Milliarden trotz Corona: Europas Fußball und der Transfer-Wahnsinn
Von Stefan Berndl
Am vergangenen Dienstag ging wohl eine der spektakulärsten Transferphasen der letzten Jahre zu Ende. Trotz der Corona-Krise gab es so viele hochkarätige Wechsel wie vielleicht noch nie. Mit Lionel Messi (Paris Saint-Germain) und Cristiano Ronaldo (Manchester United) schlossen sich die beiden besten Spieler der letzten beiden Jahrzehnte fast zeitgleich einem neuen Klub an.
Und auch aus österreichischer Sicht gab es ein turbulentes Transfer-Fenster: Mit David Alaba, Marcel Sabitzer und Marko Arnautovic orientierten sich gleich drei Top-Stars des ÖFB-Teams neu.
Viele der Stars wechselten ablösefrei (darunter Messi und Alaba), mittels kostendrückenden Leihgeschäften oder verkauften sich unter ihrem taxierten Marktwert. Wurde 2019 international noch mit 5,8 Milliarden Dollar (rund 4,89 Mrd. Euro) an Transferentschädigungen ein absoluter Höhepunkt erreicht, sank dieser Wert im Vorjahr coronabedingt auf 4,02 Milliarden Dollar (3,39 Mrd. Euro). In diesem Sommer waren es schließlich rund 3,72 Milliarden Dollar (3,14 Mrd. Euro).
Die Ausgaben-Kurve zeigt also nach unten, der Transfersommer 2021 offenbarte aber dennoch die Auswüchse der von der Corona-Krise nur scheinbar gebeutelten Fußball-Elite. Denn während in der Breite gespart werden musste, gab es an der Spitze nur bedingt Zurückhaltung.
Baggio, Shearer und Neymar
Vor knapp 30 Jahren sah die Fußball-Welt noch ganz anders aus. Manchester City und PSG mussten noch ohne milliardenschwere Scheichs als Eigentümer auskommen, bei Manchester United und Chelsea waren die Familie Glazer bzw. Roman Abramowitsch ebenfalls noch nicht in der Verantwortung. Der teuerste Spieler auf dem Transfermarkt war damals ein gewisser Roberto Baggio.
Der Italiener wechselte in der Saison 1990/'91 um 12,9 Millionen Euro von Fiorentina zu Juventus Turin. Eine Summe, die heute fast lächerlich erscheint. Der erste Spieler, der die 20-Millionen-Marke durchbrach war schließlich England-Stürmer Alan Shearer. Er war Newcastle United 1996 21 Millionen wert. Es sollte erst der Anfang gewesen sein.
Ein Rekordtransfer folgt dem nächsten
Die Jahrtausendwende markierte dann ganz klar einen Wendepunkt im internationalen Fußball-Geschäft. Das Wettbieten auf dem Transfermarkt, das - auch begünstigt durch das Bosman-Urteil 1995 - Anfang der 2000er noch deutlich im Rahmen blieb, nahm in den letzten zehn, zwölf Jahren so richtig Fahrt auf. Von Superstar Cristiano Ronaldo, der 2009 um 94 Millionen Euro zu Real wechselte, bis hin zu Neymar, der Paris 2017 unfassbare 222 Millionen Euro wert war.
Angefangen mit Gareth Bale 2013 knackten bis dato bereits zwölf Spieler die 100-Millionen-Marke. Der vorerst letzte war Stürmer Romelu Lukaku, der Mitte August um 115 Millionen zu Chelsea zurückkehrte.
Die beiden Top-Transfers, Neymar und Kylian Mbappé, gingen auf das Konto von Scheich-Klub Paris Saint-Germain, sechs auf jenes der spanischen Spitzenklubs Barcelona, Real Madrid und Atlético Madrid. Elf dieser zwölf Rekord-Wechsel wurden zudem in den letzten fünf Jahren getätigt. Die Grenze verschob sich immer weiter nach oben, die Schere zwischen den europäischen Top-Klubs und dem Rest ging immer weiter auf.
Und dann kam Corona.
Die Schuldenberge der Top-Klubs
Die Pandemie sorgte für einen herben Einschnitt. Plötzlich waren kaum oder gar keine Zuschauer mehr zugelassen. Zudem gingen die Medienerlöse, aber auch die Werte der Spieler zurück. So fielen die Umsätze der europäischen Top-Klubs um durchschnittlich 15 Prozent. Den größten Einbruch musste Manchester United hinnehmen, der Unternehmenswert ging um über 20 Prozent zurück. Bei Tottenham und Manchester City waren es rund 17 Prozent, wie in einem Report der Experten von KPMG Football Benchmarks festgehalten wird.
Aber auch die anderen Spitzenteams blieben von der Corona-Krise nicht verschont. Die weltweite Gesundheitskrise verstärkte dabei oftmals schon langjährige finanzielle Probleme. Viele der Top-Klubs tragen schon lange einen Schuldenberg vor sich her. Bei Barcelona beläuft sich dieser etwa auf 1,35 Milliarden Euro, wie Präsident Joan Laporta zuletzt bekannt gab. Beim aktuellen Champions-League-Sieger Chelsea sind es sogar 1,51 Milliarden.
Der große Einbruch?
