Stadt mit morbidem Charme: erst auf den zweiten Blick sehenswert
Es gibt Städte, die beeindrucken mit ihrer einzigartigen Architektur. Andere bezaubern mit ihrem außergewöhnlichen Flair oder überzeugen die Besucher mit einem herausragenden kulturellen Angebot. Im Fall von La Paz ist es die ungewöhnliche Lage, die die Stadt einzigartig macht. Sehenswert wird sie für die, die mit offenen Augen durch die Stadt gehen. Mitten im bolivianischen Hochland, vor der beeindruckenden Kulisse der verschneiten Königskordillere in einem Tal eingebettet, liegt La Paz auf 3800 m Seehöhe – der höchste Regierungssitz der Welt.
Schon der Anflug über das von gewaltigen Sechstausendern eingerahmte Häusermeer ist spektakulär. Majestätisch thront der schneebedeckte Hausberg Illimani über der Stadt, die sich in Form von unzähligen, oft unvollendeten Backsteinhäusern und einigen wenig ansehnlichen Hochhäusern in einen riesigen Talkessel schmiegt.
Endlose Blechlawinen
La Paz ist eine Stadt der Superlative. Bis auf den letzten Quadratmeter verbaut, chaotisch, laut und ständig kurz vor dem totalen Verkehrskollaps. Die Orientierung im ohrenbetäubenden Gewusel von La Paz stellt Besucher vor ungeahnte Herausforderungen, es ist nicht einfach, den Überblick zu behalten. Es wird wild gehupt, gestikuliert und geschimpft. Halsbrecherische Manöver stehen an der Tagesordnung, Verkehrsregeln sind hier offensichtlich nicht mehr als eine gut gemeinte Empfehlung.
Wer das erste Mal die Fahrt vom Flughafen Richtung Stadtzentrum absolviert, benötigt ein gutes Nervenkostüm und noch viel mehr Geduld. Je nach Verkehrssituation und Lage des Hotels kann es mehrere Stunden dauern, bis man seine Unterkunft erreicht. Wilfredo, seit Jahren Taxifahrer und entsprechend abgebrüht, schiebt sich ein paar Koka-Blätter in den Mund und erzählt, dass es vor der Eröffnung der Seilbahnen viel schlimmer zugegangen ist in den Straßen.
Stadt mit Seilbahn
Drei Bolivianos, umgerechnet etwa 40 Cent kostet eine Fahrt mit der Seilbahn, die vom Vorarlberger Hersteller Doppelmayr erbaut wurde. Mittlerweile besteht das Seilbahnnetz, welches das Stadtzentrum mit dem höher gelegenen Stadtteil El Alto verbindet, aus fünf Linien und zählt damit zu den größten urbanen Seilbahnnetzen der Welt. Ob es tatsächlich die gewünschte Entlastung für die chronisch verstopften Straßen der Stadt bringt, wird sich zeigen, denn viele der Bewohner sind bitterarm und bevorzugen daher die kostengünstigeren Sammeltaxis.
Wer La Paz besucht, darf keine schöne Stadt im klassischen Sinn erwarten. Es wurde in den letzten Jahren offensichtlich nicht viel Wert darauf gelegt, den Altstadtkern zu erhalten, was der Metropole einen äußerst morbiden Charme verleiht. Doch wer mit offenen Augen durch das historische Zentrum spaziert und auch einmal einen Blick hinter die baufälligen Fassaden riskiert, findet bezaubernde Innenhöfe, beeindruckende Kirchenbauten und rund um die Plaza Murillio einige schöne Kolonialgebäude.
Und nicht zu vergessen die zahlreichen Märkte der Stadt. Nirgendwo anders wird das Erbe der präkolumbianischen Kulturen dermaßen stark gelebt und konserviert wie dort. Die Bolivianer sind zwar größtenteils streng katholisch, pflegen aber trotzdem noch mit großer Überzeugung ihre Jahrhunderte alten Bräuche und Traditionen. Der Kult um „Pachamama“ – die Mutter Erde – ist allgegenwärtig und überall spürbar.
Am skurrilen Hexenmarkt rund um die Calle Linares bietet Doña Sofia Allheilmittel gegen alle möglichen Leiden, ausgesuchte Kräuter und selbst gebraute Tinkturen feil. Ihr Laden ist bis an die Decke mit angeblich magischen Essenzen, geheimnisvollen Pulvern und scheinbar nutzlosem Krimskrams gefüllt. Schlangenhäute, Vodoopuppen, Häuschen und Dollarscheine in Miniaturform, allerlei Plastikgetier und Säckeweise Koka-Blätter stapeln sich in dem engen Geschäftslokal.
