Sport/Fußball

Heute vor 20 Jahren: Der FC Tirol feiert den letzten Titel am alten Tivoli

Michael Baur musste einem fast ein wenig leid tun. Erbarmungslos und wild wie seine Teamkollegen über ihn herfielen und den Kapitän des FC Tirol in ihrer Euphorie fast erdrückten. Gerade hatte der Routinier das 2:1 gegen die Wiener Austria erzielt, ein Kopfballtor nach einem Freistoß von Roland Kirchler, es war die letzte Runde, es war der entscheidende Treffer zum Gewinn des Meistertitels in der Saison 1999/2000.

Michael Baur blieb nach seinem Tor noch einige Sekunden regungslos auf dem Rasen des Tivolistadions liegen. Nicht weil ihm der Jubel die Luft zum Atmen geraubt hatte, er wollte diesen Moment einfach nur in aller Ruhe genießen. „Ich hab' mir nur gedacht: ,Jetzt bleib noch zwei, drei Sekunden liegen und sauge diese Freude und Begeisterung auf. So was erlebt man nicht alle Tage.“

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Zehn Jahre zuvor hatte der Innsbrucker an diesem Ort schon einmal eine Meisterfeier erlebt. Aber der Titelgewinn mit dem damaligen Starensemble des FC Swarovski Tirol (Hans Müller, Bruno Pezzey, Peter Pacult) hatte bei Michael Baur nicht annähernd diese Emotionen ausgelöst wie der Triumph zur Jahrtausendwende. "Es war der letzte Titel im alten Tivolistadion", erinnert sich der heute 51-Jährige. "Das war eine ganz besondere Sportstätte, die mich schon als Kind fasziniert und auch geprägt hat."

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Wenige Wochen später übersiedelte der FC Tirol ins neue Tivolistadion, das für die EM 2008 errichtet worden war. Der moderne und schmucklose Betonbau hatte aber nie den Flair des engen, alten Stadions, in das sich bei den Spitzenspielen 20.000 Fans gedrängt hatten. Selbst auf den Bäumen entlang der Längsttribüne hockten mitunter die Anhänger. "Das alte Tivoli war einfach Kult", sagt Michael Baur. "Ich denke gerne daran zurück."

 

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Mit der Saison 1999/'00 verbindet das Urgestein viele positive Emotionen. Und zwar gleich vom ersten Spieltag an. In der ersten Runde hatte der FC Tirol einen Heimsieg gegen den damaligen Angstgegner Rapid feiern dürfen. Jahrelang hatten sich die Tiroler zuvor gegen den Rekordmeister die Zähne ausgebissen, im Sommer 1999 endete die Durststrecke - und das auf spektakuläre Art und Weise. Der neue Stürmer Radoslaw Gilewicz traf per Fallrückzieher zum 2:1-Heimerfolg.

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Dabei hatten die Teamkollegen durchaus ihre Zweifel, ob der Pole tatsächlich die erhoffte Verstärkung sein könne, wie Michael Baur heute zugibt. "In der Vorbereitung war er absolut nicht der Knipser und hat überhaupt keine Tore erzielt. Wir haben damals in der Mannschaft schon gedacht: ,Ja leck mich am Arsch, ist er der Richtige für uns?'"

Meistermacher Jara

Der Auftakterfolg war in den Augen von Michael Baur ein Schlüsselerlebnis und genau das Zeichen an die Konkurrenz, das die Mannschaft nach zahlreichen vermurksten Saisonen setzen wollte. Ein Jahr zuvor war der FC Tirol noch die große österreichische Lachnummer gewesen, als sie gegen Vorwärts Steyr eine 1:2-Niederlage kassierten. Die Oberösterreicher hatten damals 48 Partien in Folge nicht gewinnen können.

"Wir haben viel auf die Gosch’n gekriegt", erinnert sich Michael Baur. "Wir wollen da nicht mehr hinein, wir wollten nicht mehr in der Scheißgasse und im Niemandsland sein. Diese negativen Erlebnisse haben uns in gewisser Weise auch zusammengeschweißt."

Der Mastermind hinter den Meistertiteln war aber der Trainer. Kurt Jara war im Herbst 1998 auf den erfolglosen und überforderten Tschechen Frantisek Cipro gefolgt und unter dem Innsbrucker ging es steil bergauf. "Er war ein Trainer, der die Mannschaft immer in seine Entscheidungen miteinbezogen hat. Er hatte einen großen Anteil am Meistertitel", sagt Baur.

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Jara gelang es, die routinierte Mannschaft zu einer verschworenen Einheit zu formen. Mit Goalgetter Radoslaw Gilewicz und Abwehrspieler Walter Kogler holte er zwei Schlüsselfiguren, die der Mannschaft mehr Torgefahr und vor allem größere Stabilität gaben. Auf dem Weg zum Meistertitel gewann der FC Tirol gleich zehn Mal mit 1:0.

In den Augen von Kapitän Michael Baur waren diese vielen knappen Siege keineswegs Glück, sondern vor allem Ausdruck der Reife und Klasse der Tiroler Mannschaft. "Das spricht eindeutig für den Charakter und die Stabilität unserer damaligen Mannschaft. Wir waren sehr nervenstark und sind über dem Ganzen gestanden."

