Netflix, Social Media und Co.: Die Formel 1 auf der Überholspur
Von Florian Plavec
Es gibt im Moment nicht viel zu jammern. Mit dem Zweikampf Verstappen gegen Hamilton erlebt die Formel 1 eine der aufregendsten Saisonen der vergangenen Jahre; mit McLaren mischt plötzlich ein drittes Team ganz vorne mit; mit der Rückkehr der Zuschauer an die Strecken lebt die Begeisterung neu auf.
Eine technische Regelrevolution soll die Formel 1 ab 2022 auch sportlich attraktiver machen und vor allem das Überholen erleichtern. Die Königsklasse des Motorsports erlebt aber nicht nur technisch einen ständigen Wandel.
Das war nicht immer so. Ein Bewahrer der Traditionen war Bernie Ecclestone. Der mittlerweile 90-jährige Brite achtete peinlich genau darauf, dass (bewegte) Bilder aus dem Fahrerlager ausschließlich TV-Sender zeigten, die dafür auch hohe Gebühren zahlten.
Im Jahr 2021 haben die TV-Quoten im Vergleich zum Vorjahr wieder zugelegt. Neueinsteiger ServusTV feiert mit der Formel 1 Rekordreichweiten, beim ORF schauen Rennen für Rennen 500.000 bis 700.000 Menschen zu bei einem enorm hohen Marktanteil von bis zu 50 Prozent.
Doch seit einigen Jahren ist die Formel 1 keine reine TV-Sportart mehr. „Wir haben den klassischen Medien viel zu verdanken“, sagt Formel-1-Chef Stefano Domenicali. „Aber wir müssen offen dafür sein, wie sich die Welt verändert hat.“ Etwa für ...
Netflix
Ursprünglich hielt sich die Begeisterung bei der Formel 1 in Grenzen, als der Streaming-Riese Netflix mit den Dreharbeiten von „Drive to Survive“ im Fahrerlager begann. Doch die Doku wurde ein voller Erfolg und erschloss der Formel 1 ein neues Publikum. Plötzlich ist der Sport Thema bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die dritte Staffel feierte am 19. März 2021 Premiere. Auch die Dokumentation „Schumacher“ erschien vergangene Woche auf Netflix.
Social Media
Unter Ecclestone durften die Fahrer und Teams nicht einmal Videos aus dem Fahrerlager posten. Dieses Bild hat sich komplett gewandelt. „Das jüngere Publikum ist multivernetzt“, sagt Domenicali. „Wir müssen sicherstellen, dass wir keine Möglichkeiten auslassen.“ Junge Fahrer wie Lando Norris, George Russell oder Charles Leclerc werden neben Lewis Hamilton zu den neuen Social-Media-Stars. Einzig Sebastian Vettel wehrt sich immer noch erfolgreich dagegen, sein Leben im Internet öffentlich zu machen.
Helmkamera
Mit spektakulären Bildern überraschte die Formel 1 die TV-Zuschauer beim Grand Prix in Belgien. Die Kamera im Helm von Fernando Alonso lieferte beeindruckende Aufnahmen und neue Einblicke. In Monza fuhr Williams-Pilot George Russell mit der nur 2,5 Gramm leichten Helmkamera sogar Qualifying und Sprintrennen. „Alles, was die Unterhaltung verbessert und mehr Informationen liefert, ist gut,“ sagt Williams-Teamchef Jost Capito. „So etwas muss ausprobiert werden, und dann sollte es bei allen im Auto sein.“ Dann würde sich auch die Diskussion erübrigen, ob Teams mit Kamera im Nachteil seien, da über die Bilder wichtige Informationen am Dashboard im Cockpit an die Konkurrenz gelangen könnten.
Reverse Grid
Für manche Fans wäre es ein Traum: Der schnellste Fahrer startet von ganz hinten, der schwächste von vorne. Spektakuläre Rennen wären garantiert. Doch dieser Gedanke kommt bei den Verantwortlichen nicht gut an. Mercedes-Teamchef Toto Wolff tat die Idee als reines Show-Spektakel ab und verglich sie mit Wrestling, Red-Bull-Motorsportdirektor Helmut Marko sprach gar von einer „absurden“ Idee. Tatsächlich ist fraglich, ob der Sieger eines Reverse-Grid-Rennens tatsächlich auch ein würdiger Sieger wäre.
Start zur vollen Stunde
Die Aufregung bei den Fans war groß, als 2018 die Startzeit für die meisten Grands Prix in Europa auf 15.10 verlegt wurde. Diese zehn Minuten Vorlaufzeit sollte es vor allem TV-Sendern in den USA ermöglichen, ihre Berichterstattung zur vollen Stunde zu starten. Doch Puristen freundeten sich nie mit der Neuerung an. Seit 2021 ist nun klar: Der Countdown zum Start läuft runter zur vollen Stunde, bei den Europa-Rennen ist es 15 Uhr, heute in Sotschi 14 Uhr.
Sprintrennen
Die Skepsis war groß vor dem ersten von drei Sprintrennen in dieser Saison, bei denen der Sieger am Samstag drei WM-Punkte erhält und am Sonntag von der Poleposition startet. Für die Fans wird der Samstag dadurch aufgewertet, bei den Teams sind die Reaktionen durchwachsen.
Toto Wolff sagt zum Beispiel: „Jetzt machen wir das in Interlagos (14. 11., Anm.) noch einmal, dann können wir sagen, wir haben es probiert und wir können es wieder sein lassen.“ Formel-1-Sportchef Ross Brawn möchte am neuen Format festhalten. „Das ist pures Racing“, schwärmte der Brite. „Keine Strategie, keine Boxenstopps, kaum Reifenschonen.“ Offen ist Brawn allerdings für die Kritik der Formel-1-Puristen. Deshalb könnte ab 2022 die Poleposition doch wieder am Freitag vergeben werden, im Sprintrennen würde es dann „nur“ noch um die drei Extrapunkte gehen.