Hohe Schulden, fehlende Einnahmen. Die Konsequenz war klar: Die Vereine mussten Abstriche machen. Das jährliche Rekord-Bieten auf dem Transfermarkt kam in der Saison 2020/'21 plötzlich ins Stocken. Nachdem vier Jahre in Folge die 100-Millionen-Marke durchbrochen worden war, musste sich Top-Transfer Kai Havertz - der von Bayer Leverkusen zu Chelsea wechselte - mit "nur" 80 Millionen Euro begnügen.
Die Ausgaben-Kurve zeigte in fast allen Top-Ligen nach unten - mit einer Ausnahme: Die Premier League ließ sich nur bedingt in ihrer Spendierlaune stören und bewegt sich seit Jahren auf konstant hohem Niveau. Mit Manchester City und Chelsea überboten heuer zudem gleich zwei Vereine den bisherigen Rekord-Transfer in der Premier League. Der Titelverteidiger legte für Jack Grealish 117,5 Millionen Euro auf den Tisch, Chelsea für Lukaku mit 115 Millionen nur unwesentlich weniger.
Die Ausgaben-Entwicklung der Premier League zeigt vor allem eines: Die Schere zu den anderen Top-Ligen geht immer weiter auseinander. Bereits im letzten Jahr gab man mit 1,4 Milliarden Euro fast doppelt so viel aus wie der erste Verfolger, die italienische Serie A. Heuer hat sich das noch einmal verstärkt. In England wurde diesen Sommer knapp 1,34 Milliarden investiert, Italien konnte mit rund 552 Millionen nicht einmal ansatzweise mithalten.
Einkaufstour auf der Insel
Das zeigt auch ein Blick auf die europäischen Top-Vereine. Vier der ausgewählten 17 Spitzenklubs gaben in den letzten Wochen mehr als 100 Millionen Euro für Neuzugänge aus. Alle vier gehören der Premier League an: Arsenal, Manchester United, Manchester City und Chelsea. Die AS Roma schrammte mit 97,75 Mio. Euro an Ausgaben knapp an dieser Marke vorbei.
Einen großen Einbruch mussten in den letzten beiden Jahren Barcelona und Real Madrid hinnehmen. Während die Königlichen erst am letzten Transfertag aktiv wurden und Eduardo Camavinga um 31 Millionen Euro verpflichteten (ÖFB-Star Alaba kam ablösefrei) waren es bei den Katalanen gerade einmal 17 Millionen Euro. Dazu kam Barça auch noch Superstar Messi abhanden - man konnte sich den sechsmaligen Weltfußballer schlicht nicht mehr leisten.
Chelsea in Spendierlaune
Die großen Schuldenberge von Chelsea, Barcelona und Co. sind jedenfalls kein Zufall. Seit der Jahrtausendwende flossen Milliarden-Beträge in neue Spieler. Das meiste Geld investierte der aktuelle Champions-League-Sieger aus London, der in den letzten 20 Jahren rund 2,44 Milliarden Euro für Transfers auf den Tisch legte. Dahinter folgen Manchester City (2,33 Mrd.), Barcelona (2,2 Mrd.) und Real Madrid (2,18 Mrd).
Auf der Haben-Seite stehen bei Chelsea indes 1,35 Milliarden Euro an Transfer-Einnahmen, während etwa Manchester City die deutlich schlechteste Bilanz aller Spitzenvereine aufweist. Der aktuelle Premier-League-Titelträger gab in den letzten 20 Jahren rund 3,3 Mal so viel aus wie er einnahm. Nur einer der Top-Klubs weist hier einen positiven Saldo aus: Dortmund investierte rund 915 Millionen Euro, lukrierte aber auch 969 Millionen.
Waren es zu Beginn der 2000er noch die Spanier und Italiener, die den Transfermarkt dominierten, kam mit dem Einstieg von Milliardär Roman Abramowitsch beim FC Chelsea der erste englische Verein hinzu. In den Folgejahren zeigten sich die Londoner und Real Madrid am spendabelsten, ehe in den letzten zehn Spielzeiten auch bei Manchester City das Geld eher locker saß (siehe Animation unten).
Salzburg als Gegensatz
Wie aber sieht es im Vergleich mit dem Rest Europas aus? Auch da hat England in den letzten 20 Jahren ganz klar die Nase vorne. Insgesamt wurden in der Premier League fast 21 Milliarden Euro in Transfers investiert. Italien kommt auf rund 13,2 Milliarden, Spanien auf 10,2 Milliarden. Gefolgt von Deutschland und Frankreich. Dahinter ist ein großes Loch, ehe die russische Liga mit insgesamt 2,5 Milliarden an Ausgaben auf Platz sechs folgt.
Und Österreich? Die heimische Bundesliga findet sich auf Rang 14 wieder, seit 2000 investierte man rund 275 Millionen Euro in neue Spieler. Der Großteil davon geht wenig überraschend auf das Konto von Serienmeister Red Bull Salzburg. Der Klub gab seit der Jahrtausendwende knapp 180 Millionen Euro aus, die Wiener Austria (34 Mio.) und Rapid (31 Mio.) haben da schon einen deutlichen Rückstand.
Doch die Bullen machten die Ausgaben mehr als wett, seit 2000 nahm Salzburg rund 447 Millionen Euro durch Transfers ein. Erst zuletzt markierte Stürmer Patson Daka einen neuen Vereinsrekord: Er wurde um 30 Millionen abgegeben. Wohin? Natürlich in die Premier League.