Sport

Was der Fußball tut, um nicht am Fasten zu zerbrechen

Im April des Jahres 2021 ereignet sich in der englischen Premier League etwas Besonderes. Crystal Palace spielt auswärts bei Leicester City. Es steht 1:0 für die Gäste, als die Partie in der 35. Minute, just nach Sonnenuntergang, vom Schiedsrichter unterbrochen wird. Wesley Fofana, damals Innenverteidiger bei Leicester, joggt zur Seitenlinie und trinkt einen Schluck Wasser – für ihn ist es der erste des Tages.

Alle Inhalte anzeigen

Fofana befand sich zu diesem Zeitpunkt mitten im Ramadan. Als strenggläubiger Moslem verzichtet der französische Fußballer im Fastenmonat zwischen Morgendämmerung und Sonnenuntergang auf feste und flüssige Nahrung. Zum ersten Mal in der Geschichte des Profifußballs kam es an diesem Aprilabend zu einer offiziellen Spielunterbrechung, die es muslimischen Profis erlaubte, ihr Fasten zu brechen.

Jener Moment, der für Wesley Fofana zeigte „was den Fußball so wunderbar macht“, sollte zum Präzedenzfall werden. Nur wenige Jahre später sind Spielunterbrechungen bei Abendspielen im Ramadan seitens der Ligen dieser Welt Standard geworden. Auch die Klubs unterstützen ihre muslimischen Stars mittlerweile mit eigenen Ernährungsplänen für die Fastenzeit. 

Nach muslimischem Glauben hat im Jahr 610 nach Christus der Erzengel Gabriel dem Propheten Mohammed den Koran offenbart. Er tat dies im Monat Ramadan, seither ist dieser den Muslimen ein besonderer. Der Koran sieht vor, dass alle Muslime während des Ramadans fasten sollen. Zwischen dem Anbruch der Morgendämmerung und Sonnenuntergang darf der Gläubige nichts essen und trinken.

Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerz

Einen solchen Ernährungsplan erhielt auch Youseff Chippo, marokkanischer Mittelfeldmotor der 90er-Jahre. „Das Ramadan-Fasten mag für fast zwei Milliarden Moslems auf der ganzen Welt gängige Praxis sein – in der Kabine des FC Porto war es das im Jahre 1997 nicht“, so Chippo gegenüber der New York Times. Als aufstrebender Neuzugang des portugiesischen Traditionsklubs wollte er jedoch keinesfalls wegen seines Fastens ins Abseits gestellt werden. Also behielt der Marokkaner für sich, dass er von morgens bis abends weder aß noch trank.

Zwei schweißtreibende Trainingseinheiten pro Tag forderten allerdings sehr bald ihren Tribut: Nach mehreren Tagen voller Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerz wandte Youseff Chippo sich an die Klubverantwortlichen und erzählte die Wahrheit. Man reagierte verständnisvoll und erstellte individuelle Trainings- und Ernährungspläne für Chippo.

Vorgetäuschte Verletzungen

Ein glücklicher Einzelfall, der jedoch verdeutlicht, dass das Ramadan-Fasten im Profifußball der älteren und jüngeren Vergangenheit kaum bis gar nicht thematisiert wurde. So entstanden mitunter kuriose Szenen. Nicht selten konnte man bei Abendspielen während des Fastenmonats beobachten, wie Spieler den Ball kurz nach Sonnenuntergang völlig unbedrängt ins Aus schoben, oder gar eine Verletzung vortäuschten, um ihren muslimischen Mannschaftskameraden die Möglichkeit zu geben, schnell etwas zu trinken oder zu essen. Fiorentina-Star Luca Ranieri ging im April 2023 kurios zu Boden, damit Teamkollege Sofyan Amrabat sein Fasten brechen konnte.

Alle Inhalte anzeigen

Weil sich Fälle wie dieser häuften, wurden die Schiedsrichter zahlreicher Fußballverbände 2023 von der UEFA offiziell dazu aufgefordert, den Spielern während des Ramadans das Fastenbrechen bei Abendspielen zu erlauben. Eine kurze Spielpause ermöglichte es den betroffenen Spielern fortan, Flüssigkeiten, Energiegels oder Nahrungsergänzungsmitteln einzunehmen.

Premiere in Salzburg

In der österreichischen Bundesliga kam es zu einer solchen Unterbrechung erstmals vor drei Wochen, beim Spiel Salzburg gegen Hartberg. Es lief die 64. Minute, als Schiedsrichter Harald Lechner den Teams eine kurze Pause genehmigte. Spieler muslimischen Glaubens bekamen die Chance, ihr Fasten zu brechen. Salzburgs Kapitän Amar Dedic hatte den Schiedsrichter vor der Partie darum gebeten. Der Bosnier ist ebenso muslimischen Glaubens wie einige seiner Kollegen. Auch Karim Konaté von der Elfenbeinküste und Mamady Diambou aus Mali nützten in diesem Moment die Gelegenheit, sich an der Outlinie zu stärken. 70 Sekunden später wurde wieder Fußball gespielt.

Die französische Liga will keine „Plattform für Bekehrungsversuche" sein 

Einzig und allein Frankreich stellt sich bislang quer. Der französische Fußballverband hat die eigenen Schiedsrichter angewiesen, Spielunterbrechungen jedenfalls zu unterlassen. Zudem verlangt der Verband von seinen Nationalspielern, das Fasten auf die Zeit nach dem offiziellen Ramadan zu verschieben. Auch die Trainer sollen keine Rücksicht auf die religiösen Bedürfnisse der muslimischen Fußballer nehmen.

Ein Spieler der obersten französischen Liga, der nur anonymisiert mit Radio France sprechen wollte, bezeichnete die Entscheidungen des Fußballverbandes als „schockierend“. Es gehe laut ihm nicht darum, während eines Spiels eine komplette Mahlzeit zu sich zu nehmen. „Ein Schluck Wasser, eine Dattel, das ist in 30 Sekunden erledigt", meinte er. 

Der Präsident des französischen Fußballverbands Philippe Diallo betonte gegenüber France Info hingegen, dass weder er noch sein Verband jemandem das Fasten verboten hätten. Er verweist auf Aussagen von muslimischen Autoritäten, laut denen es für Spitzensportler problemlos möglich sei, den Ramadan auf später zu verlegen. Seine Aufgabe sei es, die Neutralität in der sportlichen Praxis zu gewährleisten, erklärt Diallo. „Wir setzen einen Rahmen, so wie das die Schule auch macht.“ Der französische Fußballverband wehre sich laut ihm gegen alle Versuche, den Sport ideologisch zu vereinnahmen oder ihn als Plattform für Bekehrungsversuche zu nutzen.

Auch das Geld spielt eine Rolle

Die Sichtbarkeit des Ramadans in den restlichen europäischen Topligen hängt mit Sicherheit auch mit den wachsenden muslimischen Fangemeinden zusammen. Diese sind ein wichtiges Investment für Vereine und Verbände, vor allem für die englische Premier League ist der arabische Markt eine regelrechte Goldgrube. 

Und auch in den Kabinen der europäischen Topklubs werden die muslimischen Stars immer zahlreicher. Liverpools Mohammed Salah, Barcelonas İlkay Gündoğan und Real Madrids Antonio Rüdiger (um nur ein paar Beispiele zu nennen) stellen für ihre Teams eine Investition in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro dar. Dementsprechend viel Gewicht kommt auch ihren Stimmen zu. Ob man diese bald auch bis nach Frankreich hört?