Gottwald: "Ist das im Sinne des Sports?"
Von Christoph Geiler
Felix Gottwald ist der erfolgreichste Medaillensammler der österreichischen Olympia-Historie. Von Lillehammer 1994 bis Vancouver 2010 hat der Kombinierer sieben Medaillen gewonnen. Sotschi 2014 erlebt der Jungpapa nun daheim als Zaungast.
Herr Gottwald, einmal ganz ehrlich: Sind Sie froh darüber, dass Sie nicht mehr aktiv sind und nach Sotschi müssen?
Felix Gottwald: Ich verfolge diese ganze Sache natürlich mit Interesse. Und ich war ja auch noch aktiv, als die Spiele seinerzeit nach Sotschi vergeben worden sind. Natürlich bekommst du da einen gewissen Einblick und kriegst Sachen mit, die du eigentlich als Sportler ja gar nicht wissen willst. Eines ist klar: Die ganze Diskussion um Sotschi ist doch auch ziemlich skurril.
Inwiefern skurril?
Dass Athleten jetzt nicht etwa gefragt werden, ob sie sich auf Olympia freuen, sondern nur wie sehr sie sich fürchten, hinzufahren. Im Vorfeld wurde praktisch nur mehr über die Sicherheits- und Menschenrechtsthematik geredet, aber kaum über den Sport selbst. Da hat die Relation nicht gestimmt. Andererseits...
... andererseits?
... andererseits sollte man in der aktuellen Diskussion um Sotschi eines auch nicht vergessen: Die Sommerspiele in Peking 2008 waren im Grunde nichts anderes. Nur war damals die Sensibilität in Österreich wesentlich geringer, weil es – unter Anführungszeichen – ja nur um den Sommersport gegangen ist.
Ehrlich: Mir fällt es sehr leicht, dass ich jetzt daheim bin und nicht bei Olympia. Ganz sicher auch, weil ich jetzt eine kleine Tochter daheim habe. Es ist gut, wenn Sport auch Diskussionen auf gesellschaftlicher Ebene auslöst, weil dadurch Veränderungsprozesse in Gang kommen können. Allerdings reflektiert die Qualität, wie die Diskussionen geführt werden, auch auf den Sport zurück: Wenn Sportler also beispielsweise so überhaupt keinen Text haben zur Menschenrechtssituation in Russland, ist das kein gutes Signal. Und wenn ich nur sage: ´Da habe ich zu wenig Einblick, dazu kann ich nichts sagen´. So zu tun, als gäbe es das Thema nicht oder ginge es niemanden etwas an, wirft kein gutes Licht auf den Sport. Leider war das Vielfach die Haltung.
ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel hat seine Athleten ganz gezielt aufgefordert, sich nicht zu äußern.
Ich weiß ja, wie der Peter das meint. Nämlich, du sollst dich als Sportler auf das Wesentliche konzentrieren. Stimmt auch: Das ist ja auch das Ereignis, auf das du dich vier Jahre vorbereitest. Trotzdem: Es ist falsch, Sportler insofern zu beschränken, dass sie zu gesellschaftlich wichtigen Themen nichts sagen und sich auch keine Gedanken machen sollen. Dann brauchen wir uns nicht zu wundern, dass der Stellenwert des Sports in Österreich da ist, wo er ist. Und eines sollte auch jedem Sportler klar sein: Wer bei Olympia dabei ist, ist auch im Macht- und Geldkampf, der der Sport mittlerweile geworden ist, ein Teil der Spiele.
Mitgehangen mitgefangen also?
Wir sollten jetzt in Österreich auch nicht so entsetzt tun und sagen: “Ja, wie kann man denn bitte nur die Olympischen Spiele dorthin vergeben.“ Das ist heuchlerisch. Immerhin haben sich 50 heimische Firmen dort eine goldene Nase verdient. Österreich hat – teils offiziell, teils inoffiziell - sicher seinen Beitrag geleistet, dass die Spiele dort sind, wo sie sind. Das muss man auch ganz klar sehen.
Was erwarten Sie denn konkret von den Spielen in Sotschi?
Für uns TV–Konsumenten werden es sicher tadellose Spiele. Davon kann man ausgehen. Was hinter den Kulissen passiert: Da blickst du als Sportler sowieso immer seltener durch. Für mich persönlich waren meine ersten Spiele 1994 in Lillehammer die Schönsten. Das waren auch die einzigen Spiele, bei denen ich die Eröffnungsfeier besucht habe. Auch besuchen wollte. Vancouver 2010 war auch klass, aber da sind auch schon die Drohnen herum geflogen und wenn du in den Wald hinaus gelaufen bist, dann haben dich die Sicherheitsleute aufgehalten.
