Doping und Leistungsdruck: Wozu dann noch Spitzensport?
Ein Gastbeitrag von Markus Rogan
Es gibt drei Wege, um in der Gesellschaft von ganz unten nach oben zu kommen. Variante eins ist die klassische und wird über Bildung realisiert, etwa wenn wir an eine herkömmliche Karriere als Richter denken. Der Nachteil daran ist: Es ist ein steiniger und vor allem langer Weg.
Der zweite Weg ist am anderen Ende der Geschwindigkeitsskala angesiedelt: die Lotterie. Mit einem Rubbellos kannst du sofort zehn Gesellschaftsschichten überspringen. Zugegeben, der Weg ist lukrativ, aber die Wahrscheinlichkeit gering.
Die vermutlich zweitschnellste Methode, um die Gesellschaft aufzuwirbeln (klammern wir einmal das Konzept der vermögenden Heirat aus), findet sich im Spitzensport. Und so langwierig und mühevoll, wie viele oft meinen, ist das Hochleistungssegment gar nicht.
Nah an der Spitze
Verglichen mit anderen Branchen – Stichwort: Top-Management – ist die Zeit, um an die Spitze zu kommen, sogar relativ überschaubar. Die zukünftigen Weltklasseathleten sind mit 15 oder 16 Jahren schon außergewöhnlich leistungsstark. Dort einmal angekommen, ist es nicht mehr allzu weit bis zur Spitze.
Für die Gesellschaft nimmt der Spitzensport eine elementare Rolle ein. Er ist dazu da, um ihr das Gefühl zu geben, doch irgendwie fair zu sein. Sport ist ein wichtiges Symbol für die Durchlässigkeit der Gesellschaft. In Wahrheit wissen wir es natürlich besser. Die Welt ist fürchterlich unfair. Und der Sport ist es auch.
Oft geht es im Spitzensport dennoch erstaunlich schnell. Mit ein bisschen Talent und viel Fleiß schaffst du es in einigen Sportarten rasch unter die Top 20 der Welt. Die Medaillen sind aber trotzdem noch ein gutes Stück entfernt. Was nun nötig ist, ist ein Ansporn, um über die Grenzen hinaus zu gehen. Erstaunlich oft kristallisieren sich zwei Typen von Athleten heraus: Die einen fokussieren sich auf den gesellschaftlichen Aufstieg, der ihnen im Erfolgsfall blüht. Geld, Status, Ruhm sind die Triebfedern. Der andere Typus von Athleten motiviert sich anhand von traumatischen Erlebnissen. Nicht selten hat das mit dem eigenen Elternhaus zu tun.
Die Schmerzen eines Traumas werden oft durch den Sport auf ein tolerierbares Maß reduziert. Viele Weltklasseathleten fühlen sich im Training besser als daheim. Zuhause werden sie ignoriert oder Schlimmeres, im Training respektiert. Diesen Zustand gilt es so lange wie möglich aufrecht zu erhalten.
Eigene Erfahrungen
In diesem Fall spreche ich aus eigener Erfahrung. In meiner Familie gab es zwei Scheidungen, Schuldgefühle, Scham, Chaos. Verglichen damit ging es beim Schwimmtraining angenehm strukturiert zu.
Bei mir kam noch hinzu, dass ich in einem fremden Land, den USA, war. Ich sprach schlechtes Schul-Englisch und war automatisch der Außenseiter, der ausgelacht wurde. Aber wer hat mich nicht so behandelt? Die Schwimmer. Das war das beste Tauschgeschäft meines Lebens: Ich bin mit ihnen geschwommen, sie haben mir Englisch beigebracht.
Genau deshalb ist Spitzensport trotz all der negativen Begleiterscheinungen extrem wertvoll und erhaltenswert. Sport ist diplomatisch und sprachenübergreifend. Freundschaften werden schnell geschlossen.