Eine Niederlage als Schlüsselmoment

Selbst als die Tiroler vier Runden vor Schluss gegen den damaligen Meister Sturm Graz 1:4 verloren und der Vorsprung auf einen Zähler schmolz, verloren die Innsbrucker Spieler nicht die Nerven. "Normalerweise bist du nach so einer Niederlage gegen den direkten Konkurrenten am Boden zerstört. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir damals in der Kabine in Graz gelacht haben. Ich hab' den Mitspielern gesagt: ,Burschen, wer soll uns noch schlagen!' Keiner hatte Zweifel, dass wir den Titel nicht holen würden.'

Stanislaw Tschertschessow Der Torhüter und Publikumsliebling ist seit 2016 Teamchef in seinem Heimatland Russland. Der 56-Jährige hat noch immer eine Wohnung in Rinn bei Innsbruck, seine Tochter lebt als Architektin in Tirol.

Heinz Weber Die damalige Nummer zwei im Tor (43) ist heute Supervisor bei SKY Österreich und blickt vom Regieplatz auf das Sportgeschehen.

Zoran Barisic Der Wiener feierte letzte Woche seinen 50. Geburtstag und fungiert als Sportchef beim SK Rapid.

Michael Baur Der Kapitän des FC Tirol (51) betreibt mit seiner Frau in Westendorf ein Cafe und betreut die U-16-Auswahl des Tiroler BNZ.

Bernhard Erkinger Der Osttiroler (40) lebt in Vorarlberg und arbeitet in der Personalabteilung des Möbelbeschläge-Herstellers Blum.

Paul Hafner Der burgenländische Defensivmann kam in der Meistersaison 33 Minuten zum Einsatz. Heute trainiert er seinen Heimatverein Parndorf in der Burgenlandliga.

Aleksander Knavs Der Kontakt zum slowenischen Teamverteidiger ist völlig abgerissen. Angeblich hat sich der 44-Jährige in Portugal einer Sekte angeschlossen.

Walter Kogler Der 52-Jährige ist Vorstand bei der Merkur-Versicherung und als Experte von SKY noch immer am Ball.

Stefan Köck Der 44-jährige ehemalige Verteidiger ist heute Sportchef bei Aufsteiger WSG Tirol.

Oliver Prudlo Der Wiener (52) ist nach der Karriere in Tirol geblieben und vertritt heute bei der Fußball-Gewerkschaft die Interessen der Kicker.

Robert Wazinger Der 53-Jährige ist in seinen Brotberuf als Maschinenschlosser zurückgekehrt.

Markus Anfang Der deutsche Mittelfeldspieler führte als Trainer Holstein Kiel in Liga 2 und vor einem Jahr den 1.FC Köln zurück in die Bundesliga, ehe er kurz vor Saisonende gefeuert wurde. Derzeit ist der 45-Jährige auf Jobsuche.

Thomas Grumser Der Innsbrucker erzielte in der Meistersaison das wichtige Tor zum 1:0-Erfolg gegen Lustenau, bis zum Saisonende betreut der 40-Jährige noch das Team von Wacker Innsbruck.

Alfred Hörtnagl Der Wipptaler (53) ist heute Sportvorstand bei Wacker Innsbruck.

Alexander Hörtnagl Der Mittelfeldspieler (39) unterrichtet an einer Hauptschule.

Roland Kirchler Der Mittelfeldspieler feiert im Herbst seinen 50.Geburtstag. Beim Tiroler Fußballverband ist Kirchler der Koordinator für den Nachwuchs.

Stefan Marasek Auch der Mödlinger ist in Tirol sesshaft geworden. Der 50-Jährige betreibt eine Agentur und hat einen Weinhandel.

Markus Scharrer Als Trainer der U-16-Mannschaft von Seekirchen ist er noch immer im Fußball tätig. Im Brotberuf arbeitet der 44-Jährige bei der Ergo-Versicherung.

Florian Sturm Der 38-Jährige lebt in Wien, ist Stammgast bei den Heimspielen von Rapid und arbeitet bei der Allianz-Versicherung

Radoslaw Gilewicz Der Stürmer (49) war jahrelang TV-Experte und arbeitet heute beim polnischen Fußballverband

Karel Vacha Der Stürmer (49) hat eine Baufirma in seiner Heimat Tschechien.

Edi Glieder Der 51-Jährige ist als Scout und Spielerberater noch immer im Fußball tätig.

Wolfgang Mair Der Osttiroler lebt in Salzburg und hat eine Grafikfirma. Vor einem Jahr trat er als Livekünstler bei der Geburtstagsfeier von Neymar auf.

Peter Pawlowski Der Stürmer (43) musste wegen gesundheitlicher Probleme seine Karriere vorzeitig beenden, erlitt einen Schlaganfall und ist zum Pflegefall geworden.

Gesagt, getan, gewonnen - mit dem 2:1-Heimsieg gegen die Austria, der im Tivolistadion alle Dämme brechen ließ, der Bürgermeister hob damals sogar die Sperrstunde auf. Einige FC Tirol-Spieler, so die Legende, sollen erst nach Tagen wieder heim gekommen sein.

"Wir waren nicht 22 Freunde und auch nicht immer der Super-Haufen", erzählt Michael Baur, "da waren viele Charaktere mit unterschiedlichsten Interessen. Aber im Endeffekt hat jeder gewusst, was er zu tun hat. Das war eine tolle Zeit."