Magie am Markt
Egal ob es darum geht die Manneskraft des Ehegatten wieder anzukurbeln, einer Nebenbuhlerin die Krätze an den Hals zu wünschen oder Geldsegen für die Familie zu erbitten, Doña Sofia hat für jedes Problem die richtige Lösung – entsprechende Zahlung vorausgesetzt. Ein etwas gewöhnungsbedürftiger Anblick sind die an fast jedem Stand baumelnden getrockneten Lama-Föten, doch – so versichert auch Doña Sofia – es bringt Glück diese zu Ehren von Mutter Erde im Fundament eines neuen Hauses einzumauern.
Auf der Todesstraße
Wer sein Schicksal auf dem Hexenmarkt in die richtigen Bahnen gelenkt und von Pachamama ordentlich Gesundheit und Glück erbeten hat, ist bestens gerüstet für die nächste Herausforderung, die sich unweit von La Paz in Form einer 70 Kilometer langen, ungesicherten und größtenteils nicht asphaltierten Straße auftut.
Die Yungas-Straße wurde in den 30er Jahren in spektakulären Serpentinen in den Berg gehauen und ist an ihrer engsten Stelle nicht einmal drei Meter breit. Trotzdem war die waghalsige und schwindelerregende Strecke bis 2007 als zweispurige Straße für den Verkehr freigegeben und als einzige Verbindung zwischen La Paz und der Yungas-Region im Amazonas-Tiefland, trotz des schlechten Zustands und der steilen Klippen, entsprechend gut befahren.
Mit allen logischen Konsequenzen. Hier sind jährlich Hunderte Menschen in den Tod gestürzt, die meisten von ihnen liegen heute noch im undurchdringbaren Grün des Dschungels begraben, da es zu gefährlich wäre sie zu bergen. Entlang der Strecke zeugen dutzende Kreuze und Erinnerungstafeln von den schrecklichen Ereignissen.
Trotzdem oder gerade deshalb zählt die „Todesstraße“ zu den ganz großen Highlights für adrenalinsüchtige Touristen aus aller Welt. Mit dem Mountainbike geht es vom Cumbre-Pass auf 4700 m Seehöhe bis hinunter ins tropisch-schwüle Coroico. Mehr als 3500 Höhenmeter bewältigt man auf dieser Strecke und durchquert dabei fast alle Klimazonen Südamerikas. Das ist weltweit einzigartig und sicher mit ein Grund für die große Beliebtheit der Straße, trotz ihrer immer noch offensichtlichen Gefährlichkeit.
Facettenreiche Natur
Wer hier blindlings hinunter rast riskiert nicht nur viel, sondern verpasst auch einiges, denn die Panoramen und Ausblicke auf der Strecke sind wirklich sehenswert. Hinter jeder Kurve tut sich eine andere, noch spektakulärere Aussicht auf, von schroffen Gebirgen und schneebedeckten Gipfeln bis hin zu tropischen Regenwäldern mit idyllischen Wasserfällen und sattgrüner Vegetation. Bolivien beeindruckt auch hier mit seiner facettenreichen Natur und der unglaublichen Diversität seiner Flora und Fauna.
Angesichts der Strapazen und der schwindelerregenden Abhänge neben der Straße ist man aber trotz all der Schönheit ganz froh, dass es im Anschluss an dieses Abenteuer im Bus über die neue, gut ausgebaute und weitaus ungefährlichere Straße zurückgeht. Nach La Paz, in die Stadt, die nie zu Ruhe kommt, die zugleich polarisiert und fasziniert und ihre Besucher jeden Tag aufs Neue in ihren Bann zieht.
Info
Anreise beispielsweise mit Iberia über Madrid und Lima nach La Paz, ca. 1000 € www.iberia.com
Empfohlene Reisedauer Wer das ganze Land bereist sollte mindestens drei Wochen bleiben
Beste Reisezeit Mai, Juni oder September. in dieser Zeit fällt in den meisten Regionen weniger Regen und die Temperaturen bewegen sich zwischen ein (nachts) und knapp 20 Grad am Tag.
Währung 1 Boliviano (BOB) entspricht etwa 0,13 €
Weitere Highlights Titicacasee und Sonneninsel, Sucre, Potosí, Rurrenabaque
Unterkunft in La Paz: Hotel Rosario, hotelrosario.com/la-paz/
Sport Mountainbiking auf der Todesstraße: Gravity Bolivia, http://www.gravitybolivia.com
Auskunft Andean Expeditions Dirninger,S.A. www.andean-expeditions.com/
www.embajada-bolivia.at/deutsch
www.bmeia.gv.at