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Wirecard-Skandal: Der fantastische Mr. Marsalek aus Österreich

Jan Marsalek. Allein die Suche nach einem Foto des abgetauchten Wirecard-Vorstands gestaltet sich alles andere als einfach. Die internationalen Fotoagenturen werfen kein Bild aus. Pressebilder aus seiner Zeit als Verantwortungsträger der einst blühenden Finanztechnologiefirma existieren nicht. Einzig ein altes PR-Bild der insolventen Firma lässt sich auftreiben.

Wir erinnern uns: Wirecard musste Ende Juni eingestehen, dass 1,9 Milliarden Euro auf asiatischen Treuhandkonten schlicht nicht auffindbar sind. Der Dax-Konzern ging in Insolvenz und zwei Österreicher, die die Geschicke des Finanzdienstleisters geleitet hatten, traten in den Fokus der Weltöffentlichkeit: Vorstandschef Markus Braun, den die deutschen Behörden verhaftet haben und Jan Marsalek, seit 18. Juni spurlos verschwunden.

Während Braun in dem Megaskandal die biedere Hauptrolle zukommt, wird Marsalek zunehmend zum dunklen Schattenmann mit spektakulären Geheimnissen.

Das größte ist wohl: Wo hält sich Marsalek versteckt? Laut den philippinischen Behörden war er fünf Tage nach seinem Verschwinden in dem südostasiatischen Staat eingereist, um einen Tag später nach China weiterzufliegen. Der Schönheitsfehler: Die Überwachungskameras des Flughafens zeigten keinen Jan Marsalek. Offenbar hatte jemand mit Hilfe korrupter Beamter eine falsche Fährte gelegt.

Ungläubigkeit

Nicht der einzige Taschenspielertrick des Managers, der für die implodierte Wirecard das Asiengeschäft verantwortet hat. So wie die Financial Times mögliche, mutmaßliche oder angebliche Nebengeschäfte des 40-Jährigen in einer großen Reportage zusammentrugen, klang beim Lesen des Textes die Ungläubigkeit der Journalisten durch. Kann das alles wahr sein?

Willkommen in der Welt des fantastischen Mr. Marsalek. Ein Mann, der mehrere Leben führte. So prahlte er offenbar gerne mit guten Kontakten zu Geheimdienstkreisen. Was für Geheimnisträger ungewöhnlich ist. Für einen Prahler ist wiederum ungewöhnlich, dass er tatsächlich Einblick in hochbrisante Dinge hatte. Marsalek war laut Financial Times im Besitz der Formel für das russische Nervengas Nowitschok, ein ebenso gefährlicher wie hochpolitischer Kampfstoff, der dem russischen Geheimdienst GRU zugeschrieben wird.

Hochgiftig

Mit Nowitschok war der ehemalige Spion Sergej Skripal 2018 in Großbritannien vergiftet worden – dass das hochtoxische Nowitschok zu einem Anschlag in einem Wohngebiet angewendet worden war, sorgte für schwere diplomatische Verwerfungen zwischen Russland und Europa.

Wie der geheimnisumwobene Österreicher in den Besitz der streng geheimen Formel gekommen war, ist ein völliges Rätsel. Warum er damit bei Investoren prahlte, ist nicht weniger unklar.

Marsalek versuchte sich zudem in angewandter Geopolitik: Mit Hilfe einer Miliz von rund 15.000 Personen wollte er an der libyschen Grenze Flüchtlingsströme steuern – das größte Druckmittel auf die Staaten der EU. Hierzu soll er 2018 versucht haben, unter dem Deckmantel eines Wiederaufbauprojekts finanzielle Unterstützung des österreichischen Verteidigungsministeriums zu bekommen. Ein Sprecher des damals von der FPÖ regierten Ministeriums konnte auf APA-Anfrage am Wochenende dazu vorerst keine Angaben machen.

Der Plan blieb unvollendet, aber Marsalek war trotzdem in Libyen tätig: Überliefert ist etwa eine angebliche Eigentümerschaft an einem libyschen Fabriksgebäude, das vor allem einem Zweck diente – der Unterbringung russischer Söldner, die verdeckte Operationen in dem Bürgerkriegsland durchführten.

Und es soll es eine Achse zwischen Marsalek und der FPÖ gegeben haben: Er soll im BVT-Skandal unter Türkis-Blau eine wesentliche Rolle aufseiten der FPÖ gespielt haben. Marsalek gilt als Informant, der Geheimnisse aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) an die Blauen weitergespielt haben soll – die Partei weist dies zurück und hat für heute, Montag, eine Pressekonferenz angekündigt, in der sie angebliche türkise Verwicklungen mit Marsalek aufdecken will.

Der deutsche Wirecard-Skandal und seine Proponenten taugen offenbar zur innenpolitischen Schlammschlacht: Wirecard-CEO Markus Braun gehörte zu einem Thinktank von Bundeskanzler Sebastian Kurz und hatte für ÖVP-Wahlkämpfe Geld gespendet. Dessen Team bemühte sich sofort, Distanz zu schaffen – das Gremium habe noch gar nicht die Arbeit aufgenommen. Auch den Neos hatte Braun in der Vergangenheit gespendet.