Leben/Reise

"Overtourism": Grazer Weltreise-Experte für bessere Verteilung

Für den Grazer Weltreise-Fachmann Christian Hlade sind Touristenmassen an attraktiven Orten eine Verteilungsfrage. Hlade, der das erfolgreiche Label "Weltweitwandern" gründete, räumt ein, dass es ohne Zugpferde im Angebot nicht gehe: "Peru ohne Machu Picchu bucht kaum einer". Aber bei besserer Organisation und dem Anbieten schöner, aber wenig bekannter Ziele lasse sich "Overtourism" vermeiden.

Riesige Kreuzfahrtschiffe spucken mehrere tausend Touristen in der Stunde über die engen Gassen Venedig aus, die Bevölkerung geht mit "No a grande navi" ebenso auf die Barrikaden wie etwa in Barcelona. In Bundesländern wie Salzburg wird über eine 30 Millionen-Nächtigungsgrenze diskutiert, in Hallstatt über Zugangsbeschränkungen.

Culture Clash im eigenen Land

Der Tourismus aus Europa wachse eigentlich bei Fernreisen nicht mehr, meinte Hlade im APA-Gespräch, die wirklichen Treiber seien hier China oder auch Indien, ein bisschen wieder Russland. Indien sei ein interessanter Fall, so Hlade, denn rund 300 Mio. Einwohner könnten sich Reisen leisten. Im eigenen Land strebten viele in die kühleren Regionen des Nordens. Kaschmir falle wegen des Konflikts mit Pakistan aber aus, also ist Ladakh das Ziel von Massen. "Das ist in gewissem Sinne ein Culture Clash, obwohl es ein und dasselbe Land ist". Da gehe es dann etwa bei Besuchen in Klöstern so distanzbefreit zu wie früher bei westlichen Touristen. Reisen habe ja auch etwas mit dem Reifegrad des Reisenden zu tun.

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Seiner Erfahrung nach schaffe die Wachstumsbranche Tourismus gerade in ärmeren Ländern einen Job auf 10 bis 15 Touristen. Für viele Länder ist die Reisebranche eines der wichtigsten Standbeine. "Es ist schwierig, zu sagen, jetzt ist es genug, wenn die Wirtschaft vor allem ärmerer Länder daran hängt und wenn die Chancen für Menschen dort steigen." Die Frage sei ja auch, wie hoch die Zahl an Touristen pro Jahr sei, bei der man die Grenze einziehen wolle. Für Nepal sei das Ziel eine Million, in Tirol lache man bei der Zahl. Overtourism gebe es in den Trekkinggebieten Nepals bereits: "Auf die Everest- oder Annapurna-Trekkingtour will jeder, also muss es besser organisiert bzw. die Besucher verteilt werden. Ein Problem ist es, dass in manchen Staaten wie Nepal die Reisesaison aufgrund des Klimas nur kurz ist, das ist bei Ganzjahresdestinationen wie Österreich anders, da verteilt es sich über das Jahr."

Faire Verträge mit Menschen vor Ort

Sind Unternehmen wie "Weltweitwandern" nicht auch im weitesten Sinne Wegbereiter für nachfolgende Massen in Richtung Overtourism? "Wir arbeiten eher in einer Nische", sagte Hlade. "Unser Angebot ist etwa einem Kreuzfahrttouristen zu mühsam, die einfache Infrastruktur, die wir bei den Wanderreisen in Armenien oder Marokko nutzen, interessiert die meisten gar nicht." Eine gewisse Infrastruktur müsse ja sein, meinte der Grazer: "Die Menschen vor Ort, die das herrichten oder bauen, die müssen ja auch eine gewisse Auslastung haben, sonst können sie nicht davon leben. Es braucht einen Gastgeber, es braucht einen Guide, einen Koch, da braucht man auch eine gewisses Volumen an nachhaltigen Touristen." Wichtig sei aber auch, mit den Menschen vor Ort faire Verträge zu schließen.

