Merkels Werbetour in Wien
Angela Merkel, vom US-Magazins Forbes gerade wieder zur „mächtigsten Frau der Welt“ gekürt, wurde Freitagnachmittag in Wien von Bundeskanzler Werner Faymann entsprechend empfangen, mit militärischen Ehren. Dennoch: Die Herzlichkeit kam nicht zu kurz, es gab Umarmungen und ein Begrüßungsbussi. Beide sprechen sich per Du an. Es war der zweite offizielle Besuch der deutschen Regierungschefin in Österreich nach 2006. Privat war sie öfter hier, beim Neujahrskonzert, bei der Fußball-EM, den Salzburger Festspielen. Sie ist begeistert von Kultur und Natur in unserem Land.
Nach einem einstündigen Vieraugengespräch stellten sie sich den Medienvertretern und lobten die „sehr guten Beziehungen“ untereinander und das gemeinsame Bemühen um die Stabilität des Euro, die Fortentwicklung der EU und die Schaffung einer Bankenaufsicht.
Die jüngste Entscheidung der EZB, unbegrenzt Staatsanleihen der Schuldenländer aufzukaufen, beurteilte Faymann als „politisch positiv“. Merkel strich die damit verbundenen „Kontrollen und Bedingungen“ hervor. Beide traten mit Nachdruck für die Einführung der Finanztransaktionssteuer in einer Ländergruppe der Willigen ein ( in der EU heißt das verstärkte Zusammenarbeit, Anm .). Merkel: „Wir setzen alles daran, dass es so rasch wie möglich kommt.“ Kanzler Faymann rechnet ab 2014 mit den neuen Einnahmen. Merkel nickte wohlwollend, als im Zusammenhang mit der Abgabe das Wort „Gerechtigkeit“ fiel.
Griechenland
Auch über Griechenland wurde geredet. Ob der Regierung in Athen die Frist für die Umsetzung des Sparprogrammes von 2014 auf 2016 verlängert wird, ist offen. Faymann will dem Land entgegenkommen, Merkel lehnt es ab und appelliert an die Erfüllung aller Auflagen.
Nicht nur in diesem Punkt, auch in anderen Fragen der Krisenbewältigung gibt es seit dem Wechsel an der französischen Staatsspitze von Nicolas Sarkozy zu François Hollande unterschiedliche Positionen zwischen Konservativen und Christdemokraten sowie Sozialdemokraten.
Bundeskanzler Faymann – und das zeigte sich zuletzt beim EU-Gipfel in Brüssel – kann vermitteln, auch Berlin ist davon überzeugt, dass nicht nur eisernes Sparen, sondern auch Wachstum und Beschäftigung zur Krisenstrategie gehören. Die „sehr gute" Gesprächsbasis mit Merkel hilft Faymann, hier Lösungen zu finden. 25 Krisengipfel haben beide seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 mit ihren EU-Partnern in Brüssel bereits absolviert. Dazu kommen unzählige bilaterale Treffen.
Schuldenunion
Merkel entging zuletzt natürlich nicht, dass die Koalition aus SPÖ und ÖVP in Europa-Fragen nicht immer an einem Strang zieht. Vizekanzler Michael Spindelegger lehnt die Forderungen der Sozialdemokraten zur Krisenbewältigung entschieden ab. Die ÖVP ist gegen Eurobonds und gegen eine Banklizenz für den Rettungsfonds ESM. Da sind die Analysen ident: Die Schulden gemeinsam abzubauen, sozusagen eine Schuldenunion zu schaffen, das ist das Letzte, was sich Spindelegger und Merkel vorstellen können.
Punkto Arbeitsplatzsicherung gehen Wien und Berlin seit dem EU-Gipfel im Juni im Gleichschritt vor. Ein Pakt für Wachstum und Beschäftigung wurde beschlossen. Den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, im besonderen die Jugendarbeitslosigkeit, hat Kanzler Faymann auf EU-Ebene besonders forciert. Die Praxis der österreichischen Lehrlingsausbildung wurde zum Modell für die ganze EU.
„Herr Merkel“ als seltener Gast
Nach dem offiziellen Teil ihrer Kanzler-Visite in Wien besuchten Angela Merkel und ihr Ehemann Joachim Sauer die Aufführung von Verdis „Don Carlo“ in der Staatsoper. Danach ging es zurück nach Berlin.
Der Mann der wahrscheinlich mächtigsten Frau der Welt zeigt sich selten öffentlich an der Seite der Kanzlerin. Selbst bei ihrem Amtsantritt 2005 war er nicht dabei. Der Chemieprofessor sah sich die Angelobung lieber an der Berliner Humboldt-Universität, an der er unterrichtet, im Fernsehen an.
Doch mit klassischer Musik kann man den 63-jährigen Opernliebhaber offenbar überzeugen – das brachte ihm den Spitznamen „Phantom der Oper“ ein. Außer nach Salzburg und Bayreuth zu den Festspielen begleitet „Achim“ seine Ehefrau nur äußerst selten. Er ist „so unsichtbar wie seine Moleküle“, schrieb das Süddeutsche Magazin einmal. „Herr Merkel“ will der „First Husband“ nicht genannt werden. An der Klingel der gemeinsamen Wohnadresse steht „Prof. Sauer“. Über Politik wird dort nur selten geredet.
-
Hauptartikel
-
Reportage