Mario Seidls Leidenszeit ist vorbei: „Jetzt bin ich wieder ein Kombinierer“
Von Christoph Geiler
Als Mario Seidl am Donnerstag in Bischofshofen erstmals seit 14 Monaten wieder einen Fuß in den Anlauf einer Sprungschanze setzte, wurde ihm schlagartig bewusst, woher der berühmte Zitterbalken seinen Namen hat. In den Sekunden vor dem Sprung überkommen dort oben vielen Athleten Zweifel. Vor allem wenn sie wie der Nordische Kombinierer aus dem Pongau vor ihrem Jungfernsprung im Jahr 2020 stehen.
Hab’ ich’s noch drauf? Habe ich womöglich das Skispringen verlernt? Und im Fall von Mario Seidl die Frage aller Fragen: Hält mein Knie?
„Natürlich war ich am Anfang nervös“, gestand Mario Seidl, nachdem er vier Mal erfolgreich und unbeschadet die Paul-Außerleitnerschanze hinunter gesegelt war.
Tickende Zeitbombe
Sein linkes Knie hat den ultimativen Härtetest bestanden, den Mario Seidl schon so lange herbei gesehnt hatte. Seit 14 Monaten hatte sich Seidl nicht mehr über eine Schanze gewagt, nachdem er sich im Spätsommer 2019 das Kreuzband gerissen hatte. Normalerweise kehrt ein Athlet nach so einer Verletzung früher zurück, doch Seidls Krankengeschichte weist einige ungewöhnliche Kapitel auf.
Eigentlich hatte sich der Salzburger schon viel früher am linken Knie verletzt. Bei der Heim-WM im März 2019 in Seefeld war Mario Seidl bereits mit einem eingerissenen Kreuzband („ich habe die Zähne zusammengebissen) zur Bronzemedaille im Teambewerb gelaufen.
Dass er damals auf eine Operation verzichtete und die Verletzung konservativ ausheilen wollte, konnte beim ÖSV nicht jeder nachvollziehen. Die Skeptiker sahen sich schließlich bestätigt, als das beleidigte Kreuzband dann gleich beim Comeback sofort komplett riss. „Mein Knie war einfach eine tickende Zeitbombe“, erzählt Mario Seidl im KURIER-Gespräch.
Die Verletzung ereilte den Nordischen Kombinierer gerade mitten in seiner sportlichen Hochblüte. In der WM-Saison 2018/’19 hatte Seidl seine ersten beiden Weltcupbewerbe gewonnen, in Seefeld holte er an der Seite seiner Kollegen die Bronzemedaille im Teambewerb. Manche Experten sahen in ihm bereits einen potenziellen Gesamtweltcupsieger.
Großes Fernziel
Solche ambitionierten Ziele sind für Mario Seidl im Moment noch Schnee von morgen. Aktuell geht es für den 28-Jährigen vorrangig darum, wieder das Vertrauen in das Knie und in die eigenen Fähigkeiten zu erlangen. Nach seinen negativen Erfahrungen vom ersten Comeback ließ sich Seidl auf dem Weg zurück nun ganz bewusst Zeit. „Was sind schon zwei, drei Wochen umgerechnet auf eine ganze Karriere?“
Zuletzt konnte er die ersten Sprünge aber kaum mehr erwarten. „Wenn die Monate kommen, die mit er enden, werde ich automatisch etwas unruhiger und aufgeregter“, erzählt Seidl, der vorerst allerdings nichts überstürzen will. Das Fernziel im kommenden Winter ist die Weltmeisterschaft in Oberstdorf, wo endlich die erste Einzelmedaille her soll.
Die Sprünge in Bischofshofen waren der erste Etappensieg auf dem Weg zurück zu alter Stärke. „Jetzt sehe ich mich wieder als Kombinierer.“