Der Aufstieg und Absturz von Österreichs Tennis-Ass Dominic Thiem
Von Stefan Berndl
Eines kann man Österreichs Tennis-Ass Dominic Thiem wohl nicht vorwerfen: mangelnde Leidensfähigkeit. Der 28-Jährige hatte in den letzten Monaten nur wenig Grund zur Freude, zumindest wenn es um seine Karriere geht. Im September 2020 war Thiem noch auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Mit dem US-Open-Triumph sicherte er sich seinen ersten Grand-Slam-Titel und erfüllte sich einen Lebenstraum.
Das Ganze ist nun bereits fast eineinhalb Jahre her, seitdem hat sich viel getan. Und das nicht unbedingt im positiven Sinne. Das Jahr 2021 begann sportlich enttäuschend, im Sommer folgte dann eine Handgelenksverletzung, die den Niederösterreicher weit zurückwerfen sollte und ihn zu einer monatelangen Pause zwang. Die erhofften Comeback-Pläne wurden mehrmals über den Haufen geworfen.
Nicht gut genug
Erst Mitte April 2022 kehrte Thiem schließlich auf die ATP-Tour zurück. Es folgten sechs Niederlagen, zuletzt unterlag er am Montag in Genf dem Italiener Marco Cecchinato (Nummer 134 der Tennis-Welt) in zwei Sätzen. "Es war heute einfach nicht gut genug, es haben sehr, sehr viele Sachen nicht gepasst", sagte Thiem danach selbstkritisch.
Die Ausgangslage vor dem Start in die French Open könnte damit fast nicht schlechter sein. "Ich habe gewusst, dass es schwierig wird und ich nicht in Topform aufschlagen werde", erklärte der Niederösterreicher. In der Weltrangliste musste Thiem einen schmerzhaften Absturz hinnehmen. Bis Ende Oktober des Vorjahres konnte er sich - dank geschützten Rankings - noch in den Top Ten halten, danach ging es stetig und steil bergab. Aktuell ist er nur die Nummer 194 der Welt.
Drittbester Österreicher
Dass Thiem aus den Top 100 stürzte, war auch für Österreichs Tennis-Sport ein historischer Tiefschlag. Erstmals seit 1983 ist weder bei den Männern noch bei den Frauen jemand unter den ersten 100 zu finden. Thiem musste zudem auch seinen Platz an der heimischen Spitze räumen, nach acht Jahren wurde er von Jurij Rodionov als bester Österreicher im ATP-Ranking abgelöst. Er selbst hatte 2014 Jürgen Melzer überholt.
Ein Blick auf die Formkurve des einstigen Grand-Slam-Siegers zeigt jedenfalls deutlich den Auf- und Abstieg in den letzten Jahren. 2014 nahm Thiems Karriere so richtig Schwung auf, damals schaffte er es erstmals in die Top 100 und arbeitete sich stetig nach oben. Im Mai 2015 folgte der erste Titel auf der ATP-Tour, 2016 arbeitete er sich unter die besten Zehn der Welt.
Das Siegen verlernt
Mit 58 Saisonsiegen war es das bis dato erfolgreichste Jahr des Niederösterreichers. Von Juni 2016 bis Oktober 2021 war Thiem durchgehend in den Top Ten zu finden, knapp elf Monate davon war er sogar die Nummer drei. In diese Zeit fällt auch sein US-Open-Triumph Anfang Oktober 2020.
Es sollte nach einem schwierigen Corona-Jahr und monatelanger Zwangspause der letzte große Triumph Thiems bleiben. Auch, weil ihn bekanntlich nur wenige Monate später die Handgelenksverletzung aus der Bahn warf. Nach der langen Pause und eher holprigem Comeback hat Thiem nun eine Bilanz von sechs Niederlagen aus sechs Spielen zu Buche stehen.
Fehlendes Preisgeld
Auch ein Blick auf die Preisgeld-Entwicklung wird Thiem wohl eher weniger Freude bereiten. Nachdem er sich in den letzten Jahren an Millionen-Einnahmen gewöhnt hatte - 2019 hatte er mit knapp sieben Millionen Euro an Preisgeld sein erfolgreichstes Jahr - sieht es zuletzt eher trist aus. 2021 gab es knapp 700.000 Euro, 2022 steht er überhaupt erst bei knapp 73.000 Euro.
Viel schmerzhafter als das mangelnde Preisgeld wird für Thiem aber natürlich die Suche nach der sportlichen Top-Form sein. "Es war ein bisschen ein Schritt rückwärts", gab er nach der Niederlage gegen Cecchinato zu. Neben starken Schlägen fehlt dem 28-Jährigen gerade in den entscheidenden Momenten oft die Durchschlagskraft.
Das gilt auch beim Aufschlag. Ein Blick auf die Statistik der letzten Jahre zeigt: So wenige Asse wie in diesem Jahr hat Thiem noch nie geschlagen. Er kommt auf durchschnittlich 3,2 pro Partie. Der Bestwert datiert aus dem Jahr 2020, als es rund 7,18 waren. Immerhin hält sich die Doppelfehler-Quote in Grenzen, hier hält Thiem bei rund 1,8 pro Spiel. Vor allem der erste Service lässt Thiem noch zu oft im Stich: 69 Prozent gewonnene Punkte markieren einen Karriere-Tiefpunkt, in den letzten 10 Jahren lag dieser Wert immer über 70 Prozent (Höhepunkt 2018 mit 76 Prozent).
Dominic Thiem hat also noch einiges an Arbeit vor sich, um wieder annähernd zu alter Stärke zu finden. Derzeit geht es ohnehin vor allem darum, Fehler zu minimieren und konsequenter zu agieren. Die am Sonntag beginnenden French Open werden nun die nächste Bewährungsprobe für den Niederösterreicher. Und der nächste Versuch, den ersten Saisonsieg einzuspielen.