Zum Mayer-Rücktritt: Angst geht vom Kopf aus, Mut aber auch
Von Wolfgang Winheim
In den 1970er-Jahren brachen sie alle Rekorde. 2023 feiern sie ihren 70er: Hans Krankl (14. 2.), die zu Österreichs Jahrhundertsportlerin gewählte Annemarie Moser-Pröll (27. 3.) und im Dezember Franz Klammer. Zu Ehren der glorreichen Drei sind Sondersendungen längst in Vorbereitung. Die Doku über Matthias Mayer hingegen, die der ORF am Neujahrstag zeigt, veranlasste zu kurzfristiger Planung.
Der dreifache Ski-Olympiasieger Mayer, 32, tritt fünf Wochen vor der WM im besten Abfahrer-Alter ab. ÖSV-Präsidentin Roswitha Stadlober, Alpinchef Herbert Mandl, Teamkollege Vincent Kriechmayr, Ausrüster, Sponsoren – sie alle hat Mayer mit seinem Adieu überrascht. Und sie alle werden, auch wenn die Mikrofone abgeschaltet sind, nur schwärmen vom charakterfesten Mayer. Nie in einen Skandal verwickelt, nie zu Starallüren neigend, verheimlichte er jüngeren Läufern auch nie wichtige Erfahrungswerte.
So gut wie über Mayer hat seinerzeit die Ski-Familie über Petra Kronberger geredet, die als Doppel-Olympiasiegerin vor genau 30 Jahren Abschied vom Rennlauf nahm. Sie war gar erst 23, als sie sich am 29. Dezember 1992 beim Autor per handgeschriebenem Brief für die „faire Berichterstattung“ bedankte.
Petra holte die Matura nach. Schloss, obwohl privat nicht immer vom Schicksal bevorzugt, ein Studium ab. Als Kunstführerin in Salzburg kam Frau Magister K. gänzlich ohne Promi-Bonus mit kaum 1.500 Euro aus. Dieselbe, die durch ihren Rennrücktritt mitten im Winter auf hohe (wenn auch Schilling-) Beträge verzichtet hatte.
Wie einst bei Petra werden jetzt bei Mayer Topverträge hinfällig. Und wie der Kärntner Fußball-Internationale Martin Hinteregger, der wegen seines Rücktritts um bis 2024 vertraglich garantierte Euro-Millionen in Frankfurt umfällt, hat auch der Kärntner Ski-Champion Mayer ein Leben ohne ständigen psychischen Druck ersehnt.
Petra Kronberger verriet, dass sie in den Wochen vor ihrem Rücktritt das Gefühl verspürt habe, nicht mehr gefeit vor schweren Stürzen zu sein. Möglich, dass auch Topathlet Mayer in Bormio solche Gedanken überkamen. Just dort, wo er 2010 auf der brutalen Pista Stelvio als jugendlich unbekümmerter Debütant gleich im Training erstmals mitten in die Weltelite geplatzt war. Als noch der erfolgreichste Coach aller ÖSV-Zeiten, Hans Pum, in der Chefrolle war. Mit 40-jähriger Trainererfahrung sagt Pum, dass Rennläufern die Gefahren einer Strecke erst so richtig bewusst werden, wenn sie nicht starten, sondern das Rennen im Fernsehen miterleben. So könnte es Mayer ergangen sein, als er wegen einer Magenverstimmung nur TV-Konsument der Bormio-Abfahrt war.
Dazu passen sechs Wörter, die Ex-Beachvolleyball-Europameister Clemens Doppler als angehender Revierinspektor über sein Foto in den neuen Polizeisportkalender vom Jahr 2023 geschrieben hat: „Angst beginnt im Kopf. Mut auch.“
Mensch Mayer. In seinem Falle ist’s der Mut zu einer nur für Außenstehende rätselhaften Entscheidung.