Entwicklungshilfe im Fußball: Männer-Mätzchen und Frauen-Märchen
Von Wolfgang Winheim
Heute undenkbar: Dass eine österreichische Medienelf den saudi-arabischen Meister bezwingt. Vor 36 Jahren war das passiert ...
... als Radio-Tonmeister Alfred Wittich im Favoritner Austria-Stadion das Siegtor zum 1:0 über Ittihad Dschidda gelang;
als hinter den Córdoba-Legenden Josef Hickersberger (damals ORF-Teletext-Redakteur)und Robert Sara (mit 41 topfitter Gastspieler gewesen) der Schreiber dieser Zeilen den Libero spielen durfte;
als dem Saudi-Botschafter und Ehrengast verschwiegen werden musste, dass es sich beim Gegner nur um ein Journalistenteam handelte.
Das österreichische Trainer-Trio Walter Skocik, Didi Constantini, Alfred Riedl leistete in Dschidda Entwicklungshilfe. Hickersberger hielt später am längsten (= zwölf Jahre) in der Wüste durch. Nur Saudi-Arabien, wo Frauen sogar das Autolenken verboten war, mied Scheich Pepi beharrlich. Zurzeit folgt dort ein Promi nach dem anderen dem Lockruf des Geldes: Angefangen von Cristiano Ronaldo, Karim Benzema bis zu Jordan Henderson, obwohl Letzterer bei Liverpool demonstrativ eine regenbogenfarbene Kapitänsbinde trug
Mit 800.000 Euro-Wochenlohn vergisst offensichtlich selbst ein wegen seines öffentlichen Bemühens um Gleichberechtigung zum LGBTQ-Botschafter des Jahres Nominierter, dass im Land seines neuen Arbeitgebers bei Homosexualität die Todesstrafe droht.
Um 415 Millionen Euro wurden allein im bisherigen Sommer nicht nur Altstars aus Europas Top-Ligen in die arabische Wüste geholt. Den Saudis dient Sport zur Imagekorrektur. Bis 2030 will deren Regierung laut des US-Senders CBS den 18 Erstligisten für Kickerkäufe 19,7 Milliarden zur Verfügung stellen. Höhepunkt soll eine erfolgreiche Kandidatur für die Fußball-WM 2030 sein. Um danach vielleicht gar noch die Frauen-WM ins moslemische Land zu bringen?
Selbst das ist nicht mehr undenkbar!
Bei der aktuellen (durchaus gelungenen) Frauen-WM in Australien und Neuseeland fällt auf, dass entgegen bisheriger Gepflogenheiten auch Männer-Mätzchen Mode werden.
Wie bei der Winter-WM in Katar müssen nun die Damen übertrieben viele „Überminuten“ machen. Weil die Nachspielzeit auf FIFA-Geheiß länger zu dauern hat. Und wie bei den Herren Stars wird in vollen Stadien jetzt auch von mancher Dame auf dem Feld mehr gemeckert. Und nach Erfolgen ausgelassener gejubelt. So sah Nigerias Siegtorschützin gegen Australien, Asisat Oshoala, die Gelbe Karte, weil sie sich zum Entsetzen ihres religiösen Vaters des Trikots entledigt hatte.
Die 18-jährige, vom Krebs geheilte Kolumbianerin Linda Caicedo machte Schlagzeilen, weil ihr beim 2:1 über Deutschland ein Traumtor gelungen war. Bei dieser Sensation, die der Anfang vom deutschen WM-Ende war, litten in Deutschland mehr TV-Zuschauer mit als Österreich Einwohner hat.
Solch ein Interesse am Damenfußball wiederum war im letzten Jahrtausend undenkbar gewesen.