Sport/Wintersport/Ski-WM 2019

Attraktionen, Abschiedstränen, Aufreger und Ärger: Åre 2019

Die Weltmeister sind gekürt, die Medaillen vergeben, die 45. Skiweltmeisterschaften sind Schnee von gestern. Es heißt Adjö Åre und Ciao Cortina d’Ampezzo, wo 2021 die nächsten WM-Medaillen vergeben werden. Was bleibt in Erinnerung? Welche Sportler haben in Schweden einen bleibenden Eindruck hinterlassen, welche Athleten waren eher zum Vergessen?

Der KURIER zieht Bilanz.

POSITIV:

Mikaela Shiffrin

Was soll man über eine noch sagen, die mit 23 bereits ihren Fixplatz in den Geschichtsbüchern des Skisports hat? Mikaela Shiffrin – wer sonst – war der Superstar dieser Titelkämpfe in Åre. Und hätte die Amerikanerin nicht aus freien Stücken auf einen Start in der Kombination verzichtet, wer weiß, ob zu den zwei Goldmedaillen (Super-G, Slalom) und der Bronzemedaille (Riesentorlauf) nicht noch ein weiteres Stück Edelmetall dazu gekommen wäre. Im Slalom spielte Shiffrin „Vier gewinnt“, seit 2013 in Schladming ist die First Lady des Skisports in WM-Slaloms unbesiegt und hat jetzt bereits vier Mal in Folge ihre Paradedisziplin gewonnen.

Vincent Kriechmayr

Der 27-jährige Oberösterreicher konnte als einziger ÖSV-Speedfahrer die hohen Erwartungen erfüllen. Außer Kriechmayr schaffte es kein anderer Läufer, sowohl in der Abfahrt (Bronze) als auch im Super-G (Silber) auf das Stockerl zu rasen.

Österreichs Medaillen bei der WM in Åre:

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Abschiedsvorstellungen

Åre war die WM der Erinnerungsfotos und der Abschiedstränen. Mit Lindsey Vonn und Aksel Lund Svindal verabschiedeten sich zwei Athleten in den Ruhestand, die den Skisport über eineinhalb Jahrzehnte geprägt haben. Es war fast schon kitschig, dass der Norweger Svindal (Silber in der Abfahrt) und die Amerikanerin Vonn (Bronze in der Abfahrt) zum Abschluss ihrer Karrieren noch einmal über Medaillen jubeln durften.

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Petra Vlhova

Schon vor der WM hatte die Slowakin in ihrer Heimat einen Ski-Boom ausgelöst. Inzwischen dürfte die 23-Jährige daheim bereits Heldenstatus genießen. Petra Vlhova holte nicht nur als erste slowakische Skifahrerin WM-Gold (Riesentorlauf), sie schaffte es auch im Slalom und in der Kombination auf das Siegespodest. Nicht von ungefähr sieht Mikaela Shiffrin in der hoch aufgeschossenen Allrounderin aus Liptovsky Mikulas die größte Gegnerin der nächsten Jahre.

Teambewerb

Der Wettkampf wurde lange Zeit als Sie-und-Er-Lauf verspottet und genoss innerhalb der Skiszene keine große Wertigkeit. In Åre gehörte der Teambewerb definitiv zu den spektakulärsten Medaillenentscheidungen. Ob das der Grund war, dass die Tribüne an diesem Tag ausnahmsweise einmal gut besucht war, oder doch vielleicht das anschließende Legendenrennen mit Ingemar Stenmark?

Tirol-Berg

Seit St. Anton 2001 ist der Tirol-Berg bei Weltmeisterschaften der Gipfel des Après-Ski. Mittlerweile wurde in dieser Partyhochburg eine neue Hausordnung ausgerufen – und das ist gut und angenehm so. Die penetrante Pflege der Tiroler Folklore, die mehr genervt als unterhalten hat, gehört endlich der Vergangenheit an. Stattdessen präsentiert sich der Tirol-Berg nun international und weltoffener – und nicht zuletzt deshalb auch einladender.

