte damit einen gewissen Diego Maradona, bei diesem Turnier müllerte es nun schon zum vierten Mal. Damit zieht der Bayern-Stürmer in der WM-Torschützenliste mit Neymar und Messi gleich. „Das war ein mehr als ordentliches Spiel“, sagte der 24-Jährige.

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Premiere

Der Treffer von Müller war der Höhepunkt in einer Partie, die nicht mit den vielen sehenswerten Partien bei dieser WM mithalten konnte. Das Tempo war meist niedrig, die beiden Mannschaften neutralisierten sich über weite Strecken, und die USA hatte die beste Offensivaktion gar erst in der Nachspielzeit, als Bedoya und Dempsey binnen weniger Sekunden scheiterten. Immerhin erlebte Recife eine WM-Premiere: im Finish lief ein deutscher Flitzer übers Feld.

Richtig emotional wurde es erst nach dem Schlusspfiff, als sich die Kollegen Joachim Löw und Jürgen Klinsmann in die Arme fielen. Das routinierte US–Team (Altersschnitt 30,0) steht damit zum zweiten Mal in Serie im WM-Achtelfinale, wo aber mit einer Leistung wie am Donnerstag dann wohl Endstation sein dürfte.

Für Joachim Löw hingegen beginnt das WM-Turnier jetzt erst so richtig. „Ich mag ’ die K.o-Spiele, da darf man sich dann überhaupt keine Fehler mehr erlauben“, hat der deutsche Bundestrainer kürzlich erst erklärt. „Und ab dem Achtelfinale werden die Karten sowieso immer neu gemischt.“

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Recife, Pernambuco Arena, 43.000, SR Irmatov (UZB)

Tor:
0:1 (55.) Müller

USA: Howard - Johnson, Gonzalez, Besler, Beasley - Beckerman, Jones - Zusi (84. Yedlin), Bradley, Davis (59. Bedoya) - Dempsey

Deutschland: Neuer - Boateng, Mertesacker, Hummels, Höwedes - Schweinsteiger (76. Götze), Lahm, Kroos - Özil (89. Schürrle), Müller, Podolski (46. Klose)

Gelbe Karten: Gonzalez, Beckerman bzw. Höwedes

Joachim Löw (Teamchef Deutschland): "Wir haben das Spiel souverän gestaltet und bis zum Schluss keine großen Chancen zugelassen, aber wir haben es verpasst, mehr Chancen herauszuarbeiten und das 2:0 zu machen. Wir haben das Spiel beherrscht und verdient gewonnen, waren in den meisten Fällen auch konzentriert."

Thomas Müller (Stürmer Deutschland/Torschütze und Man of the Match): "Jetzt habe ich tatsächlich ein schönes Tor geschossen. Hin und wieder fällt mir halt auch einer vorm Fuß. Wir spielen einen guten Ball, haben uns weiterentwickelt, auch wenn es gegen tief stehende Amerikaner schwierig war. Mit Arbeit, Disziplin und ein bisschen Glück können wir weit kommen."

Mats Hummels (Verteidiger Deutschland): "Wir hatten das Spiel größtenteils unter Kontrolle. Wir haben gewonnen, das war das einzig Relevante. Wir wollten unbedingt ein Unentschieden vermeiden, damit keine Gerüchte aufkommen."

Jürgen Klinsmann (Teamchef USA): "Wir hatten zu Beginn zu viel Respekt, aber es war ein Spiel mit viel Leidenschaft. Alle haben gesagt, wir haben in dieser Todesgruppe keine Chancen, und jetzt sind wir aufgestiegen. Das ist fantastisch."