"Fernreisen, selbst wenn man sich bemüht, sind nicht umweltfreundlich", konstatierte der Reisefachmann. Aber als Reiseanbieter sei man Teil einer Weltentwicklung. CO2-Kompensation sei eine sinnvolle Übergangslösung, bei einer Steuer auf Kerosin wäre er "total dafür. Das steht zwar nicht als Petition auf der erste Seite unserer Homepage, aber das würde uns weniger betreffen als etwas das Angebot mit dem Städteflug um 19,90 Euro." Selbst habe man schon alternative Anreisen zum Flugzeug ausprobiert. "Bis in die mittelrumänischen Berge geht es mit dem Zug ganz gut. Nach Bulgarien haben wir etwa die Busreise statt dem Flug versucht, aber es bucht keiner. Doch denken wir über die Chance nach, schon die Anreise zu inszenieren, etwa mit Zügen", so Hlade.

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"Bildung bewirkt etwas"

Ihm seien zwei Dinge ein Anliegen: Einerseits soll ein Teil der Wertschöpfung im Zielland bleiben, bei einer Wanderreise in den Bergen Marokkos sei es über die Hälfte des Tourpreises. Wenn der Hoteleigentümer Marokkaner ist, sei ja schon etwas erreicht. Ein zweites Anliegen sei es, vor Ort etwas zu bewegen: "Bildung bewirkt etwas", deshalb habe er auch verschiedene Schul- und Ausbildungsprojekte in die Wege geleitet, etwa die Academie vivante, ein Berufsbegleitungs- und Bildungszentrum in Marokko.

Dinge wie "Palmen auf Almen" mit Karibik-Drinks in den Bergen, Venedig mit den großen Kreuzfahrtschiffen, auch das Geschiebe in der Altstadt von Dubrovnik, das seien natürlich Auswüchse, die aber auch der Inszenierung geschuldet seien. "Da geht es auch um die Träume der Menschen, das touristische Produkt muss an die Vorstellung der Menschen andocken. Ein Peru-Angebot ohne Machu Picchu wird nicht gut funktionieren". Da liege es auch an den Veranstaltern, überlaufene Ziele zu entlasten, besser zu koordinieren und vielleicht Unbekanntes im Lande dazu zu mischen. Denkbar seien Besuche bei Sehenswürdigkeiten zu einer ungewöhnlichen Uhrzeit. Es geht darum, auch Dinge zu zeigen, die keine Bekanntheit hätten, aber mindestens so attraktiv sind. "Ich steh' ja voll auf Trachten, alte Gebräuche, alte Klöster ... wenn dort ein Chor singt, ist das ebenso Brauchtumsinszenierung wie die Schuhplattlergruppe in Tracht. Es ist ja so, dass die Menschen weltweit im Alltag Jeans tragen. Aber es gibt dann so Erlebnisse, die Reisen spannend machen und die man nicht inszeniert. Wenn etwas beim Maultiertrekking ein Treiber am Abend seine Trommel herausholt und für sich spielt oder wenn man in einer armenischen Kirche dazu kommt, wenn ein dreiköpfiger Chor für sich großartig singt."

Zur Person: Der gebürtige Grazer Christian Hlade (geb. 1. Juli 1964) studierte Architektur und war seit seiner Jugend als Rucksack-Tourist und Trekker unterwegs. Die Diplomarbeit für sein Architektur-Studium war der Entwurf einer "Dorfschule in Ladakh". 1994 gründete Hlade den Verein "Friends of Lingshed" zur Unterstützung der dortigen - mit Solarzellen ausgestatteten - Schule ins Leben. 1999 rief er die Firma "Weltweitwandern" ins Leben, die sich auf geführte Wanderreisen in Europa, Afrika, Asien und Ozeanien sowie Amerika spezialisiert, mit hohem Wertschöpfungsanteil für die lokale Bevölkerung. Die Firma macht 2018 mit 26 Mitarbeitern etwas über zehn Mio. Euro Umsatz.

 

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