Highlights der Alpinen Ski-WM 2019:

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NEGATIV:

Gian Franco Kasper

Die Auftritte des FIS-Präsidenten waren immer schon viel Schall und Rauch, doch inzwischen wird der kettenrauchende Schweizer zusehends kauziger. Die WM in Åre glich einem einzigen Kasper-Theater: Allein schon mit seinem Statement, künftig mit den Großveranstaltungen „nur noch in Diktaturen gehen“ zu wollen. Er habe das so nicht gesagt, stellte Kasper später fest. Dumm nur, dass es einen Tonbandmitschnitt gibt. Auch wenn er gerne viel redet, tatsächlich hat der FIS-Präsident im Weltsport nur noch wenig zu sagen. Seit das Internationale Olympische Komitee das Alterslimit seiner Funktionäre auf 70 Jahre gesenkt hat, ist der 75-jährige Kasper nur noch Ehrenmitglied ohne Stimmrecht.

ÖSV-Damen

Kann und darf man in der Skination Nummer eins zur Tagesordnung übergehen, wenn die Damen das erste Mal seit knapp vier Jahrzehnten bei einer WM leer ausgehen? Natürlich, sagt Peter Schröcksnadel. Anders als 2017, als der ÖSV kleinere Trainingsgruppen einführte, wird der Präsident diesmal keine Konsequenzen ziehen. Der Blick auf die Weltcupwertungen hält Schröcksnadels Enttäuschung und Ärger in Grenzen. Die in Åre so gebeutelten ÖSV-Damen führen den Nationencup souverän an, nachdem sie 2017 nur auf Rang zwei gelandet waren – und diese Wertung ist dem Präsidenten bekanntlich wichtiger als jeder Medaillenspiegel. „Wir als ÖSV müssen den Anspruch haben, dort immer die Nummer eins zu sein.“

Schweizer Skiherren

Möglicherweise ist es für den ÖSV ja ein kleiner Trost: Auch beim Nachbarn lief in Åre nicht alles nach Wunsch. Die Schweizer Ski-Herren blieben ohne Medaille, obwohl sie zum Beispiel mit Beat Feuz den Leader im Abfahrtsweltcup stellten.

Begeisterung

Man ist als österreichischer Skifan von den Heimrennen in Sölden, Kitzbühel oder Schladming natürlich etwas verwöhnt, aber die teils frostige Atmosphäre in Åre war alles andere als weltmeisterlich. So eine schüttere Zuschauerkulisse hätte man eher bei Juxrennen vermutet, aber nicht bei der wichtigsten Skiveranstaltung des Winters. 120.000 Fans hatte man erhofft, knapp 100.000 sind es geworden, davon 16.500 beim Damen-Slalom.

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Wetterkapriolen

Wie muss in Åre das Wetter wohl dann erst im April sein, wenn es jetzt im Februar schon so launisch war? Die Skala reichte von Temperaturen jenseits der minus 20 bis hin zu zweistelligen Plusgraden, es regnete, es stürmte, es schneite, nicht selten alles gleichzeitig. Ergebnis dieser Kapriolen: Kaum ein Rennen fand auf der Originalstrecke statt. Die Damen-Abfahrt war mit einer Siegerzeit von knapp über einer Minute die kürzeste der WM-Historie.

FIS-Renndirektoren

Die Läufer und Fans erlebten in Åre einige Speedrennen am Rande der Regularität. Es ist nachvollziehbar, dass die FIS unter dem Druck der WM-Vermarkter und TV-Stationen alles unternimmt, um einen Wettkampf über die Bühne bringen zu können, Werbung für den Skisport waren die beiden Abfahrten bei schlechten Witterungsbedingungen aber keineswegs. „Man freut sich zwei Jahre auf das Rennen, und dann ist es schade, wenn es bei solchen Verhältnissen ausgetragen wird“, beklagte sich etwa der Italiener Christof Innerhofer bitterlich.