Doch darin liegt wiederum auch eine Gefahr. Als guter Sportler wirst du schnell akzeptiert, und dir wird leichter verziehen. Für einen Teenager, der seine Persönlichkeit noch entwickeln muss, ist das trügerisch. Fragen zur eigenen Identität (Wer bin ich? Was ist gut und schlecht im Umgang mit anderen? Wie drücke ich Liebe aus, und wie akzeptiere ich sie?) musste und wollte ich mir lange Zeit nicht stellen. Ich war Schwimmer. Punkt.
Im Leistungssportbetrieb bleibt keine Zeit für Fragen dieser Art. Sich mit seiner Persönlichkeit beschäftigen, ab und an einen Schritt zurück wagen, Abstand gewinnen oder gar Verletzbarkeit zeigen – all das ist gar nicht gewünscht. Es geht um die schiere Optimierung der Leistung.
Man kann dieses System kritisieren, ja sogar verachten, jedoch gibt es nichts Besseres, wenn man Erfolg in Massen reproduzieren will.
Fein raus sind die Besten. Die Weltmeister und Olympiasieger. Für sie hat es sich gelohnt. Status und – in der Regel – Entlohnung stimmen. Kritisch wird’s unmittelbar hinter der Spitze. Das obere Mittelmaß ist die Hölle. Jene Athleten sind zu gut, um aufzuhören, weil sie von Position 15 oder 20 das Podest schon in Sichtweite haben.
Falsches Bild
Die meisten werden es dennoch nie aufs Treppchen schaffen. Vom großen Kuchen, gemischt aus Anerkennung und Geld, bekommen sie nichts ab. Eine Lösung ist noch mehr Training, was in den meisten Fällen aber gar nicht geht. Der 15.-beste Schwimmer der Welt trainiert bereits exakt so viel wie der Beste. Die romantischen Erzählungen, dass die Weltmeister und Olympiasieger als Erste zum Training kommen und als Letzte wieder gehen, sind oft so wahr wie Hollywood-Filme.
Für einige ist dann der einzige Ausweg: Betrug. Und der ist im Spitzensport oft mit Doping verbunden. Es ist wie bei einer Drogensucht. Die Schwächeren sind die Verletzbarsten. Der in Aussicht gestellte Preis ist um ein Vielfaches verlockender als die drohende Strafe. Was soll einem passieren, der die Nummer 30 in seinem Sport ist und des Dopings überführt wird? Wird er geächtet? Vielleicht. Aber wie lange und wann sind Vergehen und – oft bedeutender – er, der Athlet, wieder vergessen? Viel schlimmer als das Leben davor in der Bedeutungslosigkeit ist es nach einer Dopingsperre auch nicht.
Einziger Ausweg
Nicht zu unterschätzen ist der ökonomische Aspekt. Mit Doping wirst du immer mehr verdienen als mit Doping-Fahndung. Eliminiert wird diese Art des Betrugs daher wohl kaum werden – ebenso wenig der Drang nach Status und der tief im Menschen verankerte Traum, in der gesellschaftlichen Hierarchie aufzusteigen.
Die einzige Möglichkeit, Doping zu reduzieren, ist es, den gefährdeten Menschen Möglichkeiten zu bieten, ein Leben nach dem Sport aufzubauen. Das geht nur behutsam, notwendig sind Respekt und Liebe. Denn die schwierigen, aber essenziellen Fragen, die sich ein Spitzensportler als Teenager nicht stellen musste, werden ihm sonst von einem römischen Türsteher ins Gesicht gedroschen.
- Markus Rogan:
Der Wiener wurde am 4. Mai 1982 geboren, dank eines Stipendiums kam das Schwimm-Talent 1996 an die Universität von Stanford (Kalifornien), wo er sich zu einem der weltbesten Rückenschwimmer entwickelte. Bis heute ist er mit mehr als dreißig Medaillen bei Großereignissen, darunter zwei Mal Olympia-Silber 2004 und WM-Gold 2008, der erfolgreichste Schwimmer Österreichs. 2009 gab es bei der WM in Rom einen Eklat, als es in einer Disco zu einer Schlägerei kam. Rogan lebt mit Frau sowie den zwei Kindern in Los Angeles und arbeitet in seiner Praxis als Psychotherapeut.
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