Die Frage ist, wo man hinschaut. Wenn du als Sportler vorrangig den sportlichen Vergleich suchst und siehst und das Rundherum ausblendest, dann ist Olympia trotz allem ein normaler Wettkampf und immer noch das, was er immer war. Nur: Wer schaut noch so auf Olympia? Wie sehen Sie’s? Auf jeden Fall wird man sich langfristig etwas überlegen müssen. Der Kern von Olympia sollte bitteschön schon der Sport sein. Und die Begeisterung, die der Sport vermittelt. Neuerdings kommen halt leider immer öfter seltsame und fragwürdige Botschaften aus dem Sport…
Zum Beispiel?
Zum Beispiel wenn ich lese, dass unsere Skifahrer alle regelmäßig Schmerzmittel nehmen. Was, bitte, hat das für eine Symbolwirkung, wenn unsere Skifahrer, die Heroes des Landes, erklären, dass sie nur mehr mit betäubenden Mitteln fahren können!? Was ist denn das für eine Botschaft? Wie wollen wir unsere Kinder für den Spitzensport begeistern, wenn die lesen und hören: Ohne Medikamente und Schmerzmittel geht es dort eigentlich nicht? Mit solchen Gedankenlosigkeiten sägt der Sport am Ast, auf dem er sitzt – ich kann mich darüber nur wundern.
Wundern darüber, wie „krank“ der Spitzensport ist?
Ich wundere mich, wie man eine Abfahrt runter fahren kann, wenn man nichts spürt und fühlt. Das ist ja genau die Wirkung solcher Mittel: Sie machen dumpf und stumpf für die Botschaften des eigenen Körpers. Da mache ich mir Sorgen um den Sport. Weil das ist das Gegenteil, wofür der Sport ja eigentlich stehen sollte: für ein gesundes Körperbewusstsein. Ich frage mich: Ist das wirklich im Sinne des Sports, dass er von seinen Werten immer weiter wegdriftet?
Für die Athleten geht es um Prämien, um Olympiastartplätze, ist das nicht Teil des Business Spitzensport?
Genau das ist ja das Problem. Wenn ich vor dem Fernseher sitze und Athleten sehe, die nur ihren Job erledigen, dann ist das ein Grund, warum ich abschalte. Sport ist mehr als nur Runterspringen und Rundenlaufen, mehr als Rot-blau-rot-blau im Skisport, mehr als so schnell wie möglich von A nach B. In dem Moment, in dem ich merke, da springt, läuft oder fährt einer, der den Sport nur als Business betrachtet, wird´s uninteressant. Das erleben die Menschen eh von Montag bis Freitag überall im Alltag.
Und bei wem fiebert Felix Gottwald richtig mit?
Es gibt schon einige, bei denen ich wahrnehme, dass sie mit Begeisterung und Herz am Start sind. Da kann auch ich mitfiebern, Daumen halten und mich freuen. Thomas Diethart ist so einer.
Ganz Österreich war vom Tourneesieger angetan.
Und das völlig zurecht. Viele werden sich gefragt haben: Wie schafft es ein Diethart bei der Tournee, das Wesentliche im Auge zu behalten und gleichzeitig die Kindlichkeit und die Freude am Skispringen nicht zu verlieren? Das interessiert und fasziniert mich. Oder: Wie schafft es ein Hirscher, dass er immer wieder im Detail arbeitet und dabei trotzdem das große Ganze nicht aus den Augen verliert. Oder ein Svindal, bei dem bei jedem Interview etwas Gehaltvolles daher kommt. Das sind Sportler, die es nicht zugelassen haben, dass ihnen die Natürlichkeit abhandenkommt. Sie verkörpern Werte – Respekt, Fairness, Mut, Authentizität.
Und mit welchen Athleten können Sie gar nichts anfangen?
Mit allen, die nichts von sich hergeben wollen, die ihre Individualität der Anpassung opfern. Denen mag ich nicht mehr zuschauen. Leider gibt es immer weniger Farbtupfen und immer mehr Einheitsgrau. Das ist vermutlich auch Teil des Systems und der Ausbildung beim ÖSV: Gleichschaltung, Kontrolle, damit ja alles bleibt, wie es immer war.
Sie scheinen nicht viel damit anfangen zu können.
Es ist ein enger Horizont, wenn versucht wird, Athleten auf einen gemeinsamen Nenner zu stutzen. In jedem steckt ein Typ, ein Charakter. Das sollte gefördert und entwickelt werden, anstatt Kanten und Ecken abzuschleifen, nur damit man Sportler pflegeleicht und systemgefügig sind. Das schwächt den Sport, aber es hat System: Aufgeblähte Funktionärsapparate bis zum geht nicht mehr, funktionale Sportler als Systemerhalter. So geht die Individualität verloren. Rainer Schönfelder beispielsweise war einer der letzten Farbeffekte in der trüben Szenerie. Zum Glück haben wir jetzt einen Kicker, der ausstrahlt, was mir taugt. Du schaust dem David Alaba einmal zu und merkst, dass er eine Gaudi hat bei dem was er macht. Solche Typen berühren und begeistern. Auch deshalb, weil sie so selten sind.
Rot-weiß-rote Medaillenchancen in Sotschi