Leben/Reise

Wiener Unterwelt: Die düstere Stadt unter der Stadt

Wenn die hohen Herrschaften Lust nach feinstem Gefrorenem verspürten, musste der Piccolo des Demel in den Untergrund abtauchen. Zwischen der Zuckerbäckerei und der Hofburg gibt es einen unterirdischen Gang, der früher als diskreter Lieferantenweg genutzt wurde. Möglicherweise ließ sich auch Kaiserin Sisi auf diese Weise mit ihren geliebten Veilchenbonbons versorgen.

"Wir sitzen in Wien auf einem Schatz, der noch nicht gehoben wurde", sagt Gabriele Lukacs. Die Fremdenführerin war gemeinsam mit dem Fotografen Robert Bouchal ein Jahr lang im Wiener Untergrund unterwegs, um vergessene Keller und geheime Gänge aufzuspüren: "Bei unseren Recherchen kamen wir uns vor wie Indiana Jones." Das Ergebnis liegt jetzt in Buchform vor.

Viele Keller reichen bis zu vier Stockwerke in die Tiefe

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Kaum eine andere Stadt verfügt über ein derart dichtes Netz an historischen Tunneln und Kellern. "Viele Keller reichen bis zu vier Stockwerke in die Tiefe. Wofür sie verwendet wurden, ist nicht immer ganz klar", sagt Lukacs. So bleibt es der Fantasie überlassen, wozu etwa das einstige Beguinen-Nonnenkloster am Fleischmarkt unterirdisch mit dem nahe gelegenen Dominikanerkloster verbunden war. Der vierstöckige Klosterkeller selbst wird heute jedenfalls als exklusives Weinlager und Veranstaltungsort genutzt. Hier tafelt etwa die "Europäische Bruderschaft der Weinritter".

Im Zweiten Weltkrieg wurden viele Keller als Luftschutzbunker benutzt. Nicht immer boten sie die rettende Zuflucht: Im Untergeschoß des Philipphofs bei der Albertina starben im März 1945 nach einem Bomben-Volltreffer mehr als 300 Menschen. Ihre Leichen konnten nie geborgen werden und liegen heute noch unter Alfred Hrdlickas Mahnmal gegen Krieg und Faschismus.

Geheime U 3

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Aus der Kriegszeit stammt möglicherweise auch der geheimnisvolle "Eiserne Gang" in der Erdbergstraße. Ein schmaler Tunnel, der fast vollständig mit Eisenplatten ausgekleidet ist. "Niemand kann sich einen rechten Reim darauf machen, was sein Zweck war", sagt Lukacs. Vielleicht diente er als Lager heikler Güter, vielleicht war er mit den Flaktürmen im Arenbergpark verbunden.

Am Rennweg stießen die beiden Untergrund-Detektive auf eine Kapelle unterhalb der Sacre-Coeur- Schule, deren Wände dunkelrot ausgemalt sind. Derzeit bereitet Lukacs eine Führung vor, bei der einige der im Buch vorgestellten Tunnel und Keller besucht werden können.

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Ob die Führung auch bei der Stiftskaserne Halt macht, ist noch nicht klar. Sie soll laut Autorin über ein U 3-Nebengleis mit dem Ballhausplatz verbunden sein. Im Ernstfall können über diese Trasse Bundeskanzler und Minister in den Bunker der Kaserne gebracht werden. Freilich: Die geheime Kanzler-U-Bahn ist so geheim, dass man nicht einmal bei den Wiener Linien etwas davon wissen will. "Das ist nichts weiter als eine Urban Legend."



BUCHTIPP
Robert Bouchal, Gabriele Lukacs:
Geheimnisvolle Unterwelt von Wien, Pichler Verlag, 208 Seiten, 24,99 €.