Bickel vor dem Abschied: "Rapid pulverisiert alles"
Von Alexander Huber
Gegen Innsbruck wird Fredy Bickel noch als Rapid-Sportdirektor aktiv sein, der Abschied rückt aber näher. Am kommenden Montag wollte das Präsidium Zoran Barisic bereits zum Nachfolger küren, die Sitzung wurde allerdings verschoben. Beim KURIER-Abschiedsinterview öffnet der Schweizer jedenfalls noch einmal sein Herz.
KURIER: Was löst der Abschied bei Ihnen emotional aus?
Fredy Bickel: Ich befasse mich seit Monaten damit, meine Gefühle schwanken. Ich glaube, dass wir nicht so weit von Erfolgen entfernt sind. Aber jetzt geht’s darum, loszulassen, ohne wirklich etwas erreicht zu haben. Das schmerzt. Ich habe Mannschaft und Verein lieb gewonnen.
Wie sehen Sie Ihre Zukunft?
Es hat mehrere Anfragen gegeben, aber es war mir unmöglich, ernsthaft an anderes als an Rapid zu denken.
Ihre Rapid-Zusammenfassung?
Rapid pulverisiert alles, in jeder Hinsicht. Emotional spannend, herausfordernd.
Wie erklären Sie sich selbst Ihr Scheitern in der Bundesliga?
In Schlagwörtern: Es waren Fehleinschätzungen bei Spielern, Fehler in der Trainingssteuerung, zu viele Verletzte im Sommer und die Trainerwechsel, die einfach einiges auslösen. Und: Es war wirklich viel Pech dabei.
Sie haben eine gute Menschenkenntnis und Ihren Blick für Spieler bewiesen. Warum ist die Kaderzusammenstellung diese Saison schiefgegangen?
Wir haben zu sehr auf das Potenzial und zu wenig auf den Moment geschaut. Wir wollten es mit zu viel Risiko erzwingen. Das nehme ich auf mich. Trotzdem will ich anmerken, dass alle – ob Trainerteam oder Präsidium – zum Weg gestanden sind. Jeder Transfer musste auch in den vorgegebenen finanziellen Rahmen passen.
Sind Sie zu menschlich für diesen Job im Jahr 2019?
Ich bin schon konsequent. Aber ich gebe zu: Wenn es mit einem Spieler nicht mehr passt, der aber immer korrekt war, tue ich mir sehr schwer, mit dem Vorschlaghammer reinzugehen. Ich suche dann immer menschlich passende Lösungen. Vielleicht profitiert Rapid später einmal davon, so, wie es Ex-Klubs von mir getan haben.
Liegt’s auch an Rapid, dass die Pläne nicht aufgegangen sind?
Es liegt an uns allen. Es gibt hier wirklich kaum eine Chance, etwas aufzubauen. Ich kann den FC Zürich und die Young Boys nennen. Beide Vereine hatten Probleme, als ich gekommen bin, aber wir haben uns für mehrere Jahre etwas vorgenommen und das dann durchgezogen. Das haben dann auch die Fans verstanden. Zürich war mit Lucien Favre Tabellenletzter. Aber er war unser Trainer – komme, was wolle. Dann sind wir zwei Mal Meister geworden. Hier wird man im Misserfolg sehr viel schneller nervös und unsicher.
Gibt’s ein konkretes Beispiel?
Ja. Nach dem zweiten Einsatz von Badji sind Meldungen und eMails gekommen, was das soll und dass der Spieler nicht für Rapid taugt.
Brauchen vereinfacht gesagt Österreichs Kicker eine härtere Hand als die Schweizer?
Nein. Ich finde es sogar herausragend, wie viele Termine Spieler und Trainer für Rapid pro Monat wahrnehmen. Wenn du in der Schweiz Spieler einmal pro Woche zu einer Abendveranstaltung schickst, hast du sowohl den Trainer als auch die Spieler mit Beschwerden im Büro stehen. Die Spieler sind bei Rapid pflegeleicht.
Es gibt die ewige Frage: Ist es der Druck, der Spieler hemmt?
Nein. Es ist die ewige Unruhe. Die Spieler belasten sich zu viel mit dem immensen Rundherum. In wirklichen Drucksituationen hat die Mannschaft funktioniert. Aber die Erwartungshaltung passt nicht.
Was meinen Sie konkret?
Ich denke etwa an die „Gogo raus“-Rufe. Im Europacup hat das die Spieler sogar in der Pause beschäftigt. Sie denken an Sachen, die es gar nicht geben sollte.
Wie kann Rapid zur Ruhe kommen, außer durch Erfolg?
Nur durch Konstanz. Keinem Verein weltweit, der in zwei Jahren vier Trainer braucht, geht es gut. In der Führungsebene, beim Trainer, im Kader – überall braucht es mehr Konstanz.
Was könnte Ihr Nachfolger von Ihrer Arbeit noch vollenden?
Wir haben zuletzt viel Zeit und Energie investiert, um alle Spieler von Talenten bis Neuzugängen im mentalen Bereich bestmöglich zu begleiten. Dazu gibt es den Talentemanager, die Deutschlehrer, die Freizeit-Pädagogen – das sollte man jetzt zusammenschließen.
Das ist kurios, weil schon Alfred Hörtnagl zum Abschied 2011 erzählt hat, dass er mit "Pro Rapid" im Verein sehr Ähnliches verankern wollte.
Ich hoffe, dass es nach meinem Abschied nicht wieder einschläft.
Wenn Sie an Ihre letzten Tage bei Rapid denken: Ist das auch eine Erleichterung?
Nein, es ist eine Enttäuschung (denkt lange nach, mit Tränen in den Augen). Weil es mir noch nie so passiert ist, nicht nachhaltig etwas aufbauen zu können.
Was bleibt für Sie von Wien?
Es ist faszinierend, wie viele Facetten diese Stadt hat. Die Konzerte, das Essen – du wirst hier echt verwöhnt. Vor Kurzem bin ich rauf nach Grinzing, blicke runter und sehe eine ganz andere Stadt als gewohnt – unglaublich!
Sie sind Musikfan und nannten im KURIER „No time to think“ von Dylan und „Die, die wandern“ von Fendrich als Songs für Ihre anfängliche Situation bei Rapid. Welches Lied passt zu Ihrem Abschied?
Das ist die Piaf! „Non, je ne regrette rien“ – ich bereue nichts!