Sport/Fußball

Muhammet Akagündüz: "Beim Fußball dreh’ ich heute den Ton ab"

Ein KURIER-Fototermin ist nichts für Hundskicker. Gaberln und dabei nicht auf den Ball, sondern in die Kamera zu schauen, das können nicht viele. Muhammet Akagündüz gelingt es doch ein paar Mal.

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Vor mehr als zehn Jahren hat er bei der Admira seine Profikarriere beendet und ist seither Trainer bei Rapid im Nachwuchs, wo er auch die zweite Mannschaft schon betreut hat, aktuell die U 14 trainiert und Bereichsleiter bis zur U 15 ist. Langweilig ist dem 43-Jährigen nicht. Der KURIER hat ihn dennoch als EM-Experten gewonnen.

KURIER: Als wir Sie kontaktiert haben, haben Sie sofort zugesagt. Wieso?

Muhammet Akagündüz: Weil es mich immer interessiert hat, einmal auf dieser Seite zu stehen, Spiele zu analysieren und weil ich mir zutraue, dass ich das gut hinbekommen werde.

Haben Sie als Spieler Zeitungen gelesen?

Ich müsste lügen, würde ich das Gegenteil behaupten.

Trainer behaupten oft, dies nicht zu tun.

Ich weiß aus meiner Karriere, egal bei welchem Klub ich war, dass alle möglichen Zeitungen auf dem Tisch gelegen sind, wenn wir uns am Tag nach dem Spiel zum Frühstück getroffen haben. Mir fällt kein Trainer ein, der da nicht auch zugegriffen hätte.

Und die Spieler schimpfen dann, wenn sie schlecht bewertet wurden?

Auch, als Spieler ist man natürlich schnell der Meinung, dass man eine bessere Note verdient hätte. Aber man macht sich auch Gedanken darüber, wenn man einmal schlecht aussteigt.

Worauf achten Sie, wenn Sie sich heute ein Spiel ansehen?

Als Spieler habe ich mich auf die Couch gelegt und das Spiel wie ein normaler Zuseher über mich ergehen lassen. Seit ich Trainer bin, kann ich das nicht mehr. Zum Beispiel kann ich mir ein Spiel nicht mehr mit Ton anschauen. Mich stört die Geräuschkulisse. Ich drehe den Ton ab und studiere die Formationen und die Spielanlage der Teams. Ich bin voll konzentriert. Ein Spiel wie früher zu genießen, das ist leider vorbei.

Und bei den Interviews mit den Trainern drehen Sie den Ton wieder auf?

Genau, da schau’ ich mir nicht nur die Mimik und die Gestik an (lacht). Obwohl Mimik und Gestik oft viel aussagen. Aber ich habe dann mein eigenes Bild vom Spiel, und mich interessiert, was der Plan der Trainer war und wie sie das Spiel gesehen haben.

Wie oft sagen Trainer, was sie wirklich denken? Müssen sie heutzutage Schauspieler sein?

Ich glaube nicht, dass sie immer sagen, was sie im Kopf haben. Schauspielerei würde ich es nicht nennen, aber man geht pragmatisch vor und schaut vielleicht drauf, dass es so unauffällig wie möglich abläuft. Man hört zwar oft, man soll doch authentisch sein, aber wenn man dann authentisch oder emotional ist, wird man auch wieder kritisiert.

Apropos: Wie steht es um Ihre Emotionen?

Ich war ein emotionaler Spieler und bin ein emotionaler Trainer. So lange man es schafft, den Fokus aufs Spiel nicht zu verlieren, ist Emotionalität sehr gut. Wenn man den Blick aufs Wesentliche verliert, weil man so sehr in diesem Tunnel gefangen ist, ist es unvorteilhaft.

Was trauen Sie der österreichischen Mannschaft zu bei dieser Europameisterschaft?

Sehr viel, weil sie sehr viel Qualität hat. Ich hoffe, sie können ihre Stärken ausspielen, wenn das gelingt, ist sehr viel drin. Es ist eine tolle Generation, mit sehr vielen Spielern in Top-Ligen, bei Top-Mannschaften, wo diese Spieler auch nicht nur Nebenrollen spielen. Deshalb könnte es diesmal zu mehr reichen.

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Wie sollte die österreichische Mannschaft Fußball spielen?

Das ist natürlich schon thematisiert worden. Wenn man sieht, bei welchen Klubs die meisten Spieler tätig sind und was diese Mannschaften auszeichnet, dann sollte ein sehr aktives Spiel bevorzugt werden. Das sind alles Spieler, die diesen modernen Fußball prägen, sehr aktiv nach vorne verteidigen und mit viel Tempo schnell umschalten. Aber ich bin nicht der Teamchef. Er muss wissen, wie er die Stärken der Spieler am besten zum Vorschein bringt.

Welche Philosophie verfolgen Sie persönlich als Trainer?

Für jede Spielidee braucht es die richtigen Spieler. Ich persönlich bin ein Fan vom Ballbesitz und Positionsspiel, ich liebe es, selbst zu entscheiden und Spielkontrolle durch Ballbesitz zu haben. Dafür braucht man Spieler mit sehr hoher Qualität, und anhand von Pep Guardiola sieht man ganz klar: Egal, wo er hingeht, er tauscht etliche Spieler aus, um das spielen zu können, was er will.

Bei großen Turnieren lassen sich oft Trends ausmachen. Bei der WM 2018 wurde vermehrt auf Konter gesetzt. Was erwarten Sie diesmal?

Ich denke, dass es diesmal zumindest in der Gruppenphase anders aussehen kann. Der Modus ist so, dass sogar vier von sechs Gruppendritten weiterkommen. Ich hoffe, dass daher das Risiko weniger gescheut wird.

Wer ist Ihr Favorit?

Ich denke nicht, dass es eine Überraschung geben wird, weil die üblichen Verdächtigen zu viel Qualität haben. Nehmen wir nur Frankreich her: Die haben fast den gleichen Kader wie 2018, als sie Weltmeister geworden sind. Jetzt sind sie noch erfahrener und durch den WM-Titel vermutlich auch noch gelassener.