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Der rote Kronprinz aus dem Fürstentum

Der kleine Charles Leclerc benötigte nicht viel Vorstellungskraft, um von der großen Formel 1 träumen zu können. Von der elterlichen Wohnung hatte er freien Blick auf die Rue Sainte-Dévote, die erste Kurve beim Großen Preis von Monaco.

Der Traum vom Heimrennen in der Königsklasse wurde für den Monegassen in diesem Mai wahr – im Alter von nur zwanzig Jahren. Und weil es sich gerade so schön träumt: Mit 21 Jahren wird er offiziell Ferrari-Pilot sein. Leclerc steigt damit zum zweitjüngsten Piloten in der langen Geschichte der Scuderia auf. Jünger war nur der 19-jährige Ricardo Rodríguez, aber das ist 58 Jahre her.

In den vergangen dreißig Jahren brachte ein Ferrari-Fahrer bei seinem Debüt im roten Renner die Erfahrung von 83 Grands Prix mit, bei Leclerc werden es im März 2019 lediglich 21 sein.

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Kein Wunder also, dass der aktuelle Sauber-Fahrer das Gesprächsthema Nummer eins ist vor dem Großen Preis von Singapur an diesem Sonntag (14.10 Uhr MESZ/live ORFeins, RTL). Am künftigen Starpiloten prallt der Hype locker ab: „Wenn ich mit einem Top-Auto nicht in der Lage bin, meine Ziele zu erreichen, dann verdiene ich den Platz bei Ferrari nicht. Ich gehe nicht zu Ferrari, um zu lernen. Mein Lehrjahr hatte ich bei Sauber.“

Drei Rennen benötigte Leclerc, der in den vergangenen beiden Jahren die Nachwuchsklassen GP3 und Formel 2 gewann, um in der Königsklasse die Kurve zu kriegen. Seither hat er seinen Sauber-Teamkollegen Marcus Ericsson im Griff: 9:3 steht es in den Qualifying-Duellen. „Ich habe in den ersten fünf Grand-Prix-Rennen mehr gelernt als in meiner ganzen Karriere davor“, sagt Leclerc, der für seinen Schweizer Arbeitgeber das beste Resultat seit drei Jahren einfuhr (Rang sechs in Baku).

Ein steter Lernprozess begleitet ihn durch seine bisherige Rennsportkarriere. „Ich arbeite so lange, bis etwas so ist, wie ich es brauche.“ Er ist weder wie Max Verstappen ein Wunderkind, das mehrere Rennklassen einfach übersprungen hat, noch ein Millionärssohn wie Lance Stroll, dessen Vater die Cockpits bezahlt. 2010 schien Leclercs Karriere beinahe schon zu Ende, als die Ersparnisse des rennbegeisterten Vaters aufgebraucht waren. Freund und Mentor Jules Bianchi half aus und vermittelte.

Zwei schwere Verluste

Beide Förderer sind mittlerweile tot. Toptalent Bianchi starb 2015 im Zuge eines Rennunfalls, Vater Hervé erst im Vorjahr. „Junge Menschen gehen einfach zu ihren Vätern, und die lösen Probleme. Ich muss nun viele Dinge selbst lösen“, sagt Leclerc.

Als er in die Ferrari-Nachwuchsschmiede aufgenommen wurde, war er zumindest die finanziellen Sorgen los. In Maranello fand er eine Rennsport-Familie: „Sie zeigten mir, dass Ferrari mehr ist als nur eine Akademie für junge Fahrer.“

Im Ferrari-Simulator leistete er in den letzten Jahren bereits wichtige Entwicklungsarbeit für die WM-Kampagne von Sebastian Vettel. Der Deutsche wird sich ab 2019 auf heftige Gegenwehr einstellen müssen: Bereits 2014 bei Red Bull wurde der vierfache Weltmeister von einem Newcomer (Daniel Ricciardo) abgehängt. „Vieles muss man neu denken, wenn man in der Formel 1 sitzt“, hatte Charles Leclerc nach Saisonbeginn gesagt.

Das mit dem Träumen hat er nun nicht mehr nötig.